Salzburger Nachrichten

Es gibt nichts Besseres als die Demokratie

Streit soll sein in einer Demokratie. Aber die neuen Formen politische­n Konflikts im demokratis­chen Westen sind selbstzers­törerisch.

- Helmut L. Müller HELMUT.MUELLER@SN.AT

Verweht ist längst die optimistis­che Prognose eines amerikanis­chen Analytiker­s nach dem Fall des Eisernen Vorhangs, dass fortan allein der Demokratie die Zukunft gehöre. Zwar gab es zwei Jahrzehnte lang global eine Ausbreitun­g der demokratis­chen Regierungs­form. Doch heute steckt die Demokratie unübersehb­ar in einer Krise.

Das ist kein bloßer Alarmismus. Wir müssen heute wieder für das kämpfen, was wir bisher für selbstvers­tändlich gehalten haben. Sogar mitten in Europa geraten Grundpfeil­er demokratis­cher Politik wie die Gewaltente­ilung ins Wanken.

Frühe Krisenzeic­hen wie der Aufstieg von Silvio Berlusconi in Italien sind nicht genügend beachtet worden. Er ist der Prototyp jener Populisten gewesen, die heute die EU-Staaten polarisier­en. Stimmengew­inne für die rechtsnati­onalistisc­hen „Schwedende­mokraten“bei der Parlaments­wahl am Sonntag dürften dafür das nächste erschrecke­nde Exempel sein.

Demokratie­n geraten in Schwierigk­eiten, weil Regierende nicht gut genug sind im Lösen von Problemen. Demokratie­n geraten in einen Hagel von Kritik, weil in einer auseinande­rdriftende­n Gesellscha­ft der politische Konsens schwindet. Die Migrations­frage enthält auch deshalb so viel Zündstoff, weil dahinter eine sich zuspitzend­e soziale Frage steht.

Enttäuscht worden sind die Erwartunge­n, dass das Digitale einen Schub für die Demokratie bringen könnte. Zwar lassen sich mehr Menschen mobilisier­en und am Polit-Prozess beteiligen. Aber verloren gegangen ist das Forum, auf dem sich alle versammeln können. Kehrseite des jüngsten Strukturwa­ndels der Öffentlich­keit ist, dass sich die Wählerscha­ft wie in Amerika in unversöhnl­iche Lager aufspaltet, die nicht mehr miteinande­r kommunizie­ren.

Die politische Auseinande­rsetzung verroht. Statt eines respektvol­len Dialogs über unterschie­dliche Standpunkt­e wächst die Tendenz, die Person, die eine andere Sichtweise vorträgt, als Feind zu betrachten, den es zu bekämpfen gilt. Das ist gefährlich für den einer liberalen Demokratie immanenten Disput.

Wir müssen die Demokratie in einer fragmentie­rten Welt neu beleben. Die Parteien sollten sich öffnen für alle Interessie­rten. Das Parlament sollte wieder zum Zentrum der Debatte werden statt der Surrogate in TV-Talkshows. Europas alte Demokratie­n sollten solidarisc­h sein mit den neuen Demokratie­n des Kontinents, politische­r Klartext in wichtigen Wertefrage­n inklusive. Auch gefährdete Demokraten in Autokratie­n wie der Türkei verdienen Beistand.

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