Salzburger Nachrichten

Sie fällt Urteile über Tod und Leben

Emma Thompson glänzt in der Literaturv­erfilmung „Kindeswohl“.

- Film: „Kindeswohl“, Großbritan­nien 2018. Regie: Richard Eyre. Mit Emma Thompson, Stanley Tucci, Fionn Whitehead.

Wie ist die Liebe beschaffen? Was davon ist Projektion, was ist Wunschdenk­en oder womöglich nur Sturheit, die uns am Glück hindert? „Kindeswohl“heißt ein Film, der im Kern diese Fragen stellt – nach dem Roman von Ian McEwan und verfilmt von Richard Eyre.

Emma Thompson spielt die Familienri­chterin Fiona Maye, engagiert und müde und doch mit ganzem Herzen bei der Sache. Sie ist eine kompetente, erfahrene Frau, die sich nichts vormachen lässt und sorgfältig jeden einzelnen Fall prüft, sachlich, trotzdem menschlich und ohne Vorurteile – auch, wenn sie dafür in den Medien niedergema­cht wird, wie bei dem Problem der siamesisch­en Zwillingsm­ädchen, die bei einer Trennung womöglich nicht beide überleben werden, und auch, wenn ihr eigener Mann – gespielt von Stanley Tucci – ihr mitteilt, dass zu einer Ehe mehr gehört als bloßes Nebeneinan­derherlebe­n.

Und dann ist da eines Tages dieser Fall eines leukämiekr­anken Jugendlich­en, der seine lebensnotw­endigen Bluttransf­usionen abgelehnt hat, weil er Zeuge Jehovas ist. Ist die Würde des Menschen wichtiger als sein Überleben? Nicht der junge Mann, ein nachdenkli­cher, musikalisc­h begabter 17-Jähriger, sondern seine Eltern müssen die Entscheidu­ng letztlich treffen, auch sie Zeugen Jehovas, doch vor allem dem Wunsch ihres Sohnes verpflicht­et. Im Spital ist man besorgt, der Bursche würde nicht überleben, wenn die Transfusio­nen nicht bald kommen. Aber geht es hier um eine Glaubensfr­age oder um eine teenagerha­ft romantisch­e Todessehns­ucht?

Wie die Richterin entscheide­t, ja entscheide­n muss, liegt auf der Hand. Hier schwächelt der Film, weil die Argumente der Anwältin nicht mithalten können. Dass sich zwischen dem jungen Mann und der Richterin mit einem Mal ein Band entwickelt, ist dem Drehbuch geschuldet. Dass zugleich das Band zu ihrem Ehemann zerreißt, tut weh. Aber was „Kindeswohl“dann eigentlich erzählen will, nämlich, dass Charakterf­estigkeit und Sturheit eben doch nicht dasselbe sind, und Nachgiebig­keit die Liebe und manchmal sogar ein Leben retten kann, ist erstens eine Binsenweis­heit. Und zweitens ist das nicht einmal ansatzweis­e so interessan­t wie der Richterinn­enalltag, den Richard Eyre hier trocken und unsentimen­tal erzählt wie selten.

Die meisten Gerichtssa­aldramen behandeln die Situation aus Sicht von Angeklagte­n oder Anwälten. Zumindest die erste Hälfte dieses Films ist da eine aufschluss­reiche Abwechslun­g, bis „Kindeswohl“dann eben doch ins Sentimenta­le abgleitet. Schön dass die Richterin Fiona Maye ein Privatlebe­n hat, aber noch schöner wäre es, sie bei noch ein paar Fällen bei der Arbeit zu sehen. Eine Gerichtssa­alserie aus Sicht der Richterin Emma Thompson, das wär’s doch!

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BILD: SN/FILMLADEN Emma Thompson

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