Paddeln im malerischen Fjord
Mit dem Kajak im Hardangerfjord. Eine geführte Tour durch Norwegens Bilderbuchlandschaft ist auch für Anfänger geeignet.
Die Möwen lachen doch nicht etwa über uns? Verwunderlich wäre es ja nicht. Mit den um den Bauch gebundenen Spritzdecken geben wir ihnen zumindest Anlass dazu. Darin sehen Paddler an Land immer so aus, als hätten sie einen unförmigen Minirock aus Lkw-Plane an. Aber Eitelkeit wäre hier fehl am Platz. Denn mit der Spritzdecke wird die Einstiegsluke im Kajak wasserdicht verschlossen und die Hose bleibt trocken, während man drin sitzt. Und bestmöglicher Schutz vor Nässe ist an diesem Tag nützlich. Das Wetter ist typisch norwegisch, sprich wechselhaft mit Schauerneigung. Im Dörfchen Porsmyr laden wir die Boote vom Hänger. Verpflegung, Zelte, Schlafsäcke und Wechselwäsche werden in wasserdichten Packsäcken in und auf den Booten verstaut, dann geht es los. Wir setzen die Seekajaks in den Fyksesund ein – einen der Nebenarme des mächtigen Hardangerfjords, auf dem wir in den folgenden Tagen unterwegs sein werden. Nach der ausführlichen Einweisung für Paddelanfänger am Vortag finden die Teams in ihren Zweierkajaks schon nach wenigen Minuten schnell einen gemeinsamen Rhythmus. Je besser die Paddelschläge, desto mehr Zeit, um die Blicke schweifen zu lassen.
Gebannt von der ursprünglichen Landschaft gleiten wir tiefer in den kleinen Fjord hinein, meist nahe dem steilen, unzugänglichen Ufer. Grauerlen und Kiefern krallen sich an den stellenweise nahezu senkrechten Felsenwänden fest, an denen die Schleifspuren und Rillen zu sehen sind, die der Gletscher einst hinterlassen hat. Wasserfälle ergießen sich in den kleinen Fjord, und die Wagemutigen der Gruppe paddeln mit aufgesetzter Kapuze direkt hindurch, ohne nennenswert nass zu werden – den Spritzdecken sei Dank. Diese Landschaft aus einem Meter über Meeresniveau zu bestaunen macht die meisten von uns stumm vor Ehrfurcht.
Dann wird es sanfter, der kleine Fjord endet in einem Talkessel. Hinter einer wilden Wiese stehen verstreut einige Holzhäuser, zu sehen ist niemand. Botnen heißt dieses romantische Stückchen Erde – ein idealer Platz für unser Nachtlager. In der Wildnis zu campen ist in Norwegen ausdrücklich erlaubt, das besagt das traditionelle Jedermannsrecht. Beim Zelteaufstellen ebenso wie beim anschließenden Kochen ist Teamwork angesagt. Es gibt Spaghetti mit einer kräftigen Soße aus frischen Tomaten, dazu knackigen Salat. Und zur Krönung einen Espresso vom Benzinkocher.
Botnen ist schon lang nicht mehr bewohnt, die Häuser sind Feriendomizile. „1907 wanderte die gesamte Dorfgemeinschaft nach Amerika aus, weil sie der Armut entfliehen wollte.“Das erzählt uns am nächsten Abend Geirmund Nes, der nicht nur in Norheimsund am Ufer des Hardangerfjords einen Campingplatz betreibt, sondern auch Hobbyhistoriker ist.
Seit zwölf Generationen lebt seine Familie an diesem Flecken Erde, wie er sagt. Und das alte Holzhaus neben dem Campingplatz, das ihr seit dem Jahr 1620 als Domizil dient, restauriert er derzeit liebevoll und originalgetreu. Auf einer kleinen Anhöhe seines Anwesens zeigt er uns eine „mindestens 1000 Jahre alte“Eiche. Und schmunzelt in seinen Schnauzbart. „Dieser Baum hat noch das Bootshaus gesehen, an dem die Wikinger unten am Hardangerfjord angelegt haben.“
Der Hardangerfjord – etwa auf der Höhe der Hafenstadt Bergen gelegen – ist annähernd 180 Kilometer lang und damit der drittlängste Fjord der Welt. An seiner tiefsten Stelle ist er 900 Meter tief, an seiner breitesten mehr als zehn Kilometer breit. Die Entstehung der Fjorde begann vor etwa zwei Millionen Jahren. Während der Eiszeiten schoben sich enorm dicke Gletschermassen vom skandinavischen Hochgebirge in Richtung Meer. Der gewaltige Druck des Eispanzers hobelte riesige U-förmige Täler aus der Landschaft. Nach dem Abschmelzen des Eises füllten diese sich mit Meerwasser – fertig waren die Fjorde.
Drei bis sechs Stunden sind wir täglich auf dem Wasser unterwegs. Angst vorm Kentern hat bald niemand mehr, täglich wird die Paddeltechnik verfeinert, und bald genießen wir die Momente, in denen wir in nahezu meditativer Harmonie übers Wasser gleiten. Für Durchhaltekraft und gegen den kleinen Hunger zwischendurch helfen „Motivations“-Pausen, das sind mitgebrachte Nüsse und Trockenobst aus der wasserdichten Schraubdose.
Am Osafjord, dem nordöstlichsten Ausläufer des Hardangerfjords, übernachten wir im Hardanger-Basecamp. In einer der geräumigen Holzjurten inmitten eines verwunschenen Birkenwäldchens ist Platz für die gesamte Paddlergruppe. Nach dem Schlafsack endlich wieder ein richtiges Bett – das finden manche erleichternd, manche irritierend. Doch rund ums Lagerfeuer finden alle wieder zusammen, beim gemeinsamen Schwärmen von unseren Heldentaten im Kampf mit Gegenwind und Wellen. Nach zehn Tagen im Kajak heißt es Abschied nehmen. Die Wehmut ist groß, gepaddelt wird wortlos. Sogar der Fjord ist an diesem Tag ganz ruhig. Und selbst die Möwen halten sich zurück.