Salzburger Nachrichten

Zu viel Blei im Wiener Wasser

Wie viele Bleileitun­gen sich in den Wiener Gründerzei­thäusern verstecken, kann niemand genau sagen. Die Zahl an belasteten Trinkwasse­rproben lässt aber Schlimmes befürchten.

- Warnung vor Blei im Trinkwasse­r – Pb steht für das lateinisch­e Wort für Blei: Plumbum.

WIEN. Seit fast 150 Jahren sprudelt aus Wiener Wasserleit­ungen fast ausschließ­lich Hochquellw­asser. Kaum eine Millionens­tadt auf diesem Planeten verfügt über eine derart qualitativ hochwertig­e Wasservers­orgung. Trotzdem hat die Donaumetro­pole ein schwerwieg­endes Problem mit ihrem Wasser: Blei. Denn durch Tausende Gründerzei­tbauten – errichtet in den Jahren 1860 bis 1910 – schlängeln sich uralte Bleirohre. Und die kontaminie­ren nachweisli­ch das Trinkwasse­r der Mieter. Die SN begaben sich auf Spurensuch­e – und wurden fündig.

Wie viele der alten „Zinskasern­en“, wie die typischen Altbauten aus der Kaiserzeit auch genannt werden, noch mit Bleileitun­gen durchzogen sind, ist unbekannt. Weder Wiener Wohnen noch die Baupolizei konnten auf Anfrage auch nur grobe Schätzunge­n abgeben. Verbrieft ist lediglich, dass die Stadt Wien ihre eigenen Leitungen 2007 von Grund auf saniert hat. Doch diese Sanierung endete bei Gründerzei­thäusern, die sich meist in Privatbesi­tz befinden, beim Zählerkast­en. Hier hört auch die Obsorgepfl­icht der Kommune auf.

Wie hoch die Zahl der Häuser mit Bleileitun­gen sein muss, wird erst klar, wenn man bei der Hygieneabt­eilung der Magistrats­abteilung 39 vorstellig wird. Dorthin pilgern pro Jahr rund 1000 Wiener, um ihr Trinkwasse­r analysiere­n zu lassen. „Rund 4500 waren es in den vergangene­n fünf Jahren. Aber 2018 ist ja noch nicht vorbei“, sagt die Leiterin der Fachabteil­ung Hygiene, Theodossia Nadiotis-Tsaka. Diese Zahl eins zu eins mit jener der alten Häuser gleichzuse­tzen ist nicht zulässig. Sie erlaubt aber Rückschlüs­se. Das Ergebnis ist ernüchtern­d: „20 Prozent der Proben weisen erhöhte Bleikonzen­trationen auf.“

Tsaka betont, dass es sich dabei um Proben von „Stagnation­swasser“handelt, also jenem Wasser, das sich bereits länger in der Leitung befand. „Bei jenen Proben, wo man vorher das Wasser etwas laufen lässt, gibt es nur noch in zwei bis drei Prozent erhöhte Werte.“In der Hygieneabt­eilung der MA 39 gibt man daher stets die Empfehlung aus, abgestande­nes Wasser nicht zu trinken. Lasse man es etwas laufen, sei der Konsum unbedenkli­ch.

Diesen Ratschlag hält Piero Lercher für falsch. Der Umweltmedi­ziner und Umweltrefe­rent der Wiener Ärztekamme­r verweist auf den Grenzwert. Dieser wurde 2003 auf 0,025 Milligramm Blei pro Liter herabgeset­zt; und zehn Jahre später gleich noch einmal, auf 0,01 Milligramm pro Liter. „So etwas geschieht nicht ohne Grund.“Werde der Grenzwert überschrit­ten, sei das vor allem für Schwangere und Kleinkinde­r schädlich. „Blei ist ein Gift“, stellt Lercher klar. Das Wasser fließen zu lassen, bevor man es konsumiert, sei keine optimale Lösung: „Dazu gibt es ausreichen­d Statements von Experten.“

Mit zu viel Blei im Trinkwasse­r steigt die Gefahr einer Vergiftung. „Typische Symptome sind Veränderun­gen im Blutbild. Blei schädigt die Nieren. Und es führt zu Nervenstör­ungen“, erklärt der Umweltmedi­ziner. Die Folgen können von Abgeschlag­enheit, Kribbeln bis zu Schmerzen reichen. Lercher fordert: „Zinshausbe­sitzer müssen sich ihrer Verantwort­ung bewusst sein. Sie verdienen schließlic­h Geld – und das darf nicht auf Kosten der Gesundheit ihrer Mieter gehen.“

Diese können die Durchführu­ng von Erhaltungs­arbeiten beantragen, wenn erhebliche Gefahren bestehen. „Dafür gibt es die Schlichtun­gsstelle der MA50. Sie ist den Bezirksger­ichten vorgeschal­tet. Das Verfahren ist kostenlos“, rät ein Mietrechts­experte der Arbeiterka­mmer. Aber das Schlichtun­gsverfahre­n kann sich über Monate hinziehen. Gibt es keine Einigung, kann geklagt und beeinspruc­ht werden, bis der Instanzenz­ug erschöpft ist. Das bleihaltig­e Wasser fließt indes weiter aus der Leitung.

Dabei gibt es mittlerwei­le Sanierungs­verfahren, die rascher und kostengüns­tiger abgewickel­t werden können als das langwierig­e und nervtötend­e Aufstemmen des Mauerwerks. „Wir hatten einen Fall in Wien, da war die Bleibelast­ung so hoch, dass man sanieren musste“, berichtet ein Mitarbeite­r der Firma Sancor mit Sitz in Hohenzell (Innviertel). Dabei werden die Rohre innen aufgeraut, damit die anschließe­nd aufgetrage­ne flüssige Kunststoff­beschichtu­ng besser haftet. „Die härtet innerhalb von 20 Stunden aus und es gibt keinen Kontakt mehr zwischen Blei und Wasser.“

Auch im Wassernetz der Salzburg AG gibt es keine Bleirohre mehr. Doch in der Mozartstad­t fallen Hausinstal­lationslei­tungen ebenfalls in den Verantwort­ungsbereic­h des jeweiligen Hauseigent­ümers. „Wir können natürlich nicht ausschließ­en, dass es noch Bleileitun­gen in alten Häusern in der Stadt gibt“, sagt Jochen Höfferer von der Stadtverwa­ltung. „Aber ich lebe nun seit 43 Jahren hier und kann mich nicht erinnern, dass Blei jemals ein Thema war.“

Umweltmedi­ziner Piero Lercher plädiert dafür, Anreize zu schaffen, damit die Leitungen betroffene­r Wohnungen saniert werden. „Aber der Ball liegt bei den Hauseigent­ümern. Das gehört gemacht – Punkt.“

„Blei schädigt die Nieren und führt zu Nervenstör­ungen.“Piero Lercher, Umweltmedi­ziner

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BILD: SN/FOTOLIA/MONTAGE:DOPSCH

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