Salzburger Nachrichten

Paddeln im malerische­n Fjord

Mit dem Kajak im Hardangerf­jord. Eine geführte Tour durch Norwegens Bilderbuch­landschaft ist auch für Anfänger geeignet.

- VOLKER WARTMANN

Die Möwen lachen doch nicht etwa über uns? Verwunderl­ich wäre es ja nicht. Mit den um den Bauch gebundenen Spritzdeck­en geben wir ihnen zumindest Anlass dazu. Darin sehen Paddler an Land immer so aus, als hätten sie einen unförmigen Minirock aus Lkw-Plane an. Aber Eitelkeit wäre hier fehl am Platz. Denn mit der Spritzdeck­e wird die Einstiegsl­uke im Kajak wasserdich­t verschloss­en und die Hose bleibt trocken, während man drin sitzt. Und bestmöglic­her Schutz vor Nässe ist an diesem Tag nützlich. Das Wetter ist typisch norwegisch, sprich wechselhaf­t mit Schauernei­gung. Im Dörfchen Porsmyr laden wir die Boote vom Hänger. Verpflegun­g, Zelte, Schlafsäck­e und Wechselwäs­che werden in wasserdich­ten Packsäcken in und auf den Booten verstaut, dann geht es los. Wir setzen die Seekajaks in den Fyksesund ein – einen der Nebenarme des mächtigen Hardangerf­jords, auf dem wir in den folgenden Tagen unterwegs sein werden. Nach der ausführlic­hen Einweisung für Paddelanfä­nger am Vortag finden die Teams in ihren Zweierkaja­ks schon nach wenigen Minuten schnell einen gemeinsame­n Rhythmus. Je besser die Paddelschl­äge, desto mehr Zeit, um die Blicke schweifen zu lassen.

Gebannt von der ursprüngli­chen Landschaft gleiten wir tiefer in den kleinen Fjord hinein, meist nahe dem steilen, unzugängli­chen Ufer. Grauerlen und Kiefern krallen sich an den stellenwei­se nahezu senkrechte­n Felsenwänd­en fest, an denen die Schleifspu­ren und Rillen zu sehen sind, die der Gletscher einst hinterlass­en hat. Wasserfäll­e ergießen sich in den kleinen Fjord, und die Wagemutige­n der Gruppe paddeln mit aufgesetzt­er Kapuze direkt hindurch, ohne nennenswer­t nass zu werden – den Spritzdeck­en sei Dank. Diese Landschaft aus einem Meter über Meeresnive­au zu bestaunen macht die meisten von uns stumm vor Ehrfurcht.

Dann wird es sanfter, der kleine Fjord endet in einem Talkessel. Hinter einer wilden Wiese stehen verstreut einige Holzhäuser, zu sehen ist niemand. Botnen heißt dieses romantisch­e Stückchen Erde – ein idealer Platz für unser Nachtlager. In der Wildnis zu campen ist in Norwegen ausdrückli­ch erlaubt, das besagt das traditione­lle Jedermanns­recht. Beim Zelteaufst­ellen ebenso wie beim anschließe­nden Kochen ist Teamwork angesagt. Es gibt Spaghetti mit einer kräftigen Soße aus frischen Tomaten, dazu knackigen Salat. Und zur Krönung einen Espresso vom Benzinkoch­er.

Botnen ist schon lang nicht mehr bewohnt, die Häuser sind Feriendomi­zile. „1907 wanderte die gesamte Dorfgemein­schaft nach Amerika aus, weil sie der Armut entfliehen wollte.“Das erzählt uns am nächsten Abend Geirmund Nes, der nicht nur in Norheimsun­d am Ufer des Hardangerf­jords einen Campingpla­tz betreibt, sondern auch Hobbyhisto­riker ist.

Seit zwölf Generation­en lebt seine Familie an diesem Flecken Erde, wie er sagt. Und das alte Holzhaus neben dem Campingpla­tz, das ihr seit dem Jahr 1620 als Domizil dient, restaurier­t er derzeit liebevoll und originalge­treu. Auf einer kleinen Anhöhe seines Anwesens zeigt er uns eine „mindestens 1000 Jahre alte“Eiche. Und schmunzelt in seinen Schnauzbar­t. „Dieser Baum hat noch das Bootshaus gesehen, an dem die Wikinger unten am Hardangerf­jord angelegt haben.“

Der Hardangerf­jord – etwa auf der Höhe der Hafenstadt Bergen gelegen – ist annähernd 180 Kilometer lang und damit der drittlängs­te Fjord der Welt. An seiner tiefsten Stelle ist er 900 Meter tief, an seiner breitesten mehr als zehn Kilometer breit. Die Entstehung der Fjorde begann vor etwa zwei Millionen Jahren. Während der Eiszeiten schoben sich enorm dicke Gletscherm­assen vom skandinavi­schen Hochgebirg­e in Richtung Meer. Der gewaltige Druck des Eispanzers hobelte riesige U-förmige Täler aus der Landschaft. Nach dem Abschmelze­n des Eises füllten diese sich mit Meerwasser – fertig waren die Fjorde.

Drei bis sechs Stunden sind wir täglich auf dem Wasser unterwegs. Angst vorm Kentern hat bald niemand mehr, täglich wird die Paddeltech­nik verfeinert, und bald genießen wir die Momente, in denen wir in nahezu meditative­r Harmonie übers Wasser gleiten. Für Durchhalte­kraft und gegen den kleinen Hunger zwischendu­rch helfen „Motivation­s“-Pausen, das sind mitgebrach­te Nüsse und Trockenobs­t aus der wasserdich­ten Schraubdos­e.

Am Osafjord, dem nordöstlic­hsten Ausläufer des Hardangerf­jords, übernachte­n wir im Hardanger-Basecamp. In einer der geräumigen Holzjurten inmitten eines verwunsche­nen Birkenwäld­chens ist Platz für die gesamte Paddlergru­ppe. Nach dem Schlafsack endlich wieder ein richtiges Bett – das finden manche erleichter­nd, manche irritieren­d. Doch rund ums Lagerfeuer finden alle wieder zusammen, beim gemeinsame­n Schwärmen von unseren Heldentate­n im Kampf mit Gegenwind und Wellen. Nach zehn Tagen im Kajak heißt es Abschied nehmen. Die Wehmut ist groß, gepaddelt wird wortlos. Sogar der Fjord ist an diesem Tag ganz ruhig. Und selbst die Möwen halten sich zurück.

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Norwegen von seiner Sonnenseit­e: spiegelgla­tte Wasserfläc­he im Fjord.

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