1986 Waldheim-Affäre, Super-GAU in Tschernobyl, Jörg Haider & die Grünen
Das Jahr 1986 ist in Österreich reich an politischen und zeitgeschichtlichen Meilensteinen. Vier Salzburger Zeitzeugen erzählen, wie sie das Jahr erlebt haben und wie die Ereignisse teilweise auch ihr Leben verändert haben.
Anfang März 1986 wird es über mehrere Artikel im „profil“erstmals publik: Der Ex-UNOGeneralsekretär und ÖVP-Kandidat für die Bundespräsidentenwahl, Kurt Waldheim, dürfte über seine Kriegsvergangenheit nicht die volle Wahrheit gesagt haben. Konkret wurde ihm vorgeworfen, SA-Mitglied gewesen zu sein und als Offizier am Balkan auch von Kriegsverbrechen der Wehrmacht gewusst zu haben. Allerdings: Aufgrund einer „Jetzt-erst-recht“-Kampagne der ÖVP siegte Waldheim am 4. Mai im ersten Wahlgang und gewann auch die Stichwahl gegen den SPÖ-Kandidaten Kurt Steyrer am 8. Juni. Schon Ende April kam Waldheim als Privatperson auf die „Watchlist“des US-Justizministeriums. Damit war ein lebenslanges Einreiseverbot verbunden, was Waldheims Spielraum als Präsident stark einengte.
In Österreich tobte in Folge auch eine Debatte, wer die Vorwürfe gegen Waldheim losgetreten habe. In die Kritik kam Bundeskanzler Fred Sinowatz (SPÖ) – aufgrund der burgenländischen Landtagsabgeordneten Ottilie Matysek: Sinowatz soll laut Matyseks Mitschrift bei einer internen Sitzung im Herbst 1985 angekündigt haben, die „braune Vergangenheit“Waldheims zum Thema zu machen. Es folgte eine Prozesswelle, in die auch der Salzburger Anwalt Ägidius Horvatits involviert war: Er verteidigte einen Verwandten, dem falsche Zeugenaussage im Sinowatz-Prozess vorgeworfen wurde. Gemeint habe Sinowatz mit „Waldheims Vergangenheit“etwas anderes, sagt Horvatits – nämlich „die Vorgänge von 1968, wo Waldheim den damaligen Botschafter in Prag angewiesen hat, die 5000 Tschechen, die in der Botschaft Zuflucht gesucht hatten, an die Russen auszuliefern, was dieser aber verweigert hat“. Nach Sinowatz wurden auch der burgenländische LH Theodor Kery (SPÖ) und Horvatits Verwandter verurteilt. Und wie denkt Horvatits über die Waldheim-Affäre heute? „Für mich war das eine Kampagne, die vom Jewish World Congress ausgegangen ist, auch wenn ich dafür keine Beweise habe.“Für den 36jährigen Anwalt bedeutete der Prozess vor dem Wiener Gericht „einen juristischen Höhepunkt und die Chance, in einer Causa aufzutreten, von der weltweit berichtet wurde“.
Am 26. April 1986 erschütterte dann der Super-GAU in Tschernobyl die Welt: Als Folge eines Tests explodierte ein Reaktor im ukrainischen Kernkraftwerk. Das setzte eine radioaktive Wolke frei, die Richtung Europa schwebte. Als einer der Ersten in Salzburg war Anfang Mai 1986 der Umweltmediziner und spätere Landessanitätsdirektor Christoph König mit den Folgen des Atomunfalls befasst: Der damals 37-Jährige wurde zum Koordinator des Krisenstabs des Landes ernannt. König: „Das war die stressigste Zeit meines Lebens. Wir haben in den ersten Wochen 30.000 Anrufe im Chiemseehof erhalten. Ich habe drei Monate lang kein anderes Thema als die Strahlenverseuchung gehabt. Das war sehr belastend.“Denn in der Bevölkerung habe es große Angst gegeben: „Tschernobyl hat auch zu Panik geführt. Es gab sogar Hamsterkäufe. Auch ich habe bei Milupa in Puch, weil ich drei kleine Kinder zu Hause hatte, eine beträchtliche Zahl von Produkten gekauft und auf Lager gelegt“, sagt König rückblickend.
Inhaltlich musste König im Auftrag des Landes per Verordnung binnen wenigen Tagen teils sehr rigide Maßnahmen umsetzen: „Es wurde etwa ein Verkaufsverbot für Gemüse erlassen, das radioaktiv kontaminiert war“, wofür er speziell von der Landwirtschaftskammer stark angefeindet worden sei. Außerdem habe es die dringende Empfehlung an die Bauern gegeben, ihre Kühe möglichst spät im Jahr auf die Weide zu treiben und davor nur mit Heu zu füttern. „Und es gab Milchtransporte, um die Milch aus verschiedenen Regionen zu mischen, um die radioaktive Belastung für Kinder und Schwangere möglichst gering zu halten.“
Genau das hat auch die Psychologin und Psychotherapeutin Karoline Hochreiter ab Mai 1986 massiv beschäftigt: „Ich habe die ,Mütter für eine atomfreie Zukunft‘ gegründet, weil meine Kinder damals zweieinhalb und ein Jahr alt waren. Wir haben bei unserer ,Aktion Milch‘ im Hof des Schlosses Mirabell unverstrahlte Milch für Babys verkauft.“Weiters erinnert sich Hochreiter neben diversen Protestveranstaltungen und Pressekonferenzen noch an ein Treffen mit Erzbischof Karl Berg: „Es waren 80 Frauen mit ihren Kindern bei ihm. Wir haben einen kritischen Hirtenbrief zum Thema Atom verlangt, der in allen Pfarren verlesen wird. Den hat Berg wirklich geschrieben.“
Zu einem weiteren Datum der Zeitgeschichte wurde der FPÖ-Parteitag in Innsbruck am 13. September: Da löste der für seinen rechtsnationalen Kurs bekannte Jörg Haider den amtierenden Vizekanzler Norbert Steger als FPÖ-Parteichef ab. Einer, der bald Haiders Faszination erlag, war der spätere Salzburger FPÖ-Landesobmann Karl Schnell – der selbst einmal über sich sagte: „Bei Haider setzte mein Hirn aus.“Heute sieht Schnell, der später aus der FPÖ ausgeschlossen wurde, die Person Haider differenzierter: „Er war sehr charismatisch und ein großes politisches Talent. Er konnte Beispiele aus der Bevölkerung aufgreifen und so wiedergeben, dass sie jeder verstanden hat.“Schnell ist damals seinem Idol zu jeder Veranstaltung nachgefahren und chauffierte Haider auch per Hubschrauber zu Wahlkampfauftritten. Haider revanchierte sich und machte den Saalbacher Arzt 1991 zum FPÖ-Generalsekretär und 1992 zum Landesrat. Dieses Amt hatte Schnell mit Verweis auf seinen Brotberuf zunächst abgelehnt: „Haider ist trotzdem rausgegangen und hat den Medien erzählt, dass ich der neue Landesrat werde. Ich habe mich dann fast nicht nach Hause getraut zu meiner Frau.“
Zurück ins Jahr 1986: Die Kür Haiders führte schon tags darauf dazu, dass SPÖ-Kanzler Franz Vranitzky die Koalition mit der FPÖ beendete. Die Nationalratswahl am 23. November brachte eine Verdoppelung des FPÖ-Ergebnisses – aber auch den erstmaligen Einzug der Grünen. In Salzburg engagierte sich alsbald Karoline Hochreiter für die Ökopartei und zog 1989 mit Christian Burtscher in den hiesigen Landtag ein. Wie es dazu kam? „Das Jahr 1986 hat mein Leben komplett verändert. Vor Tschernobyl war ich völlig unpolitisch. Der Super-GAU hat mich aber politisiert. Ich war fassungslos, wie verantwortungslos da die Politik agiert hat, und habe eine irre Wut gekriegt. Da habe ich gemerkt: Politik geht mich auch etwas an.“