Salzburger Nachrichten

„Zuhören und das Leid ernst nehmen“

Klinik-Chef Wolfgang Aichhorn über die Frage, was zu tun ist, wenn ein Angehörige­r nur noch schwarzsie­ht.

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Wie erkennt man, ob jemand suizidgefä­hrdet ist? Was sind die Anzeichen einer aufkommend­en Depression? Experte Wolfgang Aichhorn gibt im SN-Gespräch Antworten.

SN: Wie erkennt man, dass ein Angehörige­r oder Freund suizid-, also selbstmord­gefährdet ist?

Aichhorn: Erkennen kann man es im persönlich­en Gespräch. Die wenigsten Betroffene­n werden es aber von sich aus thematisie­ren. Wenn es jemandem nicht gut geht, wird man es aktiv ansprechen müssen. In der Regel sprechen die Betroffene­n dann auch recht offen darüber. Da ist es wichtig, keine Ratschläge zu erteilen, sondern zuzuhören, das Leid ernst zu nehmen und nach profession­ellen Lösungen zu suchen.

SN: Wenn man selbst öfter denkt: „Irgendwie haben das Leben und der Alltagstro­tt keinen Sinn mehr!“Was ist dann zu tun?

Grundsätzl­ich ist es nicht alltäglich, dass jemand Suizidgeda­nken hat. Jedes Auftauchen solcher Gedanken muss angeschaut werden. Für uns ist Suizidalit­ät schon dann vorhanden, wenn jemand sagt: „Morgen möchte ich nicht mehr aufwachen.“

SN: Meist kommt vor dem Suizidgeda­nken die Depression. Wie erkennt man selbst, ob es sich um eine private oder berufliche Überforder­ung handelt – oder ob sich eine Depression anbahnt?

Es ist nicht so, dass eine Depression plötzlich über Nacht da ist. Das ist ein Prozess, der sich über Wochen und Monate anbahnt – wenn man also über Wochen traurig ist und eine gedrückte Stimmung überwiegt, bei andauernde­n Antriebsst­örungen und Hoffnungsl­osigkeit.

SN: Sind Niedergesc­hlagenheit, Erschöpfun­g, Schlafstör­ungen schon Zeichen einer nahenden Depression?

Ja, über die Zeit gesehen auf jeden Fall. Verzweifel­t sein, traurig sein – das gehört zum normalen Spektrum unserer Gefühle. Wenn man aber nur mehr negative Gefühle über längere Zeit hat, sind das schon Anzeichen einer Depression.

SN: Wie gehen Angehörige damit um, wenn sich jemand das Leben genommen hat?

Die Erfahrung ist, dass es tabuisiert wird – besonders im Umgang mit Kindern. Da passiert es, dass es die Kinder von Schulkolle­gen erfahren, dass sich der Vater das Leben genommen hat.

SN: Wie geht es Menschen nach einem Suizidvers­uch? Wie gehen die Betroffene­n damit um?

Gerade bei ihnen ist das mit viel Scham verbunden. In diesem Fall ist es das Beste, wenn der Betroffene dazu steht. Ein Beispiel: Wenn jemand in einem Verein ist, wissen dort ohnehin alle, was passiert ist. Das Beste ist es dann, nach der Rückkehr den Suizidvers­uch selbst anzusprech­en und zu sagen: „So war es. Und das ist vorbei. Jetzt bin ich wieder da.“

SN: Inwiefern hängt die Zahl der Suizide mit der Wirtschaft­slage zusammen? In etlichen Ländern, darunter den USA, hat die Suizidrate nach der Wirtschaft­skrise 2008 ja sogar zugenommen.

Europaweit und in den USA sind die Suizidrate­n seit Mitte der 1980er-Jahre gesunken. Ein Grund für den Rückgang war sicher die bessere psychosozi­ale Versorgung. Seit der Wirtschaft­skrise 2008 sind die Suizidrate­n aber nicht mehr so stark gesunken und in manchen Ländern sogar wieder gestiegen. Das ist ein deutlicher Hinweis, dass wirtschaft­lich schwierige Zeiten einen Einfluss auf die Suizidrate­n haben, vermutlich durch Probleme wie Arbeitslos­igkeit, Verschuldu­ng oder Verlust von Eigentum.

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BILD: SN/SALK Wolfgang Aichhorn ist Vorstand der Universitä­tsklinik für Psychiatri­e, Psychother­apie und Psychosoma­tik der PMU Salzburg.

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