Ein Selbsttest auf den Spuren der Expressionisten in Bayern.
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Es hat geregnet, die Erde dampft, die Mücken summen, irgendwo läuten Kuhglocken. Treffpunkt mit dem Künstler ist vor dem „Ähndl“, der pittoresken Traditionsgaststätte am Murnauer Moos. Vielleicht doch lieber auf ein Bier? Doch in Murnau muss man eigentlich malen. Wenn man schon einmal da ist. In dem bayrischen Staffelsee-Städtchen und Wahlheimat von Expressionisten wie Wassily Kandinsky und Gabriele Münter, das sich aktuell durch eine bemerkenswert lebendige Künstlerszene mit zahlreichen Galerien und Aktionen auszeichnet, stößt man zwangsläufig auf das Thema Kunst. Und sogar im „Ähndl“hat neben der Kochkunst auch die bildende ein Wörtchen mitzureden.
Christian Schied schaut in den Himmel, nickt, verteilt praktische Metall-Staffeleien und Klappstühlchen und gibt die Richtung vor. Ein schmaler Weg führt direkt ins Murnauer Moos, die größte zusammenhängende Moorlandschaft der Alpen. Besser gesagt: Genau bis zu dessen Rand, ab dem es sumpfig wird. Zuerst die Motivauswahl. Mit Bäumen im Vordergrund öffnet sich der Tunneloder Fensterblick und Tiefe kommt ins Bild, ohne all das haben wir aber weniger Details. Also lieber ein Stückchen nach links, wir wollen es sachte angehen lassen.
Der Experte erklärt, das Moos mit seinen Gräsern, dahinter das Wettersteinmassiv mit Zugspitze und Alpspitze. Leider momentan verhangen, aber dennoch vorstellbar. Und ohnehin sieht jeder anders. Die Subjektivität des Betrachters. Christian Schied beschreibt den Bildaufbau – in Worten und mit Bleistift auf Papier.
Jeder fertigt seine eigene Skizze, um in der Schwarz-Weiß-Eintönigkeit ein Gefühl für die passende Helligkeit zu bekommen. „Ein zentraler Begriff der Farbenlehre“, erklärt Schied. „Je nach Lichtverhältnissen kann das Moos im Bleistiftbild dieselbe Helligkeit wie der Himmel haben, nur in einem anderen Farbton eben.“
Okay. Mischen. Gelb, Blau, Rot, Weiß – daraus lässt sich die komplette Palette zaubern. Kennt man irgendwie noch aus der Schule. Jeder probiert sich aus. Ganz unterschiedliche Ergebnisse entstehen. Bunte Bilder in Acrylfarbe. Schied gibt individuelle Tipps, verrät Tricks und bestärkt. „Mit Farbe darf man schon mutig sein“, sagt er, „aber nicht jeder Mut wird belohnt.“Dennoch sind es gerade die Überraschungen, auf die er sich auch nach 20 Jahren Malkursen immer wieder freut. „Besonders auf die guten Fehler. Wenn etwas den klassischen Regeln widerspricht, aber trotzdem in sich stimmig ist.“
Schied vermittelt im Moos keine bestimmte Technik. Stattdessen die Grammatik, die gebraucht wird, um sich bildlich auszudrücken. „Mit den Grundbegriffen im Hinterkopf können auch Anfänger erstaunliche Resultate erzielen“, weiß der Künstler. Obwohl er selbst seine Akzente in der konkreten Malerei setzt, kann er die Begeisterung der Expressionisten nachempfinden, die sich in Murnau und dem Blauen Land verewigt haben. Dabei ist es weniger die royale Farbe Blau in all ihren Schattierungen, vielmehr das fantastische Spiel der Farben und des Lichts, das es ihm angetan hat.
Zum Malen im Moos hat er einen Platz gewählt, an dem die Farben im Hintergrund wärmere Töne haben als die im Vordergrund: „Ein absolut starkes Phänomen“, sagt Schied. Und auch man selbst erkennt es plötzlich. Fazit: Ein überaus lehrreicher Nachmittag mit kreativem Erfolgserlebnis – und in spektakulärer Kulisse. Nachdem man mutig über den eigenen Schatten gesprungen ist, scheint das Feierabendbier im Ähndl jetzt wirklich verdient. Von April bis Oktober. Christian Schied bietet regelmäßig Ganztageskurse (60 Euro) sowie Halbtageskurse (30 Euro), Tourist-Information Murnau,