Der SPÖ-Chef findet seinen Plan B in Europa
Innenpolitisch wurde Kern von einem jüngeren – politisch erfahreneren – Slim-Fit-Politiker aus dem Feld geschlagen.
WIEN. „Wenn wir dieses Schauspiel weiterliefern, ein Schauspiel der Machtversessenheit und der Zukunftsvergessenheit, dann haben wir nur noch wenige Monate bis zum endgültigen Aufprall.“So erfrischend ehrlich klang Christian Kern im Mai 2016. Damals sorgte er für neuen Schwung, neue Hoffnung und neue, bisher ungehörte Töne eines Spitzenpolitikers. Es war sein erster Pressekonferenzauftritt als Kanzler. Sein Vorgänger Werner Faymann war kurz zuvor in einem Pfeifkonzert der Genossen beim Mai-Aufmarsch endgültig untergegangen. Den starken Worten des smarten Ex-Managers mit dem weltmännischen Slim-Fit-Gehabe und der SPÖ-gerechten Aufsteigererzählung folgte eine mutige (Vorwahlkampf-)Ansage mit dem viel beachteten Plan A. Aber dann fehlte offenbar doch der Mut oder das Timing für die erhofften großen Taten. Zögernd und zaudernd wagte Kern es nicht, gute Umfragewerte und eine Führungsdiskussion beim Koalitionspartner für den Schritt Richtung Neuwahl zu nutzen. Als ÖVP-Chef Mitterlehner von Sebastian Kurz ins Aus getrieben wurde, verpasste Kern dann die letzte Chance, das Heft in die Hand zu nehmen, bevor Kurz dies tat. Im pannenreichen SPÖ-Wahlkampf beschädigte nicht nur die DirtyCampaigning-Affäre um Anti-KurzSeiten aus dem direkten Umfeld von SPÖ-Beratern den SPÖ-Chef schwer, im Grunde war es Kerns inferiore Personalauswahl. Nach der Abwahl brachte der vormals erste Kanzler ohne vorhergehende Regierungserfahrung das lähmende Stigma des insgeheim Angebote als Spitzenmanager sondierenden Parteichefs mit Ablaufdatum nicht wirklich los. Dies hinderte die Partei letztlich auch, Offensivgeist und Schlagkraft zu entwickeln. Flügelkämpfe und vor allem der Konflikt mit Partei-Rechtsausleger Doskozil über die Ausrichtung der Partei taten ein Übriges.
Woran ist Christian Kern als SPÖChef gescheitert? „Er hat eine zu dünne Haut für die Politik “, sagt Politikberater Thomas Hofer im SNGespräch. Die nötigen Stärken seien „potenziell da“. „Medienvermittlungskompetenz, eine gewisse persönliche Breite, auch eine entsprechende Lebensgeschichte. – Aber er hat im Vergleich zu Kurz deutlich weniger draus gemacht.“Kern habe letztlich auch die ihm durchaus zugetraute Führungsstärke „nicht auf die Bretter gebracht, sagt Hofer. „Er war eigentlich auf Augenhöhe mit Kurz, was die Erneuerungskraft angeht – aber er hatte einfach – und das war in der Dimension verwunderlich – kein tiefes Wissen, was politisches Management angeht.“
Christian Kern hatte jedenfalls von Jugend an einen Zug zur Spitze: Klassensprecher, Schulsprecher Spitzenkandidat der Sozialistischen Studenten, Bürochef eines SPÖ-Staatssekretärs und eine steile Karriere als Spitzenmanager im staatsnahen Bereich. Doch bereits 2014 schrieb Parteikollegin Doris Bures dem damaligen ÖBB-Chef ins Stammbuch, er würde keinen guten Politiker abgeben.
Seinen Gang in die Spitzenpolitik hatte Kern als „Projekt für zehn Jahre“angekündigt. Nun kommt also ganz offensichtlich Plan B zum Tragen: Kern geht und bleibt als Spitzenkandidat für die Europawahlen.