So motiviert man junge Forscher
Nicht alle Villacher waren glücklich, als Siemens 1970 hier ein Werk errichtete. Fast 50 Jahre später ist die nunmehrige Infineon Impulsgeber für die gesamte Region. Und stößt mit einer Milliardeninvestition die Tür in die Zukunft weit auf.
WIEN. Mit aktuell 3162 Mitarbeitern erreicht der Infineon-Standort Villach fast die Einwohnerzahl eines typischen Orts in Österreich. In Tirol oder Niederösterreich läge eine „Infineon City“über dem Durchschnitt. Als größtes Industrieunternehmen in Villach ist Infineon untrennbar mit der Geschichte der Stadt verbunden, dem wichtigsten Industriestandort Kärntens. Die gesamte Belegschaft entspricht fünf Prozent der 62.000 Einwohner Villachs und prägt Leben und Stimmung in der Stadt mit.
Eine eigene Buslinie, der „8/11“, führt zum Werk an der Siemensstraße. Der Name erinnert an die Ansiedlung der Diodenproduktion von Siemens im Jahr 1970, die den Grundstein für den späteren Aufstieg Villachs zur Halbleiterstadt legte. Neun Jahre danach bekam der Standort neue Kompetenzen mit der Fertigung von Wafern, jenen möglichst dünnen Hightech-Scheiben, auf denen viele elektronische Schaltpläne (Chips) Platz finden.
Infineons Spezialität sind die großen Scheiben mit 30 Zentimetern Durchmesser. Nirgendwo sonst können diese „Pizzaradln“– wie sie Infineon-Chefin Sabine Herlitschka mitunter salopp nennt – so dünn hergestellt werden wie hier. Mit nur 0,04 Millimetern sind sie nur ein Drittel so „dick“wie ein Blatt Schreibpapier. Fast 30 Mill. Euro nimmt die Stadt jährlich durch die Kommunalsteuer von Infineon ein, zugleich hebt die gute Entlohnung der qualifizierten Mitarbeiter die durchschnittliche Kaufkraft.
Für Bürgermeister Günther Albel ist hier „eine fundamentale Transformation der Arbeitswelt“im Gange: „Villach entwickelt sich von einer Stadt mit hohem Eisenbahneranteil zu einer Stadt mit überdurchschnittlich vielen Hightech-Spezialisten.“Dazu trägt auch die Fachhochschule Villach bei, die eng mit Infineon zusammenarbeitet und als wichtige Rekrutierungsstätte für neue Fachkräfte dient. Im Herbst startet der Zweig Elektronik und Mechatronik, ein Masterstudiengang für Elektrotechnik ist geplant.
Bürgermeister Albel erinnert daran, dass es viele Skeptiker gab, als die Stadt vor 20 Jahren auf Hightech setzte. Er sieht sich in der Entscheidung seines Vorgängers bestätigt. Denn jetzt spiele man bei einer wichtigen Schlüsseltechnologie „in der Champions League mit“.
Die Präsenz des Weltkonzerns hat die Stadt moderner und bunter gemacht. Internationaler sowieso, dafür sorgt schon die vielfältige Herkunft der Mitarbeiter. Ein Viertel davon ist aus anderen Ländern nach Villach gezogen, vertreten sind heute rund 60 Nationen.
Eine direkte Folge dieser Weltoffenheit ist der Kindergarten, das International Daycare Center (IDC), das der Verein Sonnenstrahl 2012 in enger Kooperation und mit finanzieller Unterstützung durch Infineon gründete. Ziel dieser Einrichtung mit 120 Kindern aus 25 Nationen sind „neugierige und forschende Persönlichkeiten“, die sich in „MiniLabs“entwickeln können.
Neben einem Fokus auf Naturwissenschaft, Technik und Zweisprachigkeit durch Pädagoginnen mit englischer Muttersprache werden hier gezielt auch „lernmethodische Kompetenzen gefördert“, die Kinder sollen also lernen, wie man lernt. „Bildung kann nicht früh genug beginnen“, sagt Infineon-Chefin Herlitschka. Zudem geht es auch um die Vermittlung von Werten wie Toleranz gegenüber anderer Herkunft, Religion, Hautfarbe, Sprache und anderem Geschlecht.
Einen wesentlichen Beitrag zur Integration und gegenseitigen Vernetzung von Neo-Österreichern leistet der Carinthian International Club (CIC). Er bietet neben wichtigen Informationen über das Leben in Österreich auch Freizeitangebote für Schulkinder über die Sommerferien. Nicht zufällig lautet ein Programmpunkt der diesjährigen Sommeraktivitäten – neben Schwimmen, Segeln, Bergwandern oder Abenteuercamps – „bei Infineon lassen wir die Roboter tanzen“.
Welche Rolle der CIC für ausländische Fachkräfte spielen kann, zeigt das Beispiel der von den Philippinen stammenden Design-Ingenieurin Baby Aberjido, die mit ihrem Mann und drei kleinen Kindern seit sieben Jahren bei Infineon in Villach arbeitet. Der CIC hat sie dabei unterstützt, Fachärzte und Gottesdienste in englischer Sprache ausfindig zu machen. Für das aktive Vereinsleben bleibt ihr zwar keine Zeit, sie schätzt aber die regelmäßigen Nachrichten und Hinweise. „Für mich ist der CIC zu einem Teil der Familie geworden“, sagt sie.
Wie der Leitbetrieb auf die ganze Stadt ausstrahlt und welche großen Entscheidungen im Schlepptau damit verbunden sind, zeigt die bevorstehende massive Erweiterung der Villacher Anlage. 2019 startet der Bau der neuen 60.000 Quadratmeter großen Anlage für die Herstellung von 300-Millimeter-Halbleiter-Wafern, die ab 2021 operativ sein soll. Für Sabine Herlitschka ein wichtiges Signal, „dass wir die Chancen der Digitalisierung nutzen und als Hochlohnregion global wettbewerbsfähig sind, heute und morgen“. Trotz vollautomatischer Produktion entstehen hier 400 qualifizierte Arbeitsplätze, darunter innovative Berufsbilder wie Robotertrainer und Datenwissenschafter.
Was das für die Stadt bedeutet, lässt sich daran ablesen, dass die geplanten Investitionskosten mit 1,6 Mrd. Euro (auf sechs Jahre) das Achtfache des Stadtbudgets ausmachen. Bürgermeister Albel rechnet mit gut 1000 zusätzlichen Arbeitsplätzen für Stadt und Umland. Mit dem Projekt bekomme Villach die „Chance, zu einer der lebenswertesten und innovativsten Städte Europas zu werden“. Die Investitionen würden Villach nachhaltig verändern. „Nun braucht es auch ein neues Denken“, sagt Albel. Die Liste der Aufgaben für die Stadt ist lang, sie umfasst eine neue Zufahrtsstraße, Parkplätze, Wohnungen, Radwege, Forschungs- und Bildungsstätten und Kindergartenplätze.
Aktuell stecke man in den Vorbereitungsarbeiten, sagt Andreas Wittmann, der bei Infineon für den Bau verantwortlich ist. Für das Zusammenwirken aller Partner zuständig ist Magistratsjurist Alfred Winkler, er leitet die bis zu 25 Personen starke „Taskforce“der Stadt für die Umsetzung der Herkulesaufgabe. „Derzeit sind wir vor allem mit Genehmigungsverfahren und Umwidmungen beschäftigt.“
Fest steht, dass die Aufschließungsstraße und ein Radweg zusammen vier bis 4,5 Mill. Euro kosten werden. Zu anderen Investitionen fehlen noch seriöse Angaben. Dazu gehören die Vergrößerung der Kläranlage und bessere Wasserzuund -ableitungen. Die Kelag erweitert Stromversorgung und Schaltanlagen. Generell liege man „sehr gut im Zeitplan“, sagt Winkler. Die größte Herausforderung für ihn? „Dass es so viele Beteiligte auf allen Ebenen gibt – von der Gemeinde über das Land bis zum Bund.“
Direkte Förderungen bekommt Infineon nicht, betonen Konzern und Stadt unisono. Eine Rolle dürfte die geografische Lage der Stadt am Knotenpunkt wichtiger Zuglinien und Autobahnen samt guten Verbindungen in die Nachbarländer spielen. Den Ausschlag gibt aber der menschliche Faktor, gleich mehrfach. Infineon-Chefin Herlitschka lobte erst kürzlich wieder „das hohe Qualifikations- und Innovationsniveau der Infineon-Mitarbeiter in Villach und die verlässliche, rasche Arbeit der Villacher Verwaltung“. Im Sonnenstrahl-Kindergarten und sonstigen Ausbildungsstätten der Stadt wird daran Tag für Tag gearbeitet.