Wie einer durch Zufall zum Helden wird
Ein Retter und ein Schwieriger: In seinem Buch „Am Seil“rekonstruiert Erich Hackl die Geschichte von Reinhold Duschka.
Wie gut ist ein guter Mensch? Heldengeschichten weisen den Nachteil auf, dass sie nicht von Menschen erzählen, sondern von Idealfiguren, wie wir sie im Leben nicht finden, mit denen wir aber gern auf Tuchfühlung gehen würden. Wer Großes leistet, darf sich jede Schwäche leisten, weil sie für die Nachwelt ohne Bedeutung bleibt. An Helden richten wir uns auf im Bewusstsein, ihre Abgründe zu ignorieren. Das hat fatale Folgen. Persönlichkeiten, über die man ernsthaft reden könnte, werden zu Ikonen einer kitschanfälligen Popkultur, die den Markt bedient. Das hat zur Folge, dass wir Che Guevara für einen herzensguten Kämpfer für die Entrechteten halten und Mutter Teresa für eine uneigennützige Helferin. Dabei zählte für den einen das Leben vermeintlich Abtrünniger wenig und sah die andere das Heil im Schmerz, den Patienten demutsvoll auszuhalten hatten. Es gibt keine Helden ohne Schatten, denn wenn wir jemanden unserer Verehrung für würdig erachten, sind wir nur zu faul, ausreichend Dokumente zu sichten.
Was also ist von Reinhold Duschka zu halten, dem Erich Hackl in seinem neuen Buch „Am Seil“Heldenstatus zugesteht?
Er ist nicht von der Art, der man besondere politische Willenskraft zuschreiben würde. Als Kunsthandwerker reüssiert er in Wien, seine Leidenschaft gehört dem Bergsteigen. Hier erweist er sich als umsichtig und verantwortungsbewusst. Er übernimmt Verantwortung für andere, jemanden im Stich zu lassen käme für ihn nie infrage. Der Mann hat Haltung, das erweist sich so richtig dann, als die Nazis beginnen, die Juden aus Wien zu deportieren. Dass er die ihm bekannte Regina und ihre Tochter Lucia in seiner Werkstatt versteckt, ist für ihn eine selbstverständliche Pflicht. Er versorgt sie, bringt dem Kind geduldig handwerkliche Kenntnisse und Schulwissen bei. Er ist der klassische Fall eines guten Menschen, der später als ein Gerechter in der Gedenkstätte Yad Vashem geehrt wird.
Erich Hackl geht als Chronist vor, der aus Gesprächen mit Verwandten und Bekannten des Retters den Fall Duschka rekonstruiert. Das ist ohne schmückendes Beiwerk knapp und kommentarlos gestaltet, solide gearbeitet, nicht geglättet, dass Ungereimtheiten und offene Fragen stehen bleiben. Aus einer spektakulären Begebenheit eine Sensation zu machen ist Hackls Sache nicht. Er geht zurückhaltend ans Werk, beschränkt sich auf die Haltung des Autors als Diener an der historischen Wahrheit, soweit es diese geben kann. Hackl wendet sich an den Verstand, nicht an das Gefühl.
Reinhold Duschka, ein guter Mensch, keine Frage. Gut, dass es Hackl nicht bei den Nazijahren belässt, in denen einer Mut bewiesen und zwei Menschenleben gerettet hat. Die Persönlichkeit dieses Helden ist nämlich viel komplizierter, als es die Heldengeschichte allein erahnen lässt. Seine Frau und die Tochter berichten von einem verschlossenen Menschen, der nicht viel Nähe zulässt. Sie haben mit einem Egoisten auszukommen, der seine eigenen Wege geht, die anderen haben sich unterzuordnen. Von Geduld, die Lucia an ihm schätzte, hat die eigene Tochter nichts erfahren. Von einem Familienleben kann keine Rede sein. Der Charakter eines Mannes macht ihn aus, der bei Menschen seiner Umgebung blendenden Eindruck erweckt, aber im engsten Kreis als schwierig gilt. Die Uneindeutigkeit einer Person, die zum Helden wird, weil es sich gerade so ergibt, macht die eigentliche Stärke des Buches aus.
Die Seele ist ein weites Feld, und Abgründe lauern überall. Buch: