Erdo˘gans Deal mit Putin
Die Türkei und Russland einigen sich auf eine Pufferzone rund um Idlib. Aber werden aus der syrischen Rebellenhochburg die Militanten wie gewünscht abziehen?
Knapp vier Stunden nachdem sich Wladimir Putin und Recep Tayyip Erdoğan in Sotschi auf die Einrichtung einer demilitarisierten Zone im syrischen Idlib geeinigt hatten, wurde die benachbarte Provinz Latakia von schweren Explosionen erschüttert. Ein russisches Militärflugzeug verschwand vom Radar. Es könnte versehentlich von syrischen Raketen russischer Bauart getroffen worden sein, spekulierten US-Militärbeobachter. Der russische Verteidigungsminister Sergej Schoigu machte dagegen „die israelische Seite“für den Abschuss des Flugzeugs verantwortlich.
Israels Armee lehnte die Verantwortung für den Zwischenfall ab. Offenbar um Deeskalation bemüht, bekundete die Armee ihr „Bedauern über den Tod“der russischen Soldaten. Dafür jedoch sei Syrien verantwortlich, hieß es. Untersuchungen hätten ergeben, dass „massives, ungenaues Feuer der syrischen Luftabwehr“zum Abschuss der Maschine geführt habe.
Der „Zwischenfall“, der wohl 15 russische Soldaten das Leben kostete, wird keine Auswirkungen auf die Vereinbarung von Sotschi haben. Ob sie zum Abbau der Hochspannung in der syrischen Rebellenhochburg beiträgt, wird man frühestens in vier Wochen wissen.
Bis zum 15. Oktober soll in Idlib eine 15 bis 20 Kilometer breite Pufferzone eingerichtet worden sein, aus der sich die „militanten Gruppen“, also die mit dem Terrornetzwerk Al Kaida verbündeten Dschihadisten-Milizen, mit ihren schweren Waffen und Panzern zurückziehen sollen. Gefragt wurden freilich die Extremisten nicht. Es wird demnach Aufgabe der türkischen Armee und Geheimdienste sein, die „militanten“von den „gemäßigten“Rebellengruppen zu trennen – was in den zurückliegenden Wochen und Monaten gescheitert ist.
Man werde sich auch zukünftig nicht dem Diktat der Russen und Türken unterwerfen, kommentierten Sprecher der Dschihadisten am Dienstag den „Deal“von Sotschi, der viele Fragen offen lässt: Wo genau soll die Pufferzone verlaufen? Wohin sollen die „Militanten“abziehen? Welche Mittel dürfen eingesetzt werden, falls sich die Dschihadisten, wie bereits angekündigt, weigern sollten, die türkisch-russischen Vorgaben freiwillig umzusetzen? Wird dann die russische Luftwaffe die hinter menschlichen Schutzschildern versteckten Bastionen des Al-Kaida-Ablegers Hayat Tahrir al-Sham (HTS) bombardieren und so die über Monate befürchtete Massenflucht Hunderttausender Zivilisten in die Türkei doch noch auslösen?
Mit dem Abkommen in Sotschi hat der türkische Präsident Erdoğan Zeit gewonnen. Dass Russland einer Kompromissregelung mit der Türkei zugestimmt hat, ist aber auch auf westlichen Druck zurückzuführen. Die USA hatten in den vergangenen Wochen immer wieder Vergeltungsschläge in Syrien angekündigt, falls Russland und Syriens Militär die Provinz Idlib mit chemischen oder konventionellen Waffen bombardieren sollten. Eine solche Intervention ist jetzt erst einmal vom Tisch. Putin und Erdoğan bestimmen weiterhin allein über das Schicksal der Provinz Idlib. Die USA und erstmals auch die Iraner, die nicht nach Sotschi eingeladen wurden, sind draußen. Auch das Regime in Damaskus wurde offenbar nicht konsultiert. Laut Putin soll die Einigung von Sotschi aber die „allgemeine Zustimmung“von Präsident Baschar al-Assad erhalten haben. Dem syrischen Diktator wurde, als Ausgleich für die vorerst abgeblasene Großoffensive, die Wiedereröffnung der durch die Provinz Idlib führenden Autobahnen zwischen Aleppo und Homs sowie zwischen Aleppo und Latakia zugesagt. Die strategisch so wichtigen Straßenverbindungen im Norden Syriens sollen bis zum Ende des Jahres von türkischen und russischen Truppen kontrolliert werden.
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