Radeln in Venedig? Ja, das geht!
Ja, das geht. Vorausgesetzt, man weicht auf andere Inseln aus, wie etwa den Lido. Radtouren in Venedig.
Radeln in Venedig klingt nach einer ziemlich dummen Idee. Allein die Brücken. Die engen Gassen. Und dann noch die Touristenmassen. Ein Albtraum. Und doch, auch in der Lagunenstadt kann man Rad fahren. Sofern man sich damit zufriedengibt, die Hauptinsel mit ihren Sightseeing-Klassikern nur aus der Distanz zu betrachten – oder im Vorbeigleiten durch den Giudecca-Kanal von der Fähre aus. „Eine andere Seite von Venedig“möchte Marco Rossato zeigen, der Fahrrad-Exkursionen anbietet. Und radeln in Venedig bedeutet in diesem Fall: vor allem auf dem Lido.
Diese elf Kilometer lange, aber nur sehr schmale Insel, die die Lagune Venedigs von der Adria trennt und sich gegen das Meer stemmt, ist gleichzeitig der Hausstrand der Venezianer. Großzügig breit ist er, mit feinem Sand, und zieht sich bestimmt über die Hälfte der gesamten Lido-Länge. Anders als im Touristenhorden-Taumel in Venedig kommt hier daher schnell ein gemütliches, spätsommerliches Feriengefühl auf, zu dem auch das Tempo der halbtägigen Tour passt: „Hit and run“heißt sie zwar, aber von Geschwindigkeitsrausch kann keine Rede sein. Stattdessen ist höchst gemächliches Radeln ohne Steigungen angesagt, bei dem genug Zeit bleibt, links und rechts die verschiedenen Gesichter des Lido zu entdecken.
An der großen Wasserbus-Station ist das Radler-Grüppchen kurz zuvor noch an der Gran Viale vorbeigefahren, die die Lagunenmit der Meeresseite verbindet. Auf den paar Hundert Metern dieser Straße pulsiert das Lido-Leben. Hier reihen sich Läden an Eisdielen und Restaurants, und mit „Fabios“liegt hier auch einer der besten Pizza-Imbisse der Stadt. Wenn man Pizza mag. Nur ein paar Pedalumdrehungen weiter landet man schon in ruhigen Wohngebieten. Obwohl anders als auf der Hauptinsel auch Autos auf dem Lido fahren dürfen, entsteht auf den Nebenwegen zumindest ein bisschen typisches Venedig-Gefühl: hübsche Altbauten im venezianischen Stil, dazwischen der eine oder andere Kanal, der den Lido durchzieht. Immerhin sind beim Panorama-Stopp an der Lagune der Campanile auf dem Markusplatz und die Umrisse der imposanten Kirche „Il Redentore“am Eingang des Canal Grande gerade noch zu erkennen. Dazwischen schwappt sanft die Lagune, durch die allerlei Wassertaxis, viele Vaporetti, die Wasserbusse, und andere Boote kreuzen.
Immer wieder lassen sich beim Radeln ein paar vorgelagerte, achteckige Inselchen erspähen. „Das waren Festungen zum Schutz des Handelsimperiums, von denen fünf in der Lagune errichtet wurden.“Marco holt sein Tablet heraus und zeigt ein kurzes Video zur Historie. So hätten die Venezianer zwischen dem 14. und dem frühen 19. Jahrhundert insgesamt mehr als 50 festungsähnliche Anlagen gebaut. Mit optischer Täuschung. „Eindringlinge haben den Lido früher als durchgehende, feste Mauer wahrgenommen.“Bereits im 18. Jahrhundert entstand auf der Adriaseite dann tatsächlich so etwas wie eine Mauer: die Murazzi, eine Art Damm aus mächtigen istrischen Marmorblöcken. Der sollte den Lido und die Nachbarinsel Pellestrina über viele Kilometer vor Fluten schützen. Heute ist das Meer glatt und die Urlauber haben ihre Handtücher auf den großen Steinflächen ausgebreitet. Beim Kurzstopp auf den Murazzi erzählt Marco dann auch von einem anderen umstrittenen und oft verzögerten Flutschutz: dem sogenannten MOSE-Projekt, bei dem mit Fluttoren Stadt und Lagune vor Hochwassern und dem drohenden Untergang bewahrt werden sollen.
Der Lido zehrt heute noch vom Glanz vergangener Tage: als etwa das elegante Grand Hôtel des Bains noch in Betrieb war, das Thomas Mann in seinem Roman „Der Tod in Venedig“verewigte. 2010 wurde die Hotellegende geschlossen, weil sie in ein exklusives Apartmenthaus umgewandelt werden sollte. Doch bis heute ist das nicht geschehen. Vielleicht soll es nun wieder in ein Hotel umgestaltet werden. So wie auch die großen Pläne, die es für ein neues Zentrum für das Filmfestival auf dem Lido gab, die aber nach großer Ankündigung wieder begraben werden mussten. Wer nicht gerade in den ersten zwei Septemberwochen zum Promi- und Filmschauen vorbeikommt, sieht das Festivalzentrum daher als nüchternen Bau aus Mussolini-Tagen, an dessen Fassade der Zahn der Zeit etwas genagt hat. Auch das alte Sanatorium nahe dem Flughafen Nicelli, laut Marco zur selben Zeit erbaut, wurde vor vielen Jahren verlassen. Heute streiten sich Immobilienentwickler über die Zukunft des einst imposanten Gebäudekomplexes. Von solchen Querelen bleibt der Markusplatz unbeeindruckt, und auf ihn legt sich ein letzter Blick im Vorbeischippern von der Fähre aus.