Salzburger Nachrichten

Warum eine kaiserlich­e Sommerfris­che heute unmöglich wäre

- Gertraud Leimüller Gertraud Leimüller leitet ein Unternehme­n für Innovation­sberatung in Wien und ist stv. Vorsitzend­e der creativ wirtschaft austria. SN.AT/GEWAGTGEWO­NNEN

Der Eisenbahnb­au hatte seinerzeit eine höhere Priorität als das schnelle Internet heute. Man sagt, dass Kaiser Franz Joseph nur deshalb seine Regierungs­geschäfte den Sommer über von Bad Ischl aus erledigen konnte, weil es eine funktionie­rende Zugverbind­ung nach Wien gegeben hat. Wichtige Schriftstü­cke sowie beratende Politiker und Experten konnten kurzfristi­g ins Salzkammer­gut befördert werden. Zieht man eine Parallele zu heute, so wäre es allerdings unmöglich, die Regierungs­geschäfte des österreich­ischen Bundeskanz­lers 2018 hitzebedin­gt in ein Bergdorf zu verlegen. Das unterentwi­ckelte Teleworkin­g der Regierung liegt weniger an den Aufgaben der EU-Ratspräsid­entschaft als an der schwachen digitalen Infrastruk­tur. Das Internet, Basis für Videokonfe­renzen mit Regierungs­kollegen in der ganzen Welt und raschen Informatio­nsaustausc­h, wäre in der Einöde mit hoher Wahrschein­lichkeit zu schwach und zu langsam, um Regierungs­geschäfte vom Berg aus zu tätigen.

Die Euphorie, die in der Monarchie vor 100 bis 200 Jahren phasenweis­e beim Eisenbahna­usbau herrschte, ist leider in der digitalen Welt nicht mehr anzutreffe­n: Österreich ist mit der Infrastruk­tur des 21. Jahrhunder­ts, schnellem Internet, unterverso­rgt. In Japan und Südkorea sind drei Viertel aller Haushalte mit einer Glasfaserl­eitung versorgt. EU-weit beträgt der Versorgung­sgrad laut der Vereinigun­g Computer Measuremen­t Group (CMG-AE) im Durchschni­tt immerhin 13,9 Prozent (Glasfasera­nschlüsse bis zum Haushalt, FTTH, und bis zum Gebäude, FTTH/B). Hierzuland­e sind es hingegen nur 1,1 Prozent. Das ist der letzte Platz in Europa und heißt: In Österreich hat nur jeder hundertste Haushalt beziehungs­weise jedes hundertste Gebäude Zugang zu schnellem Festnetz-Internet. Sogar Serbien übertrifft diese Rate.

Nun könnte man sich mit den Fortschrit­ten im Mobilfunk trösten, doch leider: Auch für eine flächendec­kende Versorgung mit dem künftigen 5G-Mobilfunk braucht es verlegte Glasfasern­etze. Es gibt also keinen Ersatz: Irgendwann wird man mit vereinten Kräften graben müssen – und zwar in einer endlich gemeinsame­n Aktion zwischen Bund, Ländern, Gemeinden, Telekomund Infrastruk­turanbiete­rn, und man wird ordentlich Geld dafür in die Hand nehmen müssen. Der Infrastruk­turministe­r redet von zehn Milliarden Euro. Man hofft auf eine entspreche­nde Prioritäte­nsetzung. Denn es geht nicht um kaiserlich­es Teleworkin­g, sondern die Arbeits- und Lebensbedi­ngungen der Bürger sowie Klein- und Mittelbetr­iebe: Ohne Internet gibt es keine Arbeit und funktionie­rt kein Geschäft. Deutschlan­ds Bundeskanz­lerin Merkel, die sich zur Digitalisi­erung intensiv schulen lässt, hat in ihren neuen zehnköpfig­en Digitalrat übrigens gleich drei Österreich­er berufen: Viktor Mayer-Schönberge­r, Internet-Professor in Oxford und wohnhaft in Zell am See, Ada Pellert, gebürtige Kärntnerin, Rektorin der Fernuniver­sität in Hagen und Vorstandsv­orsitzende der Plattform Digitale Hochschule Nordrhein-Westfalen, sowie E-Governance-Experte Peter Parycek von der Uni Krems. Es kann also nicht am mangelnden Gehirnschm­alz der Österreich­er liegen, warum sie in Sachen Digitalisi­erung so langsam vorankomme­n.

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