„Ich bin eine Vorkämpferin für Frauen“
Staatssekretärin Karoline Edtstadler ist die Senkrechtstarterin in der Bundesregierung. Die Juristin spricht über Schlüsselerlebnisse, ihren Gerechtigkeitssinn und die Erfahrungen als einstens erste Ministrantin.
SN: Sie haben Hellbrunn als Treffpunkt gewählt. Warum? Meine beste Freundin, Karin Höllinger, arbeitet seit 14 Jahren im Schloss Hellbrunn. Als ich noch in Salzburg gelebt habe, war das unser Treffpunkt. Ich habe aber auch im Park sehr viele schöne Stunden mit meinem Sohn verbracht, als er noch klein war. Ich selbst bin ja in Elixhausen aufgewachsen und war sehr stark ins dörfliche Leben eingebunden. Ich war bei der Blasmusik, habe den Jugendverein mitbegründet. Und ich war die erste weibliche Ministrantin in Elixhausen – übrigens mit der Karin. Wir kennen uns seit dem Kindergarten.
Wir haben einige Jahre ministriert, bis es irgendwann geheißen hat: „Jetzt, wo sich unter dem Messgewand weibliche Formen abzuzeichnen beginnen, ist es geschickter aufzuhören.“
Das war damals, Anfang der 1990er-Jahre, wirklich noch so. Deshalb bin ich dann mit ungefähr zwölf Jahren in den Kirchenchor gewechselt. SN: Haben Sie das als diskriminierend empfunden? Es war natürlich ein Thema. Wir Mädchen haben uns schon vorher öfter durchsetzen müssen. Wenn der Erzbischof gekommen ist, hat es zum Beispiel geheißen, die Ministrantinnen sollten nicht die ersten Rollen haben. Ich empfinde mich ein bisschen als Vorkämpferin dafür, dass man als Frau in allen Rollen aktiv ist. SN: Sie haben einmal gesagt, dass die MeToo-Debatte viel bewirkt habe. Was genau? Sie hat gezeigt, dass noch immer viele Frauen von Geringschätzung betroffen sind. Dass es nicht selbstverständlich war, dass sie sich gewehrt haben. Ich verwehre mich auch dagegen, dass man alles Fehlverhalten als Lächerlichkeiten abtut, solange es nicht strafrechtlich relevant ist. Die MeToo-Debatte hat gezeigt, welche Unkultur sich in fast allen Bereichen breitgemacht hat. Darüber offen zu sprechen verleiht Frauen ein Mehr als Selbstbewusstsein. Es muss endlich aufhören, dass Frauen lieber schweigen, damit sie keine Nachteile erleiden. Die MeTooDebatte ist ein Vehikel dafür, dass wir durchgehend zu einer Gleichberechtigung kommen. SN: Haben Sie selbst Diskriminierungen, Abwertungen oder Gewalt erfahren? Ich selbst nicht. Aber ich habe es beobachtet. Man wird auch in der Politik als Frau anders behandelt. Es wird genau beobachtet: „Wie kleidet sie sich, welchen Schmuck trägt sie?“Mir sagt man oft, ich sei fesch. Ich will nicht darauf reduziert werden. Mir geht es darum, etwas zu erreichen. SN: Was sind die Gründe, warum immer noch so wenige Frauen in der Politik sind? Frauen sind sich gegenüber viel kritischer als Männer. Sie trauen sich oft nicht zu, Kinder und Karriere zu managen. Aber es geht beides, wenn man das entsprechende Umfeld hat. Und wenn sich in der Gesellschaft die Erkenntnis herausbildet, dass für Kinder beide Geschlechter zuständig sind. Wir Frauen müssen den Frauen den Rücken stärken. SN: Es gab Kritik von Frauen anderer Parteien an Ihnen, da Sie ein Pilotprojekt zur Gewaltprävention in Wien nicht weiterführen. An künftigen Morden an Frauen würden Sie Mitschuld tragen, hieß es. Wie trifft Sie das? Schade, dass das genau von Frauen kommt wie von der ehemaligen SPÖ-Frauenministerin Hei-
nisch-Hosek. Denn die Kritik ist unberechtigt. Ich habe mit dem Projekt „Taskforce Strafrecht“vor, den Opferschutz und die Täterarbeit über ganz Österreich mit einheitlichen Standards auszubauen. Ich kann mich an kein Projekt unter ihrer Federführung erinnern, das nur ansatzweise die Dimension in der Gewaltprävention hatte wie unser Vorhaben. SN: Gesetze spiegeln die Wertehaltung in einer Gesellschaft wider. Was davon ist Ihnen besonders wichtig? Mir war immer wesentlich, dass körperliche und sexuelle Integrität mehr zählen als materielle Güter. Vermögensdelikte werden in der Rechtsprechung spürbar strenger geahndet. Dabei geht es letztlich „nur“um Geld. Aber Taten gegen die körperliche und sexuelle Integrität bedeuten für ein Opfer oft lebenslanges Leid.
Ich habe am Anfang meiner Tätigkeit als Richterin in meinem persönlichen Umfeld eine Erfahrung gemacht, die mich sehr geprägt hat. Eine durchaus selbstbewusste junge Frau wurde nach Beendigung einer Beziehung durch diesen Ex-Freund genötigt. Sie ist damals in der Nacht völlig aufgelöst zu mir gekommen, mit blauen Flecken am Oberarm. Ich habe damals gesagt: „Das musst du anzeigen.“Ich habe sie auch zur Anzeige begleitet.
Dann ging die Causa natürlich zur Staatsanwaltschaft, darauf kam die Zuweisung zum Verein Neustart. Meine Freundin ging zu diesem ersten Termin, wo man bemüht war, einen außergerichtlichen Tatausgleich zu schaffen. Aber: Sie kam allein, während der Täter einen Anwalt dabeihatte. Danach kam sie wieder zu mir und hat gesagt: „Eigentlich hat mir der Anwalt das Gefühl gegeben, wenn ich nicht sofort in alles einwillige, dann bin diejenige, die das Leben des Mannes versaut.“
Genau darum geht es mir: Es muss endlich in der Gesellschaft klar sein, dass der Täter eine Handlung setzt, die sanktioniert werden muss. Und dass nicht das Opfer daran schuld ist, wenn er eine Sanktion auf sich nehmen muss. Ich kämpfe dafür, dass es nicht zu einer Täter-Opfer-Umkehr kommt. In dem geschilderten Fall kam es übrigens zu einem außergerichtlichen Tatausgleich. SN: Wann wurde Ihr Gerechtigkeitssinn geweckt? Gerechtigkeit war immer ein Thema in meiner Familie. Ich bin die älteste von drei Schwestern. Wenn wir teilen mussten, haben meine Eltern immer gesagt: „Die Älteste teilt, die Jüngeren wählen.“So kommt niemand zu kurz. SN: Ihr Vater Karl Edtstadler war Landtagsdirektor. Welche Rolle hat Politik in Ihrem Elternhaus gespielt? Ich habe von jüngster Kindheit an politische Debatten beim Abendessen erlebt. Mein Großvater mütterlicherseits war für mich eine wesentliche Ansprechperson. Der Opa war Kraftfahrer bei der Post, er hat einen Autobus gelenkt. Er war ein totaler Fan von Wilfried Haslauer senior. In seinem Auto hatte er ein rundes Pickerl vom Landeshauptmann. „Das ist der, der auf unser Salzburg schaut“, hat er gesagt. SN: Wer hat Sie gebeten, in die Regierung zu gehen? Gefragt hat mich Bundeskanzler Sebastian Kurz, und es gab große Unterstützung von Landeshauptmann Wilfried Haslauer. SN: Wie lang haben Sie überlegen müssen? Ich habe spontan Ja gesagt. Es war mir immer klar: Wenn ich jemals die Chance bekommen sollte, politische Verantwortung zu übernehmen, würde ich es tun. Ich mag Menschen, und das ist eine wesentliche Voraussetzung für Politik. Ich war ja zwei Jahre Gemeindevertreterin in Henndorf. SN: Was sagte Ihre Familie? Meine Eltern waren die Ersten, die ich eingeweiht habe. Ich bin ja in der Nacht von Straßburg nach Österreich gefahren. Ich habe meine Eltern angerufen. Sie waren baff – und auch sehr stolz.