Er ist nachdenklich geworden
Mit fünf Siegen hält Titelverteidiger und WM-Spitzenreiter Lewis Hamilton den Rekord in Ungarn, aber die Favoritenrolle weist der Brite nach den heuer schon erlebten Rückschlägen von sich.
Die Formel 1 erlebt 2018 einen anderen Lewis Hamilton. Nachdenklich bis hin zur Demut und er scheut sich nicht zuzugeben, dass er an höhere Mächte glaubt. Das draufgängerische Popstar-Image mit häufig wechselnden Partnerinnen an seiner Seite pflegt er derzeit in der Öffentlichkeit nicht „Das war Jesus. Er hat meine Gebete erhört“, so äußerte er sich vor einer Woche, als er auf dem Hockenheimring von einem an sich aussichtslosen Startplatz 14 zum Sieg gefahren war.
Erstmals seit der Saison 2014, in der seine Erfolgsserie bei Mercedes begann, steckt der vierfache Weltmeister mit einem aus seiner Sicht ebenbürtigen Rivalen in einem Titelduell. Sebastian Vettel und dessen Ferrari verlangen dem Erfolgsverwöhnten alles ab.
„Ich bin nicht perfekt. Der Druck ist unglaublich hoch. Wir müssen aus jedem Millimeter noch etwas herausholen. Es ist das intensivste Duell, das ich je erlebt habe“, sagt Hamilton vor dem Großen Preis von Ungarn am Sonntag auf dem Hungaroring (Start 15.10 Uhr). Den Verlust der Weltmeisterschaft 2016 an Teamkollegen Nico Rosberg hatte Hamilton nur als einen durch äußere Umstände wie Defekte an seinem Auto verursachten Betriebsunfall gewertet. Er würdigt übrigens Rosberg seither keines Blickes. Auf dem Hockenheimring hatte Hamilton erfolgreich darum gekämpft, dass Othmar Behr berichtet für die SN aus Mogyoród Rosberg nicht die öffentlichen Interviews bei der Siegerehrung macht. Rosberg hatte es mit Fassung getragen: „Eines Tages wird sich sein Verhalten mir gegenüber wieder ändern.“
Verschärfend beim heurigen Kampf um die Weltmeisterschaft: Sowohl bei Hamilton, als auch bei Herausforderer Vettel wechseln sich Erfolgserlebnisse und Tiefschläge ab. Keinem der beiden gelang es bisher, sich mit einem Vorsprung Luft zu verschaffen. Hamilton liegt vor dem Rennen in Ungarn 17 Zähler vor Vettel und er ist mit fünf Siegen der Rekordhalter auf dem Hungaroring. Dennoch will er von einer Favoritenrolle nichts wissen: „Die Ferrari waren im Vorjahr hier die Schnellsten. Es wird wohl auch an diesem Wochenende wieder so sein. Und Red Bull ist nahe dran. Der Sieg in Deutschland hat uns nicht mehr Selbstvertrauen gegeben. Es sind noch viele Bereiche vorhanden, in denen wir uns mit dem Team verbessern müssen. Wir waren schon einmal zuverlässiger.“Ein Doppelausfall aus technischen Gründen, wie ihn Mercedes beim Großen Preis von Österreich hatte hinnehmen müssen, sei lang undenkbar gewesen.
Hamiltons theatralischer Auftritt in Hockenheim mit Anschieben des defekten Autos im Qualifying, Hinknien und minutenlangem Vergraben des Kopfes sowie die Hinweise auf seine „von oben“gehörten Gebete nach dem Sieg beflügeln so manche Fantasie. Am Freitag machte im Fahrerlager des Hungarorings und in den sozialen Medien ein angebliches Zitat von Ex-Weltmeister Jacques Villeneuve die Runde: „Hamilton hält sich bereits für Jesus.“Der Kanadier, vor 21 Jahren letzter Titelträger für das aktuell ins Abseits gerutschte Team Williams, hatte Mühe, das zu entkräften: „Solche Worte würden nie aus meinem Mund kommen. Es ist ein Wahnsinn, was sich im Fahrerlager alles verselbstständigen kann.“
In den Freitag-Trainings gab am Vormittag Daniel Ricciardo im Red Bull den Ton an. Am Nachmittag distanzierte Sebastian Vettel alle. Wie immer ließ der erste Tag viele Fragen offen, da am Freitag traditionell ausprobiert wird. Ricciardo schwächte auch gleich ab: „Es wird vorne sehr eng zugehen.“
Im Vorjahr war es auf dem Hungaroring im Team von Red Bull Racing selbst eng zugegangen. Verstappen hatte Ricciardo schon kurz nach Beginn an der Seite gerammt. Für den Australier war das Rennen zu Ende, der Niederländer rettete noch den fünften Platz. Vettel und Räikkönen hatten einen FerrariDoppelsieg gefeiert. Das MercedesDuo Bottas/Hamilton folgte.