Laster vs. Tugend: eins zu null
Warum Moralapostel der Wirtschaft schaden können Bernard Mandeville (1670–1733) entstammte einer wohlhabenden Hugenottenfamilie, die Ende des 16. Jahrhunderts vor brutaler Verfolgung aus Frankreich in die Niederlande geflohen war. Er studierte Medizin und zog nach London, wo er ein angesehener Arzt war. Mit provozierenden Schriften legte er den Finger in offene Wunden. Er verfasste eine „Befürwortung öffentlicher Bordelle“und „Freie Gedanken über Religion, Kirche und nationales Glück“; Berühmtheit erlangte er mit seiner „Bienenfabel“, die erstmals 1705, erweitert 1714 erschien und zum Bestseller wurde. Darin verglich er den Staat mit einem regen Bienenstock, in dem sich die einzelnen Berufe aber durch lasterhaftes Verhalten auszeichneten: Die Advokaten waren Rechtsverdreher, den Ärzten zählte Ruhm und Geld mehr als das Wohl ihrer Patienten, die Minister waren untreu und so mancher General würde vom Feind Geld nehmen. Doch gerade Laster aller Art, von der Trunksucht über die Verschwendung hin zur Gier, kurbeln die Wirtschaft an. „Die Sucht, sich als modern in Speisen, in Kleid und Möbeln zu erweisen, stets ein Objekt des Spottes zwar, des Handels wahre Triebkraft war.“Als sich im Bienenstock die Moralapostel durchsetzten und tugendhafter Verzicht geübt wurde, brachen aufgrund der fehlenden Nachfrage Industrie und Handel zusammen. Mandeville wurde von Zeitgenossen scharf kritisiert, traf aber den Kern der Sache: Damals wie heute beleben private Laster, vor allem das grenzenlose Habenwollen des Einzelnen, die Wirtschaft. Alexandra Bleyer