Ein Mann, der aufs Ganze geht
Eike Schmidt hat binnen Kurzem die Uffizien in Florenz umgekrempelt. 2019 wird er Direktor des „Kunsthistorischen“in Wien.
Zwei Mal hat die Assistentin schon angerufen; der nächste Termin stehe an. Doch Halbheiten sind Eike Schmidts Sache nicht, wenn es etwas zu klären gibt. Das haben seine Mitarbeiter in den Uffizien schnell bemerkt, als „il tedesco“, der Deutsche, 2015 angetreten ist, eines der bedeutendsten Museen der Welt umzukrempeln. Die Veränderungen sind jetzt sichtbar, der Eintritt besser geregelt, Ikonen wie Botticellis Venus zeitgemäß präsentiert. Und Eike Schmidt verblüfft durch neue Ausstellungen wie eine Schau mit Werken von Maria Lassnig im Palazzo Pitti oder nun eine große Retrospektive mit Skulpturen und Zeichnungen des bayerischen Künstlers Fritz Koenig. Im Herbst 2019 übernimmt Schmidt die Leitung des Kunsthistorischen Museums in Wien. SN: Sie sind 2015 als erster Nicht-Italiener Direktor der Uffizien geworden. Das wurde nicht immer freundlich kommentiert. Eike Schmidt: In den italienischen Medien waren die Reaktionen anfangs vielfach negativ. Im persönlichen Umgang habe ich dagegen keinerlei Ablehnung erlebt. Schon gar nicht in den Uffizien selbst. Unter den Museumsmitarbeitern war die Frustration beträchtlich, weil viele Probleme über Jahre und Jahrzehnte nicht gelöst, sondern einfach nur weitergeschoben wurden. SN: Wie geht man so einen Berg an Versäumnissen an? Wir haben die internen Strukturen völlig verändert. Jetzt sind die leitenden Positionen mit kreativen, engagierten Mitarbeitern besetzt, die zum Teil schon ewig am Haus arbeiten, sich aber nie entsprechend ihren Fähigkeiten einbringen konnten. Sie genießen übrigens das Vertrauen der Kollegen, das ist ganz entscheidend. SN: Auch von außen sehen Ihre Häuser wieder deutlich besser aus. Da haben wir viel Geld ausgegeben für die Reinigung, und dann sind Dutzende lockere Steine restauriert und befestigt worden. Seit dem Zweiten Weltkrieg war da nichts passiert. Der Palazzo Pitti strahlt und ist für Besucher wieder sicher. SN: Warum sind diese wichtigen Museen vernachlässigt worden? Weil es irgendwo in Italien immer dringendere Sanierungsfälle gab, auf die man in Rom reagiert hat. Da war also viel Überzeugungsarbeit zu leisten. Un so ist der zweite Bereich, in den ich viel Geld investiere, das Personal. Wir können als staatliche Institution unsere Mitarbeiter nicht selbst auswählen – das geschieht in Rom.
Statt eines dringend benötigten Textilrestaurators kommt dann zum Beispiel einer für Malerei, weil der durch Dienstjahre, Gewerkschaft und so weiter im Bewerbungsverfahren vorn liegt. Die spezielle Qualifikation spielt keine Rolle. Deshalb hat das Kulturministerium im Zuge der Reformen eine Firma gegründet, durch die jedes Museum auf eigene Kosten gezielt die passenden Leute einstellen kann. SN: Wie viele Mitarbeiter sind neu, wie viele konnten sie einstellen? Fast 100 junge Leute, also rund 20 Prozent unseres Personals. In einem Land mit einer Jugendarbeitslosigkeit um die 30 Prozent ist das fantastisch. SN: Auffallend ist auch die Reform des Ticketverkaufs. Das war bitter nötig! Die Besucher müssen durch ein besseres Management der Zeitfenster nicht mehr ewig in der Schlange stehen. Und wir haben über den Sommer zwei Abendöffnungen pro Woche, da geht es entspannt zu. Es gibt inzwischen auch saisonale Preise, im Winter ist es mit 12 Euro günstiger als im Sommer mit 20 Euro. Aber wir haben ja nicht nur eine einzige Mona Lisa, sondern 30 oder 40. SN: Museen, die von Touristen überflutet werden, stehen nicht unter Erfolgsdruck. Das ist eine Art Freischein, die Hände in den Schoß zu legen. Das geht aber nie gut aus, auch wenn man wie wir fast vier Millionen Besucher im Jahr hat. Um ein Museum lebendig zu halten, sind Sonderausstellungen – inzwischen haben wir über 20 im Jahr – und kulturelle Angebote wie Konzerte ganz wichtig. Auch die Museumspädagogik ist hier viel zu kurz gekommen. Als ich hier ankam, gab es drei Leute, die für die Vermittlung zuständig waren. Wir hatten in den Uffizien noch nicht einmal eine Webseite. Jetzt kümmert sich eine Abteilung mit 30 Festangestellten plus Freien um die Besucherprogramme, um Social Media und vieles mehr. SN: War es, so gesehen, ein Wagnis, den bayerischen Künstler Fritz Koenig nach Florenz zu holen? Mag sein, mir war aber klar, dass das hier funktionieren würde. Koenig hatte ein ganz enges Verhältnis zu frühen archaischen Kunstformen, also nicht nur zur afrikanischen, sondern genauso zur etruskischen und antiken Kunst, die wir hier präsentieren. Und zur Renaissance. Denken Sie an den Florentiner Architekten und Bildhauer Filippo Brunelleschi, er ist für mich der Vater des Minimalismus. Ohne Brunelleschi gäbe es kein Bauhaus. Fritz Koenigs einfache, auf ein Minimum reduzierte Körper entsprechen im Grunde dem metrischen Ideal der italienischen Renaissance. Da ist nichts zu viel und nichts zu wenig. SN: Wie haben Sie die Politiker und Mitarbeiter von Ihren Reformvorhaben überzeugt? Mit Offenheit. Und ich habe mich nie einer Gruppe oder Partei angeschlossen. Das mag in Italien zunächst ein Nachteil sein, aber man wäre dann bestimmten Interessen verpflichtet. Insofern war es ein Vorteil, dass ich von außen kam und unabhängig geblieben bin. SN: In einem Jahr wechseln Sie ans Kunsthistorische Museum in Wien. Gibt es doch zu viele Hürden in Italien? Aber nein, Wien ist jetzt zum elften Mal in Folge zur lebenswertesten Stadt der Welt gewählt worden und kulturell einfach unschlagbar. Ich interessiere mich ja auch für die Musik und das Theater. In einer lebendigen kulturellen Szene mit Tanz, Literatur, egal was, kann man sich gerade für die Arbeit im Museum viele Inspirationen holen. Wir hatten kürzlich in den Uffizien einen Tänzer, der die nackten Figuren von Michelangelos Tondo Doni interpretiert hat – vollkommen nackt natürlich. Dieser Mann studierte monatelang die Posen und entwickelte dann eine Choreografie, in der sogar die Ponderation bei Michelangelo, das Abwägen bei der Komposition von Kunstwerken, umgesetzt war. Das Museumspublikum war völlig begeistert, aber so einen Tänzer entdeckt man nur beim Blick über den Tellerrand. SN: Was haben Sie in Wien vor? Die Frage des Umgangs mit der digitalen Revolution war mir schon in Florenz wichtig, das wird mich in Wien weiter beschäftigen – nicht bloß im Sinne der Digitalisierung der Sammlungen, das geschieht sowieso. Aber wir müssen Forschung und Kenntnis um die Werke für einen breiten Personenkreis öffnen. Die Fachwelt muss sich dem Dialog stellen, künftig mehr denn je, und das braucht keineswegs mit einem Niveauverlust einherzugehen.
Doch das ist nur ein Thema. Es wäre falsch, für Wien schon jetzt konkrete Strategien vorzugeben und zu benennen. Das muss mit den Kollegen vor Ort entwickelt werden.
„Entdecken kann man nur, wenn man über den Tellerrand schaut.“