Das Dilemma mit den Verfahren gegen Polen und Ungarn
Eine Abstimmung über Verstöße gegen EU-Grundwerte während des Ratsvorsitzes Österreichs ist unwahrscheinlich.
Das gegen Polen eingeleitete EU-Strafverfahren wird fortgesetzt. Der Regierung in Warschau gelang es am Dienstag bei einer Anhörung im EU-Ministerrat in Brüssel nicht, die Zweifel an ihren Justizreformen auszuräumen. Der polnische Staatssekretär für Europafragen, Konrad Szymański, musste dabei in Brüssel seinen Amtskollegen Rede und Antwort zur Justizreform in seinem Land stehen.
Es war bereits die zweite Anhörung in Zusammenhang mit dem Disziplinarverfahren nach Artikel 7 des EU-Vertrags, das die EU-Kommission gestartet hat, weil sie die Unabhängigkeit der Justiz in Polen durch die Zwangspensionierung von Höchstrichtern gefährdet sieht. Die Sorgen und Bedenken seien seit der ersten Anhörung im Juni sogar noch einmal größer geworden, sagte EU-Vizekommissionspräsident Frans Timmermans. Etliche Mitgliedsstaaten hätten nach dem Hearing im Juni noch offene Fragen gehabt, daher habe man eine zweite Runde vorgesehen, sagte Europaminister Gernot Blümel, der zurzeit für die Orchestrierung der Treffen zuständig ist. Dass Österreich beim Rechtsstaatsverfahren gegen Warschau auf Verzögerungstaktik setze, weist er zurück. „Im Gegenteil“, sagte Blümel. Solange es noch Fragen gebe, werde das Thema auf der Tagesordnung bleiben, dann werde evaluiert.
Im Hintergrund räumen EU-Vertreter aber ein, dass kaum ein Mitgliedsstaat großes Interesse habe, das Artikel-7-Verfahren weiterzutreiben. Es bestünden weiterhin wenig Chancen, die notwendige Vierfünftelmehrheit unter den Mitgliedsstaaten für eine Verurteilung Polens oder entsprechende Empfehlungen an die dortige Regierung zu finden – geschweige denn eine einstimmige Entscheidung für den Entzug der Stimmrechte, der schlimmstenfalls droht, wenn die EU-Grundwerte nicht wiederhergestellt werden.
Parallel zu diesem Prozedere wird die EU-Kommission dem Vernehmen nach Polen heute, Mittwoch, wegen der Herabsetzung des Pensionsalter der Verfassungsrichter beim Europäischen Gerichtshof (EuGH) klagen. Das Vertragsverletzungsverfahren wurde im Juli gestartet, bisher hat Polen den Forderungen aus Brüssel nicht nachgegeben.
Drei Treffen der Europaminister stehen unter Österreichs Ratsvorsitz bis Jahresende noch auf dem Plan. Es stellt sich auch die Frage, wie mit dem zweiten Disziplinarfall in der EU umgegangen werden soll: Das Europaparlament hat vorige Woche ein Artikel-7-Verfahren gegen Ungarn wegen „systemischer Bedrohung der Demokratie, der Rechtsstaatlichkeit und der Grundrechte“angestoßen. Wann es eine erste Anhörung gibt, ist offen. Noch warte man auf den Brief von EUParlamentspräsident Antonio Tajani, verlautete aus dem Rat.
Die Regierung unter Viktor Orbán will unabhängig davon die Abstimmung im EU-Parlament beim EuGH anfechten. Der Vorwurf, den auch FPÖ-EU-Abgeordnete geäußert hatten: Die erforderliche Zweidrittelmehrheit sei nur zustande gekommen, weil Stimmenthaltungen nicht mitgezählt worden seien. Bei dem Votum hatten 448 Abgeordnete für das Sanktionsverfahrens gestimmt, 197 dagegen, 48 enthielten sich der Stimme.
„Wir werden verteidigen, was Polens Parlament beschlossen hat.“