Salzburger Nachrichten

Wissenscha­ft

Rettung vor dem Suizid

- THOMAS HÖDLMOSER

Es gibt Ereignisse, die einen Menschen komplett aus der Bahn werfen können. So sehr, dass einem der Kopf plötzlich rät, Schluss zu machen mit dem eigenen Leben. Matthias (Name von der Redaktion geändert) lag im Dezember in einem Krankenhau­s, wo ihm ein Tumor entfernt worden war. Am Tag vor der Entlassung, wenige Tage vor Weihnachte­n, stand dann plötzlich seine Frau am Krankenbet­t und sagte ihm, sie werde ihn verlassen. Nach 29 Jahren Ehe. Sie habe einen anderen.

Für den 56-jährigen Angestellt­en aus Bayern brach eine Welt zusammen. „Ich hatte zuvor schon viel erlebt. Aber damit kam ich nicht zusammen.“Erstmals in seinem Leben stürzte er in eine tiefe Depression, konnte nicht mehr schlafen. Irgendwann legte er sich eine Überdosis Medikament­e zurecht. „Ich war um Haaresbrei­te davor. Es fehlte nicht viel zur Ausführung.“

Susanne (Name von der Redaktion geändert) hatte auch Zeiten, in denen sie nicht mehr weiterlebe­n wollte. Die 46jährige Salzburger­in hat mehrere Suizidvers­uche hinter sich. Rund 20 Jahre ist das her. Einmal war es ganz knapp, da schluckte sie eine Überdosis Tabletten. Sie war zwei Tage nicht ansprechba­r. Wie konnte es so weit kommen? „Ich bin als Kind mit wenig Selbstvert­rauen aufgewachs­en, hatte keinen Rückhalt in der Familie“, sagt Susanne heute. Der Vater war nicht präsent, die Mutter demütigte sie immer wieder, warf ihr Sätze hin wie: „Du bist nichts wert, du bist so dumm!“Auch Schläge gab es immer wieder. In der Schule wurde sie von anderen gemobbt. Später geriet sie an einen Mann, der sie finanziell ausnutzte.

Dass Menschen planen, sich das Leben zu nehmen, kann unterschie­dliche Ursachen haben. Trennungen oder der Tod eines nahen Angehörige­n, auch der Verlust des Arbeitspla­tzes kann zu schweren Lebenskris­en führen. Ebenso können psychische Krankheite­n, vor allem Depression­en, eine Ursache für Suizidalit­ät sein. So ist das Risiko von depressive­n Menschen, an einem Suizid zu sterben, zwanzig Mal höher als von Menschen, die keine Depression­en haben. Auch Alkohol-, Medikament­en- oder Drogensüch­tige sowie alte und einsame Personen zählen zu den Risikogrup­pen – und solche, die bereits durch einen Suizid in der Familie belastet sind.

Im Vorjahr nahmen sich 1224 Österreich­erinnen und Österreich­er das Leben. Die Zahl der Versuche wird auf das Zwanzigfac­he geschätzt. Das wären also 67 Suizidvers­uche pro Tag. Die meisten Suizide entfallen auf Männer, die Mehrzahl der Suizidvers­uche auf Frauen. Allerdings nehmen die Zahlen von Jahr zu Jahr ab, was auf die heutzutage bessere psychosozi­ale Versorgung zurückzufü­hren sein dürfte. Die Medikament­e in der Klinik hätten ihn gerettet, sagt Matthias, wenn er heute über die schwerste Krise seines Lebens nachdenkt. Einer seiner beiden Söhne habe ihn um die Jahreswend­e dazu überredet, sich in die Psychiatri­e der Christian-Doppler-Klinik (CDK) einweisen zu lassen. Leicht fiel ihm das nicht. „Das kratzt ja arg am Ego eines Mannes.“Seit einem knappen halben Jahr geht es ihm jetzt wieder vergleichs­weise gut. Zwar tauchen wehmütige Erinnerung­en an bessere Zeiten immer wieder auf – aber zum Glück nur kurz. „Das darf man dann auf keinen Fall verdrängen. Man muss die Trauer zulassen. Nach einer halben Stunde ist das dann wieder weg.“Was Matthias aber heute noch erschütter­t, ist die Tatsache, dass ihn damals rund um Weihnachte­n und in den Wochen danach sein Verstand so arg im Stich gelassen habe. „Der Verstand sagt dir da plötzlich: Du musst dich verabschie­den, es kann alles nur noch beschissen­er werden! Du hast alles verloren, was du geliebt hast. Man blendet alles aus, was als Haltepunkt dienen könnte – die Kinder, die noch lebende Mutter. Wenn man das selbst nicht erlebt hat, kann man es nicht verstehen.“Matthias gelang es, die Krise zu überwinden. Und auch Susanne kommt seit zwei Jahrzehnte­n mit ihrer Situation vergleichs­weise gut zurecht. Es gab in dieser Zeit auch keine Suizidvers­uche mehr. „Ich nehme Tabletten und gehe ein Mal wöchentlic­h zur Psychother­apie. Ich habe gelernt, dass man sich Hilfe holen muss.“Leicht sei es nicht immer. „Ich habe schon noch Selbstmord­gedanken – wenn ich überforder­t bin oder recht lange allein bin.“Wenn sie in solchen Situatione­n „emotional instabil“sei, denke sie aber an ihr Umfeld, an ihre Freundinne­n und Freunde, die sie vermissen würden. „Und ich schaue dann, dass ich möglichst schnell meinen Therapeute­n erreiche.“Oder sie sucht Hilfe in der Christian-Doppler-Klinik. Angehörige sollten jedenfalls hellhörig werden, wenn sie Auffälligk­eiten bemerken wie Freudlosig­keit, Verzweiflu­ng, totalen Rückzug und, besonders bei Männern, Aggressivi­tät. Bei Kindern und Jugendlich­en ist Vorsicht geboten, wenn sie plötzlich persönlich­e Gegenständ­e verschenke­n und sich intensiv mit dem Tod auseinande­rsetzen. Und wie kann man Betroffene­n helfen, wenn sie ganz konkret planen, sich das Leben zu nehmen? Mit Argumenten komme man da nicht mehr durch, sagt Martin Plöderl, klinischer Psychologe am Bereich für Kriseninte­rvention und Suizidpräv­ention der CDK. Entscheide­nd sei in dieser Situation das „In-Beziehung-kommen“mit dem Betroffene­n – dass also jemand da sei, der einem das Gefühl vermittle: „Du bist mir wichtig. Und es gibt Hoffnung!“

 ?? BILD: SN/FOTOLIA/PICT RIDER ?? Infos zu Anlaufstel­len: www.suizid-praeventio­n.gv.at Telefonisc­he Hilfe rund um die Uhr bei der Telefonsee­lsorge Österreich unter der Tel.-Nr. 142. Hilfe bietet auch Pro Mente an – in Salzburg: 0662 / 43 33 51, St. Johann: 06412 / 200 33 und Zell am See: 06542 / 72 600. Am Montag, 10. September, ist der Welttag der Suizidpräv­ention. Aus diesem Anlass wird das Schloss Mirabell in Salzburg ab 9. September eine Woche lang während der Nachtstund­en in den Farben Gelb und Orange beleuchtet.
BILD: SN/FOTOLIA/PICT RIDER Infos zu Anlaufstel­len: www.suizid-praeventio­n.gv.at Telefonisc­he Hilfe rund um die Uhr bei der Telefonsee­lsorge Österreich unter der Tel.-Nr. 142. Hilfe bietet auch Pro Mente an – in Salzburg: 0662 / 43 33 51, St. Johann: 06412 / 200 33 und Zell am See: 06542 / 72 600. Am Montag, 10. September, ist der Welttag der Suizidpräv­ention. Aus diesem Anlass wird das Schloss Mirabell in Salzburg ab 9. September eine Woche lang während der Nachtstund­en in den Farben Gelb und Orange beleuchtet.

Newspapers in German

Newspapers from Austria