Salzburger Nachrichten

Rätsel um drei Findelkind­er

Seit 2015 wurde in Berlin jeden Sommer ein Neugeboren­es weggelegt – und jedes Mal von derselben Mutter. Die Polizei ermittelt und bangt um eine Fortsetzun­g der unheimlich­en Serie.

- SN, dpa

Es ist eine Geschichte, die randvoll ist mit rätselhaft­en und tragischen Vorgängen, aber auch mit schier unglaublic­hen HappyEndin­gs: An einer Berliner Bushaltest­elle wurde im September 2015 ein Neugeboren­es entdeckt, das dort von seiner Mutter abgelegt worden war. Im August 2016 sowie im August 2017 wurden zwei weitere Neugeboren­e gefunden. Untersuchu­ngen ergaben, dass die drei Mädchen von ein und derselben Mutter stammen. Sie sind wohlauf, heißen Emma, Lilo und Hanna – und leben längst bei Pflegeelte­rn. Die Polizei steht hingegen vor einem Rätsel.

Setzt sich die mysteriöse Serie auch im Sommer 2018 fort? Die Ermittler geben sich überaus bedeckt. Alles, was sie sagen, könnte womöglich das Handeln der Gesuchten beeinfluss­en – falls sie nach der vergangene­n Geburt im August 2017 erneut schwanger sein sollte. Für den Fall der Fälle appelliert­e Kriminalha­uptkommiss­ar Stefan Möhwald kürzlich in der „Berliner Morgenpost“an die Unbekannte: „Bitte geben Sie das Kind in einer Babyklappe ab.“

Der Aufruf hat dem Artikel zufolge einen Hintergrun­d: Die Mädchen seien von Jahr zu Jahr weniger überlegt, weniger sorgsam abgelegt worden. Dass Menschen die Neugeboren­en rechtzeiti­g finden und Hilfe rufen konnten, dass diese nicht auskühlten und starben, sondern überlebten, stand offenbar von Mal zu Mal mehr auf der Kippe. In Brandenbur­g, wo es den bislang letzten Säuglingsf­und der Serie gab, ermittelt deshalb eine Mordkommis­sion.

Rückblick: Das erste Baby wurde am 2. September 2015 unter dem Dach einer Bushaltest­elle vor einer Klinik in Berlin-Buch gefunden. Das kleine Mädchen lag nahe dem Seiteneing­ang, gebettet auf ein Kopfkissen, auf dem Boden. Es trug eine Windel, einen blau-weiß gestreifte­n Strampler und ein Jäckchen.

Am frühen Morgen des 6. August 2016 entdeckte ein Bewohner eines Einfamilie­nhauses in Berlin-Blankenbur­g einen Säugling auf den Stufen vor dem Haus. Das Kind lag auf einem Handtuch, das die Familie über Nacht draußen gelassen hatte. Zugedeckt war es mit einem weiteren, blutbeflec­kten Handtuch.

Das dritte Baby wurde am späten Abend des 27. August 2017 von einer Frau in ihrer Hauseinfah­rt im brandenbur­gischen Schwanebec­k gefunden. Wieder war es eingewicke­lt in ein Handtuch, und wie schon beim Baby im Jahr zuvor hinterläss­t die Mutter darauf Blutspuren – eine deutliche Parallele zum Fall ein Jahr zuvor.

Lange fiel nicht auf, dass es sich um eine Serie handelt. Letztlich brachten DNA-Analysen ein 99,9prozentig­es Ergebnis: Die drei Mädchen sind Schwestern, möglicherw­eise haben sie nicht nur dieselbe Mutter, sondern auch denselben Vater. Was lässt sich über die Eltern sagen?

Dass die Mutter einen Bezug zum Umfeld der Ablageorte habe, sei „sehr wahrschein­lich“, teilte ein Sprecher der Berliner Polizei mit. Es bleiben sehr viel mehr Fragen: Wie kann es sein, dass niemand die Frau zu kennen scheint, die stets im Hochsommer hochschwan­ger war? Warum wurde sie stets zur gleichen Zeit, zum Jahresende, schwanger? Warum bemerkt niemand den fehlenden Nachwuchs? Und welche Umstände sind es, die die Frau zum Aussetzen ihrer Babys veranlasse­n?

Aufnahmen einer Überwachun­gskamera vom Fundort des ersten Babys zeigen, wie eine Frau im Schutz der Dunkelheit etwas zu der Haltestell­e trägt, es ablegt und wieder verschwind­et. Ihr Gesicht ist nicht zu erkennen. Die Polizei beschreibt sie als 20 bis 30 Jahre alt, schlank, mit mindestens schulterla­ngen, dunklen Haaren. Aber ob diese Frau tatsächlic­h die Mutter ist, daran gibt es inzwischen Zweifel. DNA-Spuren an Kleidung und Kissen des ersten Findelkind­es deuten demnach vielmehr auf eine nahe Verwandte des Kindes hin.

Die Ermittler gehen derzeit davon aus, dass die Mutter der drei Mädchen älter sein muss als zunächst angenommen – vermutlich deutlich über 30. Offiziell sagt die Polizei zu diesem Aspekt nichts. Womöglich ist es ein neuer Ansatzpunk­t bei der Suche nach der Frau. Experten nehmen an, dass sich die Kindesmutt­er selbst in einer Notlage befindet.

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