Spanien ist das neue Ziel der Migranten
Ein österreichischer Experte unterbreitet einen interessanten Vorschlag.
Angesichts der drastisch gestiegenen Anzahl von Flüchtlingen an der andalusischen Küste sucht die Regierung in Madrid fieberhaft nach Lösungen – sowohl auf nationaler als auch auf europäischer und afrikanischer Ebene. Innenminister Fernando Grande-Marlaska reiste am Montag zu Gesprächen nach Mauretanien, nachdem er am Wochenende die staatlichen Seenotretter und die Polizei in Andalusien besucht hatte. Seit Freitag hatte der Seerettungsdienst mehr als 1400 Flüchtlinge auf Dutzenden Booten aufgegriffen. Die Zahl der Ankünfte im Juli lag bei etwa 10.000. Der neue Chef der konservativen Volkspartei, Pablo Casado, warf der Regierung vor, durch die Aufnahme der Flüchtlinge des Rettungsschiffs „Aquarius“den Ansturm auf die spanischen Küsten erst heraufbeschworen zu haben.
Bereits in den nächsten Tagen soll in Algeciras ein Erstaufnahmezentrum eröffnet werden. Der österreichische Migrationsforscher Gerald Knaus brachte indes ein Aufnahmezentrum ins Spiel, an dem sich auch Deutschland, Frankreich und die Niederlande beteiligen könnten. Es brauche „dringend“eine Alternative zu der „brutalen Politik“des italienischen Innenministers Matteo Salvini.
Die Volkspartei rutscht deutlich nach rechts
MADRID. Allein im Juli kamen nahezu 10.000 Flüchtlinge und Migranten in mehr als 100 Booten in Südspanien an. Das Land erlebt die größte Migrationskrise der vergangenen Jahrzehnte. Der Ansturm sorgt für chaotische Zustände in den Aufnahmezentren in Andalusien. Und er verursacht politische Spannungen. Die Flüchtlingskrise hat den ewig köchelnden Katalonien-Konflikt aus den Schlagzeilen verdrängt.
Der weit rechts stehende neue Chef der konservativen Partei, Pablo Casado, fuhr grobe Geschütze auf. Er warf dem sozialistischen Ministerpräsidenten Pedro Sánchez vor, mit der Aufnahme des NGOSchiffs „Aquarius“Mitte Juni einen Sogeffekt erzeugt zu haben. Sánchez hatte die „Aquarius“, die mit 630 Schiffbrüchigen an Bord in Italien nicht anlegen durfte, nach Spanien gelotst.
Die Regierung verweist darauf, dass die Zahl der Migranten bereits seit Jahren kontinuierlich wächst. 2017, als noch die Konservativen unter Mariano Rajoy regierten, hatten sich die Ankünfte schon auf rund 22.000 verdoppelt. 2018 könnten erneut deutlich mehr Menschen ankommen. Spanien hat Italien als wichtigstes europäisches Ankunftsland abgelöst. Eine Wende, die in der Bevölkerung Sorgen weckt. Pablo Casado will das für sich nutzen. „Es ist nicht möglich, dass es Papiere für alle gibt“, verbreitete er per Twitter. „Ein Sozialstaat kann es sich nicht leisten, Millionen Afrikaner aufzunehmen.“Casados Tweet hat mit der Wirklichkeit wenig zu tun: Spanien verteilt weder großzügige Sozialleistungen noch Papiere an Migranten. Und es sind auch nicht Millionen, die an Südeuropas Küste ankommen. Aber die Botschaft reichte, um die Debatte zu vergiften.
Die Staatssekretärin für Einwanderungsfragen, Consuelo Rumí, warnte, dass sich Oppositionschef Casado auf gefährliche Weise den rechtspopulistischen Reden des italienischen Innenministers Matteo Salvini nähert. Sie forderte Casado auf, keine Ängste zu schüren.
Die linksliberale „El País“, Spaniens auflagenstärkste Tageszeitung, schrieb in einem Kommentar unter dem Titel „Pablo Salvini“: „Es kommen schlechtere Zeiten.“Eine klare Anspielung darauf, dass Spaniens neuer Chefkonservativer mit seinem programmatischen Kurs die Volkspartei immer weiter nach rechts rückt. Unterdessen bemüht sich die seit Juni regierende sozialistische Regierung, die Lage in den Griff zu bekommen. Innenminister Fernando Grande-Marlaska warf der konservativen Vorgängerregierung von Mariano Rajoy vor, ohne jegliche Vorbereitungen in das absehbare Migrationsdrama getrieben zu sein.
Der Minister kündigte einen Notfallplan an, um Spaniens unzureichende Aufnahmekapazitäten auszubauen. Zudem soll gemeinsam mit der EU-Grenzschutzagentur Frontex die Seeüberwachung zwischen Spanien und Marokko verbessert werden. Derweil wächst in Madrid die Überzeugung, dass sich die Situation im westlichen Mittelmeer nur zusammen mit Marokko unter Kontrolle bringen lässt. Fast alle Boote, die derzeit in Südspanien ankommen, legen von der marokkanischen Küste ab. Nach Erkenntnissen des spanischen Geheimdienstes spielt dabei auch eine Rolle, dass Marokkos Grenzschutz weniger streng gegen die Bootsabfahrten vorgeht. Dabei gilt die Überwachung im Reich von König Mohammed VI. eigentlich als sehr effektiv.
„Kein Boot legt in Marokko ohne Wissen der Behörden ab“, hört man immer wieder aus spanischen Sicherheitskreisen. Dass Marokkos Grenzschutz derzeit offenbar wegschaut, könnte politisches Kalkül sein: Der Druck soll erhöht und der Preis für eine Zusammenarbeit nach oben getrieben werden.
Die EU-Kommission wiederum betonte am Montag, sie sei sich der verschärften Lage bewusst. Spanien werde die angeforderte Unterstützung bekommen. Ebenso würden aber Marokko und Tunesien unterstützt werden. Anfang Juli hat die Kommission 55 Millionen Euro für die zwei nordafrikanischen Staaten genehmigt, um Grenzmanagement und den Kampf gegen Schlepperei zu verbessern.