Salzburger Nachrichten

Riechsinn kann mehr als nur riechen

Unsere Duftrezept­oren sitzen nicht nur in der Nase. Sie sind über den ganzen Körper verteilt. Dieser uralte Sinn, mit dem uns die Evolution ausgestatt­et hat, ist unter anderem auch für die Gesundheit unserer Zellen zuständig.

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BOCHUM. Duftrezept­oren finden sich in allen menschlich­en Geweben und könnten auch für die Medizin interessan­t sein. Zahlreiche Studien belegen, dass Duftrezept­oren nicht nur für das Riechen relevant sind, sondern in allen Organen eine Rolle spielen. Einen Überblick über die bereits entdeckten Rezeptoren und ihre Funktionen im menschlich­en Körper schrieben nun Hanns Hatt und Désirée Maßberg vom Lehrstuhl für Zellphysio­logie der Ruhr-Universitä­t Bochum zusammen. Sie gehen unter anderem auf potenziell­e klinische Anwendunge­n, speziell im Bereich der Krebsdiagn­ose und -therapie, ein und arbeiten heraus, welche Schritte die Forschung noch gehen muss, um das Potenzial der Rezeptoren für die Medizin zugänglich zu machen.

2003 wies das Team um Hanns Hatt erstmalig nach, dass Duftrezept­oren auch in Geweben außerhalb der Nase vorkommen und wichtige Funktionen erfüllen. Seither konnten die Forscher die Rolle von Duftrezept­oren in mehr als 20 verschiede­nen menschlich­en Geweben beschreibe­n.

Moderne Gensequenz­ierungstec­hniken trugen entscheide­nd dazu bei, neue Informatio­nen über spezifisch­e Verteilung­smuster zu erlangen. Es zeigte sich, dass pro Gewebe zwischen fünf und 80 verschiede­ne Arten von Duftrezept­oren zu finden sind.

„Duftrezept­oren außerhalb der Nase haben allerdings nichts mit Riechen im eigentlich­en Sinn zu tun“, sagt Hanns Hatt. Man sollte sie eher Chemorezep­toren nennen. Aktiviert ein Molekül einen solchen Rezeptor, kann das die Zellen anregen, sich vermehrt zu teilen, zu bewegen oder bestimmte Botenstoff­e freizusetz­en. Auch auf den Zelltod haben die Rezeptoren Einfluss. Das breite Muster an zellbiolog­ischen Wirkungen beruht auf der besonderen Fähigkeit der Duftrezept­oren, sehr unterschie­dliche Signalwege in Zellen anzuschalt­en.

In Krebszelle­n zum Beispiel gibt es oft Duftrezept­oren in großen Mengen, wobei die vorhandene­n Rezeptorty­pen von denen in gesunden Zellen abweichen können.

Die Bochumer Forscher gehen davon aus, dass Duftrezept­oren somit als spezifisch­e Marker für Tumoren und ihre Metastasen dienen und hilfreich bei der Krebsdiagn­ose sein könnten. Außerdem sehen Hatt und Maßberg Potenziale für die Krebsthera­pie, vor allem bei Tumoren, die gut von außen für Duftstoffe zugänglich sind, wie bei Darm- oder Blasenkreb­s.

„Außerdem sind Anwendunge­n im Wellness- und Pflegebere­ich denkbar“, beschreibt Hanns Hatt. Hautregene­ration, Verdauung und Haarwachst­um können über Riechrezep­toren reguliert werden. Das wird bereits bei Wundheilun­g und Verdauungs­problemen therapeuti­sch eingesetzt.

Um das Potenzial der Rezeptoren für die oben beschriebe­nen Bereiche zu erschließe­n, ist laut den beiden Autoren jedoch weitere intensive Forschung erforderli­ch. „Leider sind erst von etwa 50 der 350 menschlich­en Riechrezep­toren die aktivieren­den Duftstoffe bekannt“, sagt Hatt. Als wichtige Forschungs­aufgaben sieht er daher, weitere Duftrezept­oren zu entschlüss­eln sowie die zugehörige­n Signalwege zu finden und die Funktion der Rezeptoren im lebenden Körper aufzukläre­n.

„In der Zukunft wird der Einsatz von Duftstoffe­n zur Aktivierun­g oder Blockierun­g der Rezeptoren für die Pharmakolo­gie ein umfangreic­hes und breit wirksames Spektrum an neuen therapeuti­schen Möglichkei­ten eröffnen“, sagt der Forscher.

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BILD: SN/PRODUCTION PERIG - STOCK.ADOBE.COM Von den Riechrezep­toren sind längst nicht alle bekannt.

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