Pompeji: Stadt der Händler
Der Name der antiken Stadt am Golf von Neapel ist für immer mit dem katastrophalen Vulkanausbruch im Jahr 79 nach Christus verbunden. Doch Pompeji war auch davor eine bekannte und geschäftige Ansiedlung.
„Wir hatten uns kaum niedergesetzt, da umhüllte uns die Nacht, nicht eine mondlose oder von Wolken verdunkelte Nacht, sondern die Finsternis eines geschlossenen, lichtlosen Raumes. Man hörte das Heulen der Frauen, das Gewimmer der Kinder, die Schreie der Männer. Viele hoben die Hände zu den Göttern; groß war die Zahl derer, die glaubten, es gebe keine Götter mehr und über die Welt sei die letzte, die ewige Nacht hereingebrochen.“Eindringlich schildert Plinius der Jüngere, Anwalt und Senator der römischen Kaiserzeit, von Misenum aus, wie der Vesuv im Jahr 79 nach Christus die Städte Pompeji und Herculaneum mit Feuer, Asche und Lava vernichtete.
Nach den ersten Ausgrabungen im 18. Jahrhundert erwachte das vom vulkanischen Auswurf einst konservierte Pompeji zu neuem Leben. Heute besuchen jedes Jahr drei Millionen Menschen die antiken Stätten, auf der Suche nach den Spuren der immer noch bewegenden Katastrophe.
Die in Pompeji arbeitenden Wissenschafter aus aller Welt wollen noch mehr und tiefer sehen. Denn in und unter den Fundamenten der Ruinen verbergen sich Hinweise auf die Geschichte der Stadt, die bei Weitem noch nicht zur Gänze erforscht ist. Zu diesen Spezialisten der Archäologie und Altertumskunde gehört Alexander Sokolicek. Er und seine Kollegen beschäftigen sich mit den frühen Phasen von Pompeji, mit Zeiten, in denen unterschiedliche Bevölkerungsgruppen dort regen Handel trieben.
Für dieses neue Vorhaben beteiligt sich das Österreichische Archäologische Institut (ÖAI) der Österreichischen Akademie der Wissenschaften am Forschungsprojekt „Casa di Arianna“des Archäologischen Instituts der spanischen Stadt Valencia. Ein Schlüssel zu den Anfängen von Pompeji liegt in der Bau- und Nutzungsgeschichte jenes Areals, auf dem die Casa di Arianna errichtet wurde: „Die Casa ist ein für uns glückliches Beispiel für die Frühgeschichte, denn wir können nicht überall danach graben. Dafür müsste man Böden aufreißen oder Mosaike aus der Römerzeit zerstören. Die Casa wurde im 2. Jahrhundert vor Christus in einer Zone unmittelbar vor der Altstadt von Pompeji errichtet, deren Anfänge bis in das 7. oder 6. Jahrhundert vor Christus zurückreichen. Die Stadtmauer der Altstadt, wohl aus dem 5. Jahrhundert vor Christus, liegt unterhalb der Casa di Arianna. Bevor die Casa errichtet wurde, blieb dieses Areal unbebaut, ehe mit der Neubesiedlung im Norden und Osten der Stadt im 2. Jahrhundert vor Christus ein neues Kapitel des städtischen Bauens in Pompeji aufgeschlagen wurde“, sagt Alexander Sokolicek.
Das Haus ist benannt nach Fresken, auf denen die mythologische Figur der Ariadne, Tochter des Königs Minos, zu sehen ist. Sie half dem Königssohn Theseus, das Ungeheuer Minotaurus im Labyrinth zu besiegen und mithilfe eines Fadens wieder herauszufinden. Der Gebäudekomplex umfasst 1700 Quadratmeter zwischen drei Höfen und dürfte einem reicheren Bürger im 2. Jahrhundert vor Christus gehört haben. „Die Casa lag damals wohl etwa zehn Gehminuten vom Hafen entfernt, von dem nichts mehr zu sehen ist, weil der Vulkanausbruch die ganze Küstenlinie veränderte. An einer Ecke der Straße fand sich eine Tonplakette mit einem Relief, auf dem zwei Männer eine riesige Amphore tragen. Das war wohl ein Hinweis, dass in dieser Amphorenstraße alles verkauft und gehandelt wurde, was sich in Amphoren abfüllen ließ. Archäologische Funde bestätigen das“, erklärt Alexander Sokolicek. An der zur Straße hin sich öffnenden Frontseite dürfte ein Parfumeur seinen Laden gehabt haben. Flacons für Parfums und Salben, Töpfe zum Aufbewahren aromatischer Blüten und Gewürze sowie Mahlsteine für Gewürze und Kräuter deuten darauf hin. „Es war damals nicht unüblich, in den Häusern ein Geschäft zu vermieten“, sagt Alexander Sokolicek.
Amphoren, diese zweihenkeligen bauchigen Tongefäße, liefern wichtige Hinweise auf das Leben in der Stadt. Sie waren generell seit dem 14. Jahrhundert vor Christus in Gebrauch als Einweggebinde, als Transportmittel und wiederbefüllbare Vorratskammer für Wein, Olivenöl, Würzsauce und eingelegte Früchte. Mit den Resten dieser Keramik beschäftigt sich das Team um den spanischen Archäologen Horacio González unter der Leitung von Albert Ribera. Die Form von Transportamphoren veränderte sich im Laufe der Zeit und bietet daher gute Datierungshilfen. An Stempeln und Beschriftungen ist zudem abzulesen, was importiert oder exportiert wurde und was die Bewohner der damaligen Zeit gern konsumierten.
Mit dem Wachstum der Stadt waren urbane Veränderungen wie das Entstehen innerstädtischer Wirtschaftsbetriebe verbunden, daher ist auch die Baugeschichte für die Archäologen interessant. Die Casa di Arianna ist Teil eines Häuserblocks, der den Ausgleich zwischen dem kleinteiligen Straßengeflecht der „Altstadt“und der regelmäßig angelegten Regio VI, einem Stadtviertel im Nordwesten von Pompeji, herstellte. Eine der Hauptfragen wird daher sein, ob die Bebauung dieses Häuserblocks auf ältere Strukturen oder eine ältere räumliche Gliederung des Stadtareals, wie etwa Straßenzüge oder Befestigungsanlagen, Rücksicht nahm. „Wir hoffen, mehr über die frühe Siedlungsgeschichte zu erfahren, denn darüber wissen wir wenig“, stellt Alexander Sokolicek fest.
Die Fachleute des Österreichischen Archäologischen Instituts begannen also damit, Hausmauern bis hin zu den Kellerräumen detailliert zu dokumentieren, um die baugeschichtlichen Zusammenhänge des Hauses und seiner Umgebung zu erforschen. Erstmals wurde in der Casa di Arianna eine verformungsgetreue Bestandsaufnahme der Architektur mittels 3D-Laserscanning und Drohnenbefliegung durchgeführt. Auch die traditionelle Vermessung von Hand durch Christoph Baier, der als Archäologe und Bauforscher am ÖAI die Bauaufnahme der Architektur übernahm, fehlte nicht.
Bekannt ist, dass Pompeji, auf einer Hochebene etwa zehn Kilometer südlich des Vesuv gelegen, ein früher Verkehrsknotenpunkt war und von Phöniziern, Griechen, den altitalischen Oskern sowie den Etruskern als Handelsstützpunkt geschätzt wurde. Etliches zu Pompeji ist in den Schriften des antiken griechischen Geschichtsschreibers Strabo nachzulesen, der für die Archäologen eine wichtige Informationsquelle ist. Im Hafen liefen Schiffe aus Griechenland, Spanien, Nordafrika und dem Nahen Osten ein. Papyrus, Gewürze, Trockenobst und Keramik wurden gegen Wein und Getreide getauscht.
Pompeji war schon vor den Römern eine wohlhabende und quirlige Stadt.
„Mit der Casa di Arianna erhalten wir Zugang zu älteren Stadtstrukturen.“Alexander Sokolicek, Archäologe ÖAI am Österreichischen Historischen Institut in Rom