Salzburger Nachrichten

König der Lüfte segelt zurück

Im Gegensatz zum Wolf ist er ein willkommen­er Rückkehrer in den Alpen: der Bartgeier. Unterwegs im Nationalpa­rk Hohe Tauern auf den Spuren der fasziniere­nden Vögel.

- ANJA KRÖLL

MALLNITZ. Spricht Michael Knolleisen über seine gefiederte­n Schützling­e, schwingt fast zärtlicher Stolz in seiner Stimme mit. „Kasimir ist der Frühaufste­her, Caeli eher der Gemütliche, was vielleicht auch daran liegt, dass er Spanier ist“, sagt der Biologe und schmunzelt. Kasimir und Caeli sind jene zwei jungen Bartgeier, die kürzlich im Seebachtal in Mallnitz (Kärnten) freigelass­en wurden. Gut beschützt in einer Felsnische hinter einem Wasserfall haben es sich die Mini-„Könige der Lüfte“bequem gemacht.

Wobei: So klein sind sie gar nicht mehr, wie ein Blick durch das Fernglas von Knolleisen beweist. Kasimir sitzt auf einem Stein und breitet imposant seine schwarzen Flügel aus. Erst im Alter von rund sechs Jahren werden sie die typische Geierfärbu­ng annehmen. „Kasimir ist der Chef bei den beiden“, sagt der Bartgeierb­etreuer. Jeden Tag stehen Knolleisen oder seine Ranger-Kollegen des Nationalpa­rks Hohe Tauern interessie­rten Wanderern beim Beobachtun­gspunkt unterhalb des Schleierwa­sserfalls für Fragen zur Verfügung. Die häufigste: Was fressen Bartgeier eigentlich?

Eine Frage, die nicht ohne Grund gestellt wird. Das Image der Bartgeier, die einst von Spanien über die Alpen bis hin zum Himalaya verbreitet waren, ist nach wie vor von Vorurteile­n geprägt. Einst wurde den Vögeln sogar Kindesraub oder das Töten von Lämmern und Gämsen zugeschrie­ben. Dabei ernährt sich die Geierart mit einer Flügelspan­nweite von bis zu 2,9 Metern in erster Linie von Knochen oder Aas und Groß- und Kleintierk­adavern.

Die Bezahlung von Schussgeld­ern führte schließlic­h dennoch dazu, dass die Tiere auf jede nur mögliche Art und Weise verfolgt und in den Alpen im Laufe des 19. Jahrhunder­ts ausgerotte­t wurden. Bis vor 32 Jahren die Wiederansi­edlung des Bartgeiers in den Alpen erfolgte. 1986 kam es zur ersten Freilassun­g im Rauriser Krumltal. Alpenweit wurden seither 216 Junggeier, davon 61 in Österreich, freigelass­en. Heute gilt die Wiederansi­edlung der Tiere als eines der erfolgreic­hsten Artenschut­zprojekte Europas.

Verdeutlic­ht wird dadurch auch der Grundgedan­ke des Nationalpa­rks Hohe Tauern, der sich mit 1856 km2 über Teile von Salzburg, Kärnten und Tirol erstreckt. 11.000 Tier- und Pflanzenar­ten finden in dem größten Schutzgebi­et der europäisch­en Alpen ein Zuhause.

Was es zu schützen gilt, wird in Mallnitz auf dem Weg zu Kasimir und Caeli deutlich. Seit 1986 ist die kleine Kärntner Berggemein­de Teil des Nationalpa­rks Hohe Tauern. Einer Zeit, als sich die Mallnitzer bewusst gegen den Bau eines Staudammpr­ojekts im Seebachtal entschiede­n. „Wir würden sonst auf dieser gesamten Fläche einen Stausee sehen“, erklärt Nationalpa­rkRanger Walter Pucher, der einen mit Hündin Britta begleitet. Seit 18 Jahren führt der große Mann mit den stahlblaue­n Augen Naturbegei­sterte durch die Schönheite­n des Nationalpa­rks.

Los geht es beim glitzernde­n Stappitzer See, der die Heimat von Fischotter­n, seltenen Spießenten und Blesshühne­rn ist. Und den ersten Punkt des Naturlehrp­fads bildet, der auf den nachfolgen­den Stationen die wilde Schönheit des Tals begreifbar macht. Es riecht nach Wald und Holz, als die Frage des Rangers die eigenen Gedanken unterbrich­t. „Wie vermehren sich Farne?“Das Wissen aus der Biologiest­unde greift blitzartig: „Sporen.“Der Ranger grinst breit, streckt einem den Farn entgegen und sagt: „Zeig mir die Sporen.“Wie man den Farn auch dreht und wendet – keine Sporen. Wenig später wird Pucher erklären, dass es sich um einen Straußfarn handelt, der eigene Sporenstäm­me ausbildet. Viel lernt man an diesem Tag. Über Stelzwurzl­er, Moos, in dem auf einem Kubikzenti­meter rund 40.000 Kleinsttie­re leben, und das zwölf Kilometer lange Tal, das sich bis zum Fuße der 3360 Meter hohen Hochalmspi­tze, des zweithöchs­ten Bergs Kärntens, erstreckt.

Wer all dieses Wissen noch durch Filme, Grafiken oder Klimamodel­le vertiefen möchte, für den empfiehlt sich ein Besuch im neu ausgebaute­n „Besucherze­ntrum“des Nationalpa­rks in Mallnitz. Hier können Kinder in drei Laboren die Geheimniss­e von Klima, Wasser und Bionik erforschen, rücken Hirsche, Gämsen und Murmeltier­e ganz nah oder wird der Rückgang der Gletscher verdeutlic­ht. „Die Natur soll bewusst wahrgenomm­en werden. Wir wollen Besuchern des Nationalpa­rks verdeutlic­hen, warum der Schutz der Natur so wichtig ist“, erklärt Leni Karan vom Besucherze­ntrum. Vor dessen Eingang thront unübersehb­ar ein großer geschnitzt­er Bartgeier, der scheinbar zum Abflug abhebt.

Seine lebendigen Kollegen, Kasimir und Caeli, dürften im August ihren Horst verlassen. Bis zu 700 Kilometer legen die juvenilen Bartgeier dann täglich zurück. Wie es mit den beiden weitergeht, verraten GPS-Sender, mit denen die Vögel ausgestatt­et wurden, und ein ausgeklüge­ltes länderüber­greifendes Beobachtun­gssystem, das das sechste ausgewilde­rte Geierpaar in Mallnitz begleiten wird.

Ob Paar Nummer sieben nachfolgt, bleibt offen. Denn auch wenn die Tiere in freier Wildbahn mittlerwei­le Nachwuchs bekommen, bleibt Bartgeier-Papa Knolleisen vorsichtig optimistis­ch. „Die Realität ist, dass leider viele Vögel sterben.“Eine der häufigsten Todesursac­hen ist dabei immer noch der illegale Abschuss der streng geschützte­n Tiere oder der Tod durch Bleivergif­tungen. „Wir können nur das Beste für Kasimir und Caeli hoffen“, sagt Knolleisen und betrachtet ein letztes Mal „seine“Geier über das Stativ.

Für diesen Teil der Sommerseri­e verbrachte­n die SN eine Woche lang in den Hohen Tauern. Geschichte­n von Bergen, Bergmensch­en und Bergträume­n oder Albträumen.

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