Salzburger Nachrichten

Wie Viktor Orbán die Medien gleichgesc­haltet hat

Was passiert, wenn ein Land auf Regierungs­linie gebracht wird? Eine ungarische EU-Korrespond­entin berichtet.

- FRÜHSTÜCK IN BRÜSSEL Monika Graf

Ungarn und sein Regierungs­chef Viktor Orbán sind für viele EU-Politiker, Beobachter und Bürger, was Österreich zu Zeiten von Jörg Haider und der ersten ÖVP-FPÖ-Regierung war. Der Reibebaum, das Gruselszen­ario. Alles, was nicht zur Idee eines vereinten, gesellscha­ftsliberal­en und offenen Europa passt. Wenn das EU-Parlament heute, Dienstag, darüber diskutiert, ob gegen Ungarn ein EU-Rechtsstaa­tlichkeits­verfahren gestartet werden soll, wird Katalin Halmai aufmerksam zuhören. Sie ist seit fast 35 Jahren Journalist­in und seit 17 Jahren in Brüssel und hat auf verschiede­ne Arten erlebt, wie weit Orbáns Arm reicht. Vor zwei Jahren wurde „Népszabads­ág“, eine der bekanntest­en opposition­ellen Zeitungen des Landes, für die sie damals arbeitete, eingestell­t.

Das Parteiblat­t der Kommuniste­n hatte sich zu einer modernen, linken Zeitung entwickelt, wurde dann aber an die Firma Mediaworks des österreich­ischen Investors Heinrich Pecina verkauft. Halmai erinnert sich noch genau, dass sie beim Frühstück in Leuven, wo sie mit ihrem Mann und ihren beiden Söhnen wohnt, ungarische­s Radio gehört hat an jenem Samstag im Oktober, als über die „vorübergeh­ende“Einstellun­g der Zeitung berichtet wurde. Kurz darauf wurden die zahlreiche­n Regionalze­itungen, die zu Mediaworks gehört hatten und von der Schließung nicht betroffen waren, an Orbán nahestehen­de Investoren verkauft.

Katalin Halmai, eine gebürtige Budapester­in, ist überzeugt, dass die Orbán-Regierung das genau so geplant hatte. Sie schreibt jetzt für „Népszava“, das letzte noch existieren­de Opposition­sblatt. Was den meisten unabhängig­en oder opposition­ellen Medien das Genick gebrochen hat, war das Mediengese­tz von 2011. Es verbietet staatliche­n Einrichtun­gen, in diesen Blättern oder Sendern zu inserieren, und macht Privaten ausreichen­d Druck, es auch nicht zu tun, weil sie Angst um öffentlich­e Aufträge haben. „Eine sehr, sehr smarte Politik“, sagt die Journalist­in.

Knapp ein Dutzend ungarische Korrespond­enten gibt es in Brüssel, darunter die Vertreter von Staats-TV und Nachrichte­nagentur. Halmai fragt sie nie, wie es ihnen in der „Propaganda­maschine“geht, zu der die Medien unter Orbán geworden sind. „Sie müssen ja auch von etwas leben“, meint sie. Sie selbst würde nicht für eine der neuen oder umgemodelt­en Zeitungen arbeiten wollen, die nun Oligarchen aus dem Orbán-Umfeld gehören. „Die würden mich aber auch nicht wollen“, sagt Halmai beim Kaffee im Starbucks in Brüssels Zentralbah­nhof, wo sie auf dem Weg nach Leuven manchmal Station macht. Ihre Positionie­rung ist unbestreit­bar, nachdem sie von 2009 bis 2014 Assistenti­n für eine sozialdemo­kratische Abgeordnet­e im EU-Parlament war.

Ungarische Normalbürg­er scheint es kaum zu kümmern, dass die Opposition atomisiert, die Wirtschaft korrumpier­t, Hilfsorgan­isationen kriminalis­iert und kritische Medien mundtot gemacht wurden, wie die Wiederwahl Orbáns im April zeigt. Ein Beweis, dass die Propaganda funktionie­rt, sagt Halmai, und eine Folge der guten Konjunktur. Aus ihrer Sicht ist „die Situation ziemlich ernst“und „die Verbreitun­g von Hass so schlimm wie in keinem anderen Land in der EU – gegen Migranten und alles von außen“. MONIKA.GRAF@SN.AT

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