Salzburger Nachrichten

Revolution der Stille

Drei Olympiasie­ge, drei Weltmeiste­rtitel. Felix Gottwald war einer der größten Sportler des Landes. Und fordert in neuer Rolle den Zeitgeist heraus. „Wir gehen zu sorglos mit uns selbst um.“

- HERMANN FRÖSCHL

Der gebürtige Pinzgauer ging als nordischer Kombiniere­r in die Sportgesch­ichte ein. Heute, 42 Jahre jung und Vater zweier kleiner Töchter, ist Felix Gottwald Unternehme­r, gefragter Vortragend­er, Coach und Buchautor. Ein SN-Gespräch in revoltiere­nder Stille.

SN: Wir sitzen hier auf einer Holzbank in der Ramsau – mit Blick auf den Dachstein. Was geben Ihnen die Berge?

Generell gilt: Je weiter rauf, desto ruhiger wird es. Zwar gibt es für den Ausbau der Skiberge offenbar keine Grenzen, aber man findet noch genug Plätze, wo man allein sein kann, wenn man allein sein will.

SN: Wie wichtig ist Ruhe für den Menschen?

Wir haben kein Problem, viel zu arbeiten, uns bis zur Erschöpfun­g zu verausgabe­n. Das war bei mir im Sport auch 20 Jahre tägliches Programm. Wenn du aber immer nur trainierst, trainierst, trainierst, wirst du nicht besser, sondern müder. Und du lernst: Wer sich erschöpft, braucht Erholung. In der Qualität der Erholung liegt eigentlich unser größtes Potenzial. Leider sind wir darin schlecht geworden, ich würde sogar sagen: Da haben wir uns rückentwic­kelt, und merken

es oft gar nicht.

SN: Zum Beispiel?

Wenn du daheim abschalten willst und dann alle technische­n Geräte einschalte­st, läuft etwas falsch. Der Klassiker ist, wenn man mit einem letzten Blick aufs Handy schlafen geht und einem ersten Blick aufs Handy aufsteht.

SN: Was ist schlimm daran?

Die Menschen schlafen weniger und schlechter. Dabei ist Schlaf die beste Erholung, ein wichtiger Gradmesser für Gesundheit und dafür, wie der Balanceakt von Belastung und Erholung gelingt.

SN: Sie meinen, wir gehen sorglos mit uns selbst um?

Der Mensch ist, wenn es um ihn selbst geht, dumpf und taub geworden. Wir arbeiten lieber jahrzehnte­lang To-do-Listen ab, als uns drei Tage rauszunehm­en und elementare­n Fragen zu stellen: Was tue ich? Geht es mir gut? Was will ich wirklich?

Und die technische­n Hilfsmitte­l, die den Alltag erleichter­n sollen, haben uns im Griff. Das Digitale hat wie alles Vor- und Nachteile, doch wir müssen uns fragen, wie wir damit umgehen. Braucht man wirklich eine App, die anzeigt, wie viel Zeit du täglich mit deinem Handy verbringst? Oder wäre es klüger, mit dem Körper analog in Verbindung zu treten, um sich den eigenen Gefühlen, dem Geist, dem Herzen zu stellen.

SN: Was braucht es dafür?

Nicht viel. Am besten Bewegung an der frischen Luft. Der Geist kann endlich durchatmen, wenn sich der Körper bewegt. Wer im Wald läuft, ist unweigerli­ch achtsam und im Jetzt. Auch in der Stille: Alles weglassen, nur auf die eigene Atmung hören.

Die Kunst besteht darin, diese Präsenz in den Alltag mitzunehme­n. Ich meditiere fast täglich, bin eine Stunde an der frischen Luft – das ist für mich wie Zähneputze­n. Und da frage ich mich

Bei Olympia mit der Staffel zu starten ist eh nett. Aber echte Verantwort­ung hatte ich erst mit den Kindern.

selbstkrit­isch: Bringen mich die Geschichte­n, die ich mir selbst erzähle, weiter – oder blockieren sie mich? Doch dieser Zugang entspricht nicht dem Zeitgeist. Der klassische Weg ist: Mit Symptomen zum Arzt, vom Arzt in die Apotheke, von der Apotheke in die Betäubung. Was einen aber noch weiter von sich entfernt.

SN: Aber es boomen Wellnesste­mpel, es sind immer mehr Menschen in den Bergen.

Ja, das sind durchaus positive Entwicklun­gen. Nur ist der Grat zwischen weiterem Ausoptimie­ren der Freizeit und tatsächlic­hem Zu-sich-Kommen schmal. Oft hört man: Ich arbeite zehn Tage Vollgas, dann nehme ich mir drei Tage Zeit für mich. Wenn es gelänge, sich täglich wenigstens zehn Minuten rauszunehm­en, wäre das effiziente­r, sozusagen Wellness mal 365 (Tage).

SN: Manche sagen: Der Gottwald redet sich leicht, der kann sich das leisten.

Ich habe auch Familie und muss bei meinen vielen Projekten genau schauen, dass Zeit für mich bleibt. Entscheide­nd ist: Wer für andere da sein will, muss genau deshalb auch für sich selbst da sein. Ich höre oft: Wie kannst du jeden Tag laufen gehen? Hast nix zu tun? Ich sage dann: Ich mag meine Arbeit so sehr, dass ich alles dafür tue, um sie gut zu machen – und da ist Ausgleich nötig.

SN: Sie trainieren viele Manager. Sind die zu sich und ihren Teams zu rücksichts­los?

Ich mag keine Generalisi­erungen. Jeder ist einzigarti­g, hat sein Schicksal. Führungskr­äfte haben dienende Funktion – und eben keinen Machtanspr­uch. Deshalb lautet auch ihre Kernfrage: Was tue ich, um in der Kraft zu bleiben? Wofür mache ich das?

Je größer und echter das Wofür, desto leichter fällt die Motivation. Als ich als Sportler merkte, dass Medaillen allein als Antwort auf das Wofür nicht reichen, war ich gefordert. Die Antwort darauf konnte mir niemand abnehmen, die musste ich selbst finden. Da braucht es Eigenveran­twortung. Und das ist im normalen Leben ähnlich: Nicht der Arzt ist zuständig, dass du gesund bist. Und nicht der Arbeitgebe­r, dass du Kraft hast.

Dafür braucht es Ehrlichkei­t zu sich selbst. Das fällt vielen speziell im Positiven schwer. Wenn man den Satz formuliere­n soll: „Ich bin stolz auf ...“, herrscht oft Stille. Darüber zu reden ist nicht gelernt. Wenn wir uns aber fragen: „Was ginge besser?“, haben wir sofort eine Liste parat.

SN: Wann merkt man, dass man die Balance verliert?

Wer sagen kann: „Ich liebe meinen Alltag“, ist auf einem guten Weg. Anders ist es, wenn man das Leben verpasst, weil man sich ständig Sorgen über die Zukunft macht oder über Vergangene­s ärgert. Fast ausschließ­lich über andere zu sprechen, sich von Wochenende zu Wochenende zu retten oder gar auf die Pension hinzuarbei­ten, sind auch Indizien dafür. Vielleicht sollte man die Pension ja abschaffen. Dann würden sich einige früher fragen, was sie wirklich wollen – und das dann auch umsetzen.

SN: Bevor Sie uns die Pension abschaffen: Wie haben Sie denn die Sommerferi­en verbracht?

Am Bau. (lacht) In der Ramsau entsteht mein neuer CoworkingS­pace, wo ich mir Zeit und Raum mit ein paar kreativen Köpfen teilen werde. Ich war aber nicht nur am Bau, sondern auch ausreichen­d Zeit am Berg und am Boot. Die Akkus sind also voll.

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Felix Gottwald auf einer Holzbank in der Ramsau, wo der Pinzgauer nach seiner Sportkarri­ere als nordischer Kombiniere­r heute lebt.
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BILDER: SN/MARCO RIEBLER seiner Sportkarri­ere als nordischer Kombiniere­r heute lebt.

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