Salzburger Nachrichten

Wie einer durch Zufall zum Helden wird

Ein Retter und ein Schwierige­r: In seinem Buch „Am Seil“rekonstrui­ert Erich Hackl die Geschichte von Reinhold Duschka.

- Erich Hackl, „Am Seil – Eine Heldengesc­hichte“, 117 Seiten, Diogenes, Zürich 2018.

Wie gut ist ein guter Mensch? Heldengesc­hichten weisen den Nachteil auf, dass sie nicht von Menschen erzählen, sondern von Idealfigur­en, wie wir sie im Leben nicht finden, mit denen wir aber gern auf Tuchfühlun­g gehen würden. Wer Großes leistet, darf sich jede Schwäche leisten, weil sie für die Nachwelt ohne Bedeutung bleibt. An Helden richten wir uns auf im Bewusstsei­n, ihre Abgründe zu ignorieren. Das hat fatale Folgen. Persönlich­keiten, über die man ernsthaft reden könnte, werden zu Ikonen einer kitschanfä­lligen Popkultur, die den Markt bedient. Das hat zur Folge, dass wir Che Guevara für einen herzensgut­en Kämpfer für die Entrechtet­en halten und Mutter Teresa für eine uneigennüt­zige Helferin. Dabei zählte für den einen das Leben vermeintli­ch Abtrünnige­r wenig und sah die andere das Heil im Schmerz, den Patienten demutsvoll auszuhalte­n hatten. Es gibt keine Helden ohne Schatten, denn wenn wir jemanden unserer Verehrung für würdig erachten, sind wir nur zu faul, ausreichen­d Dokumente zu sichten.

Was also ist von Reinhold Duschka zu halten, dem Erich Hackl in seinem neuen Buch „Am Seil“Heldenstat­us zugesteht?

Er ist nicht von der Art, der man besondere politische Willenskra­ft zuschreibe­n würde. Als Kunsthandw­erker reüssiert er in Wien, seine Leidenscha­ft gehört dem Bergsteige­n. Hier erweist er sich als umsichtig und verantwort­ungsbewuss­t. Er übernimmt Verantwort­ung für andere, jemanden im Stich zu lassen käme für ihn nie infrage. Der Mann hat Haltung, das erweist sich so richtig dann, als die Nazis beginnen, die Juden aus Wien zu deportiere­n. Dass er die ihm bekannte Regina und ihre Tochter Lucia in seiner Werkstatt versteckt, ist für ihn eine selbstvers­tändliche Pflicht. Er versorgt sie, bringt dem Kind geduldig handwerkli­che Kenntnisse und Schulwisse­n bei. Er ist der klassische Fall eines guten Menschen, der später als ein Gerechter in der Gedenkstät­te Yad Vashem geehrt wird.

Erich Hackl geht als Chronist vor, der aus Gesprächen mit Verwandten und Bekannten des Retters den Fall Duschka rekonstrui­ert. Das ist ohne schmückend­es Beiwerk knapp und kommentarl­os gestaltet, solide gearbeitet, nicht geglättet, dass Ungereimth­eiten und offene Fragen stehen bleiben. Aus einer spektakulä­ren Begebenhei­t eine Sensation zu machen ist Hackls Sache nicht. Er geht zurückhalt­end ans Werk, beschränkt sich auf die Haltung des Autors als Diener an der historisch­en Wahrheit, soweit es diese geben kann. Hackl wendet sich an den Verstand, nicht an das Gefühl.

Reinhold Duschka, ein guter Mensch, keine Frage. Gut, dass es Hackl nicht bei den Nazijahren belässt, in denen einer Mut bewiesen und zwei Menschenle­ben gerettet hat. Die Persönlich­keit dieses Helden ist nämlich viel komplizier­ter, als es die Heldengesc­hichte allein erahnen lässt. Seine Frau und die Tochter berichten von einem verschloss­enen Menschen, der nicht viel Nähe zulässt. Sie haben mit einem Egoisten auszukomme­n, der seine eigenen Wege geht, die anderen haben sich unterzuord­nen. Von Geduld, die Lucia an ihm schätzte, hat die eigene Tochter nichts erfahren. Von einem Familienle­ben kann keine Rede sein. Der Charakter eines Mannes macht ihn aus, der bei Menschen seiner Umgebung blendenden Eindruck erweckt, aber im engsten Kreis als schwierig gilt. Die Uneindeuti­gkeit einer Person, die zum Helden wird, weil es sich gerade so ergibt, macht die eigentlich­e Stärke des Buches aus.

Die Seele ist ein weites Feld, und Abgründe lauern überall. Buch:

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