Österreich
Europäische Politiker sprechen in der Migrationsdebatte über den afrikanischen Kontinent, als sei er ein Land. Wie vielfältig Afrika jedoch ist, zeigt sich auch hierzulande.
„Ich musste viele Hürden überwinden.“ Mireille Ngosso, Ärztin und Politikerin „Communitys sind sehr unterschiedlich.“ Erwin Ebermann, Wissenschafter „Werde immer als Ausländer bezeichnet.“ Alexis NshimyimanaNeuberg, Journalist
Für die österreichische Politiklandschaft war die Ernennung von Mireille Ngosso zur Vizebezirksvorsteherin (SPÖ) eine Premiere: „Dass ich als Frau mit sichtbarem Migrationshintergrund in diese Funktion gewählt wurde, ist ein Signal für die Weltoffenheit dieser Stadt“, sagte sie in einem ihrer ersten Interviews, kurz nachdem sie ihr Amt für den ersten Wiener Gemeindebezirk angetreten hatte. Die Medizinerin, die 1980 in der Demokratischen Republik Kongo geboren wurde und mit ihren Eltern im Alter von drei Jahren nach Wien geflohen ist, ist Österreichs erste Bezirkspolitikerin mit afrikanischen Wurzeln. Es war nicht immer ein einfacher Weg.
„In meiner Kindheit und Jugend habe ich immer wieder schlechte Erfahrungen gemacht aufgrund meiner Herkunft und Hautfarbe. In der Schule, in der Arbeit oder mit Freunden gab es viele Hürden, die ich überwinden musste, um wirklich anzukommen und Teil der österreichischen Gesellschaft zu werden“, erzählt sie. Sie berichtet etwa von einem Kommentar ihrer Lehrerin in der Schule: „Sie sagte zu mir, sie hätte nie gedacht, dass sie eine Schwarze kennenlernen würde, die nicht singen kann, denn alle Schwarzen können singen, nur ich nicht“, erzählt sie.
Afrika. Das ist auch ein zentrales Thema des österreichischen EUVorsitzes. Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) will Anfang Dezember einen „EU-Afrika-Gipfel“abhalten. „In Afrika werden voraussichtlich Mitte des Jahrhunderts zwei Milliarden Menschen leben, gegen Ende des Jahrhunderts sogar vier Milliarden. Es ist daher unbedingt notwendig, dass wir enger mit den afrikanischen Staaten zusammenarbeiten“, sagte er.
Wobei derzeit für die EU vor allem ein Problem existiert: die illegale Migration von Afrikanern nach Europa. Auch die EU-Innenminister, die diese Woche in Wien tagen, werden sich vor allem darüber unterhalten, wie die europäischen Grenzen besser geschützt werden, vor allem auch in Richtung des afrikanischen Kontinents.
Abgesehen davon, dass die Zahl der illegalen Migranten, die in der EU ankommen, derzeit zurückgeht, ist die Zahl der Menschen, die den Pass eines afrikanischen Staates haben und in Österreich leben, nicht besonders groß. Nach Angaben der Statistik Austria sind es etwa 35.000 Personen, dazu kommen noch anerkannte Flüchtlinge. Die größten Gruppen stellten Ägypter (etwa 6000), Somalier (etwa 6000), Nigerianer (knapp 8000). Und: Österreicherinnen und Österreicher, die afrikanische Wurzeln haben.
Für den Afrika-Experten Erwin Ebermann ist jedenfalls eines klar: Die Österreicher haben von Afrika eher kein realistisches Bild. „Wenn, dann hauptsächlich als Reiseziel“, sagt er. Aber immerhin spreche man auch von einem Kontinent mit rund 2000 Völkern, die in 54 Staaten organisiert sind. Und so unterschiedlich wie die Staaten, so unterschiedlich seien auch die afrikanischen Communitys in Österreich, sagt Ebermann. So sei etwa Ghana ein Land mit einem hohen Bildungsniveau, die Gesellschaft relativ offen und so präsentierten sich auch die Ghanaer in Österreich. Bei den Somaliern sei dies hingegen nicht der Fall, außerdem sei das Land teilweise auch vom konservativen Islam geprägt. Daher seien die Somalier auch in Österreich eher verschlossen. Untersuchungen hätten auch gezeigt, dass etwa 30 Prozent der Österreicherinnen und Österreicher Vorbehalte gegen Afrikaner hätten. Dem gegenüber stünden etwa 30 Prozent der Afrikaner, die glaubten, dass es so etwas wie eine „Verschwörung der Weißen“gegen sie gebe. Ebermann: „Wenn so jemand bei der Bewerbung für einen Arbeitsplatz abgelehnt wird, dann verstärkt sich dieses Gefühl noch.“Dass Afrikaner nach Europa drängen, sei für ihn ebenfalls nachvollziehbar. In vielen Ländern gebe es gut ausgebildete junge Menschen, die keinen Arbeitsplatz fänden. „Und da gibt es natürlich die Sehnsucht, für ein besseres Leben auszuwandern.“
Afrikaner kamen aus den unterschiedlichsten Gründen nach Österreich.
Etwa als Teil der Alliierten lebten nicht nur Afroamerikaner der USArmee, sondern auch (etwa in Vorarlberg) marokkanische Soldaten der französischen Armee temporär in der Alpenrepublik. Die sogenannten Besatzungskinder sind Nachkommen, die aus Partnerschaften mit Österreicherinnen hervorgingen. In der Nachkriegszeit kamen dann vor allem Studierende aus Afrika. In den 1950ern und 1960ern traf man immer wieder ägyptische Studenten auf den österreichischen Unis.
In der jüngeren Vergangenheit waren es vor allem Asylbewerber. War ihre Zahl in den 1970er-Jahren im zweistelligen und in den 1980erJahren im dreistelligen Bereich, stieg sie in den 1990ern deutlich in den Tausender-Bereich.
Der erste Afroösterreicher, der in der Öffentlichkeit stand, war Angelo Soliman. Der um das Jahr 1721 herum geborene Soliman wurde als Kind in Afrika gefangen genommen, versklavt und nach Europa verkauft. Als kaiserlicher Diener wurde er zunehmend zum angesehenen Teil der Wiener High Society, umgab sich mit Leuten wie Mozart und wurde Mitglied der Freimaurer – bevor er nach seinem Tod gehäutet und ausgestopft im Museum des Kaisers, dem Vorläufer des heutigen Naturhistorischen Museums, ausgestellt wurde.
Fest steht, dass Afrikaner hierzulande auch heute immer wieder mit Rassismus und Vorurteilen zu kämpfen haben. Traurigste Beispiele waren etwa der Erstickungstod von Marcus Omofuma bei einem Abschiebeflug 1999 oder die Folterung von Bakary J. durch Polizeibeamte im Jahr 2006.
Alexis Nshimyimana-Neuberg kämpft seit Jahren gegen die Diskriminierung. Der Sozialarbeiter gründete 1997 „Radio Afrika TV“, einen Medienkanal, der vor allem die afrikanischen Communitys ansprechen soll. Der gebürtige Ruander kam 1992 nach Österreich und studierte an der Uni Wien Publizistik. „Wir sind sichtbare Migranten, aber wir wollen nicht durch die Farbe unserer Haut identifiziert werden“, sagt Nshimyimana-Neuberg. Doch Vorurteile bestünden noch immer. „Ich bin Österreicher und werde noch immer als Ausländer bezeichnet. Wir kämpfen noch immer darum, dass Menschen mit afrikanischen Wurzeln etwa als Kellner und nicht nur in der Küche arbeiten können“, sagt er. Die Wohnungsund Jobsuche gestalte sich oft schwierig. „Warum sieht man die Menschen mit afrikanischen Wurzeln nicht an der Supermarktkassa oder beim Magistrat oder bei der Polizei?“, fragt er.
Er sieht ein prinzipielles Problem in der Debatte: „Gesprochen wird im öffentlichen Diskurs oft über ,die Afrikaner‘.“Dabei gebe es auf dem afrikanischen Kontinent über 50 Nationen, verschiedenste geografische und wirtschaftliche Zonen. „Wie können wir dann von ,dem Afrika‘ reden?“Der Journalist vermisst in der Migrations- und Entwicklungsdebatte über den afrikanischen Kontinent vor allem eines: „Experten aus den verschiedenen Ländern Afrikas, die zu Wort kommen. Davon gibt es viele, sie werden hier nur nicht gehört.“