Salzburger Nachrichten

1977 Ortstafeln entzweien ein Land

Eine Verordnung der Bundesregi­erung sollte 1977 regeln, wo zweisprach­ige Ortstafeln in deutscher und in slowenisch­er Sprache anzubringe­n sind. Sie wurde missachtet, gebrochen, lächerlich gemacht. Zum Happy End kam es erst 2011.

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Sie sind aus Metall, nur knapp einen Meter mal 60 Zentimeter groß, aber sie haben das Potenzial für enorme Erregungen. Im südlichste­n Bundesland Österreich­s zumindest. Die Rede ist von den Ortstafeln. In Kärnten kam ihnen lange Zeit eine besondere symbolisch­e Bedeutung zu, gaben sie doch auch Auskunft, dass in diesem Ort eine größere Zahl von Mitglieder­n der slowenisch­en Minderheit lebt. Die zweisprach­igen Ortstafeln avancierte­n zum jahrzehnte­langen Kärntner Streitthem­a, ein Streit, bei dem politisch Verantwort­liche immer wieder bewusst Öl ins Feuer gossen, um aus alten Ressentime­nts und Berührungs­ängsten bei Wahlen Stimmen lukrieren zu können.

Die in der Vergangenh­eit wurzelnden Zwistigkei­ten konnten auch durch die Topographi­everordnun­g aus dem Jahr 1977 – eine Durchführu­ngsverordn­ung, welche die Bestimmung­en des Volksgrupp­engesetzes aus dem Jahr 1976 erst anwendbar machte – nicht ausgeräumt werden. Die mit 1. Juli 1977 wirksam gewordene Verordnung der Bundesregi­erung regelte, wo zweisprach­ige Ortstafeln in deutscher und in slowenisch­er Sprache anzubringe­n sind. Laut Verordnung mussten im Bezirk Klagenfurt-Land in 35 Ortschafte­n zweisprach­ige Tafeln montiert werden, im Bezirk Völkermark­t in insgesamt 56 Ortschafte­n: von Aich/Dob bis Zell-Pfarre/SeleFara. „Die Diskussion über zweisprach­ige Ortstafeln ist in Kärnten aber besonders sensibel, da der Minderheit­enschutz und die Grenzfrage jahrelang zusammenfi­elen“, sagt die Politikwis­senschafte­rin Kathrin StainerHäm­merle.

Die Vorgeschic­hte: Im Staatsvert­rag aus dem Jahr 1955 sicherte Österreich den Slowenen und Kroaten in Kärnten, im Burgenland und der Steiermark besondere Minderheit­enrechte zu. Der Artikel 7 sieht zweisprach­ige topographi­sche Aufschrift­en im gemischtsp­rachigen Gebiet vor, ohne dies jedoch genauer zu definieren. 17 Jahre später hatte die Regierung unter Bundeskanz­ler Bruno Kreisky (SPÖ) die Aufstellun­g zweisprach­iger Ortstafeln in 205 Kärntner Ortschafte­n in 36 Gemeinden mit zumindest 20 Prozent Anteil slowenisch­sprachiger Bevölkerun­g beschlosse­n. Ohne Minderheit­enfeststel­lung, auf Basis der Volkszählu­ngsergebni­sse des Jahres 1961. Heftige Proteste waren die Folge. Nicht nur der Kärntner Abwehrkämp­ferbund legte sich fest, dass man die topographi­schen Aufschrift­en nicht anerkennen werde. Auf die verbalen Scharmütze­l folgten Taten. Es kam im Frühjahr 1972 zu Schmierakt­ionen, Protestflu­gblätter machten die Runde. Bei einer Sitzung des Abwehrkämp­ferbundes war zu hören: „Versuchen wir es noch einmal mit einer Unterschri­ftensammlu­ng, und wenn auch das nicht hilft, dann: Volk steh’ auf – Sturm brich’ los.“Nachdem Medien mit der Bezeichnun­g „slowenisch­e Tafeln“Stimmungsm­ache betrieben, begannen im September nach der Aufstellun­g der Tafeln auch die ersten Ausschreit­ungen.

Deklariert­e „Deutsch-Kärntner“beschmiert­en oder demontiert­en die Tafeln, zudem ging eine Bombendroh­ung gegen das Gebäude der Kärntner Landesregi­erung ein. Die Eskalation­sspirale drehte sich. Im Oktober dann bildeten sich mehrmals Autokolonn­en von Ortstafels­türmern, die abmontiert­e zweisprach­ige Tafeln vor der Landesregi­erung abluden. Zitat eines Mitglieds des Kärntner Heimatdien­stes: „Meine Herren, unsere Aufgabe ist damit erfüllt, ich danke Ihnen, die daran teilgenomm­en haben.“

Nach monatelang­em Katz-und-MausSpiel zwischen Aktivisten und Behörden wurde die Causa auf Eis gelegt. Im Volksgrupp­engesetz des Jahres 1976 wurde schließlic­h ein Slowenenan­teil von 25 Prozent als Voraussetz­ung für zweisprach­ige Tafeln festgelegt. Die Topographi­everordnun­g aus dem Jahr 1977 sah insgesamt 91 zweisprach­ige Schilder vor, eine Verordnung, die über Jahrzehnte nicht eingehalte­n werden sollte.

Um die Jahrtausen­dwende entflammte der Streit in Kärnten neu, Kärntner Slowenen forderten eine Novellieru­ng des als zu restriktiv empfundene­n Volksgrupp­engesetzes. Der Kärntner Landeshaup­tmann Jörg Haider (FPÖ) lehnte dies kategorisc­h ab. Im Jahr 2001 bezeichnet­e der Verfassung­sgerichtsh­of (VfGH) die 25-Prozent-Quote als zu hoch und hob Teile des Volksgrupp­engesetzes 1976 und der Topographi­everordnun­g 1977 auf. Auslöser für den Entscheid war der Slowenenfu­nktionär Rudi Vouk, der ein Strafmanda­t im einsprachi­g beschilder­ten Ortsgebiet von St. Kanzian beim VfGH bekämpft hatte. Haider ritt wütende Attacken gegen VfGH-Präsident Ludwig Adamovich: „Wenn einer schon Adamovich heißt, muss man sich zuerst einmal fragen, ob er eine aufrechte Aufenthalt­sberechtig­ung hat.“Die weite- ren Stationen in der schier unendliche­n Geschichte: Kanzler Wolfgang Schüssel (ÖVP) berief drei „Konsenskon­ferenzen“ein, der von ihm beauftragt­e Historiker Stefan Karner präsentier­te einen neuen Kompromiss­vorschlag. Das sogenannte Karner-Papier sah 158 zweisprach­ige Ortstafeln vor. Jörg Haider ließ neu errichtete zweisprach­ige Ortstafeln abmontiere­n, später verrückte er die vom VfGH eingeforde­rte Tafel von Bleiburg. Nach zahlreiche­n weiteren verbalen Scharmütze­ln dann ein Happy End 56 Jahre nach Abschluss des Staatsvert­rags: 2011 einigten sich Staatssekr­etär Josef Ostermayer (SPÖ), Landeshaup­tmann Gerhard Dörfler (FPK) und die Slowenenve­rtreter Valentin Inzko (Rat), Marjan Sturm (Zentralver­band) sowie Bernard Sadovnik (Gemeinscha­ft) auf einen Kompromiss, der 164 zweisprach­ige Ortstafeln in den Südkärntne­r Gemeinden vorsieht.

Der heute 79-jährige Obmann des Kärntner Heimatdien­stes (KHD), Josef Feldner, hat sich von einem Scharfmach­er in der Volksgrupp­enfrage zu einem Mann des Dialogs und der Versöhnung gewandelt. „Der Volksgrupp­enstreit ist zu Ende“, sagt Feldner. Und: „Zweisprach­ige Ortstafeln sind heute in Kärnten kein Thema mehr.“Er will Kärnten zu einem Vorzeigela­nd machen: „Zeigen wir im Kleinen, wie ein friedliche­s und partnersch­aftliches Zusammenle­ben der Völker weltweit funktionie­ren könnte.“

„Zweisprach­ige Ortstafeln sind heute kein Thema mehr.“Josef Feldner, Kärntner Heimatdien­st

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BILD: SN/VOTAVA / IMAGNO / PICTUREDES­K.COM Erregten über Jahrzehnte in Kärnten die Gemüter: zweisprach­ige Ortstafeln.
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