Sie fällt Urteile über Tod und Leben
Emma Thompson glänzt in der Literaturverfilmung „Kindeswohl“.
Wie ist die Liebe beschaffen? Was davon ist Projektion, was ist Wunschdenken oder womöglich nur Sturheit, die uns am Glück hindert? „Kindeswohl“heißt ein Film, der im Kern diese Fragen stellt – nach dem Roman von Ian McEwan und verfilmt von Richard Eyre.
Emma Thompson spielt die Familienrichterin Fiona Maye, engagiert und müde und doch mit ganzem Herzen bei der Sache. Sie ist eine kompetente, erfahrene Frau, die sich nichts vormachen lässt und sorgfältig jeden einzelnen Fall prüft, sachlich, trotzdem menschlich und ohne Vorurteile – auch, wenn sie dafür in den Medien niedergemacht wird, wie bei dem Problem der siamesischen Zwillingsmädchen, die bei einer Trennung womöglich nicht beide überleben werden, und auch, wenn ihr eigener Mann – gespielt von Stanley Tucci – ihr mitteilt, dass zu einer Ehe mehr gehört als bloßes Nebeneinanderherleben.
Und dann ist da eines Tages dieser Fall eines leukämiekranken Jugendlichen, der seine lebensnotwendigen Bluttransfusionen abgelehnt hat, weil er Zeuge Jehovas ist. Ist die Würde des Menschen wichtiger als sein Überleben? Nicht der junge Mann, ein nachdenklicher, musikalisch begabter 17-Jähriger, sondern seine Eltern müssen die Entscheidung letztlich treffen, auch sie Zeugen Jehovas, doch vor allem dem Wunsch ihres Sohnes verpflichtet. Im Spital ist man besorgt, der Bursche würde nicht überleben, wenn die Transfusionen nicht bald kommen. Aber geht es hier um eine Glaubensfrage oder um eine teenagerhaft romantische Todessehnsucht?
Wie die Richterin entscheidet, ja entscheiden muss, liegt auf der Hand. Hier schwächelt der Film, weil die Argumente der Anwältin nicht mithalten können. Dass sich zwischen dem jungen Mann und der Richterin mit einem Mal ein Band entwickelt, ist dem Drehbuch geschuldet. Dass zugleich das Band zu ihrem Ehemann zerreißt, tut weh. Aber was „Kindeswohl“dann eigentlich erzählen will, nämlich, dass Charakterfestigkeit und Sturheit eben doch nicht dasselbe sind, und Nachgiebigkeit die Liebe und manchmal sogar ein Leben retten kann, ist erstens eine Binsenweisheit. Und zweitens ist das nicht einmal ansatzweise so interessant wie der Richterinnenalltag, den Richard Eyre hier trocken und unsentimental erzählt wie selten.
Die meisten Gerichtssaaldramen behandeln die Situation aus Sicht von Angeklagten oder Anwälten. Zumindest die erste Hälfte dieses Films ist da eine aufschlussreiche Abwechslung, bis „Kindeswohl“dann eben doch ins Sentimentale abgleitet. Schön dass die Richterin Fiona Maye ein Privatleben hat, aber noch schöner wäre es, sie bei noch ein paar Fällen bei der Arbeit zu sehen. Eine Gerichtssaalserie aus Sicht der Richterin Emma Thompson, das wär’s doch!