Der Widerstand wird weggetanzt
Mit „Bella Ciao“wurde ein altes Protestlied heuer zum neuen Sommerhit. Jetzt wartet das Oktoberfest. Nur Tom Waits legt Protest ein.
SALZBURG. „Oh Partisan, bring mich fort, denn ich fühle, dass ich sterben werde“, singen die Stimmen im Hintergrund. Doch bevor es tragisch werden könnte, lenkt ein anschwellender Trommelwirbel die Aufmerksamkeit um. Und dann kommt der „Drop“.
Der Begriff hat in der elektronischen Tanzmusik nichts mit Fallen im kriegerischen Sinn zu tun. Er bezeichnet den Moment, wenn sich eine langsam aufgebaute Spannung entlädt und der Beat das Kommando übernimmt. Im Song „Bella Ciao“, der seit dem Sommer jede Tanzfläche füllt, ist das zu hören. Dass es in dem Text eigentlich tatsächlich um einen Kampf geht, tritt in den Hintergrund.
„Bella Ciao“ist ein Song mit wandlungsreicher Geschichte. Als Arbeitslied der Reispflückerinnen, die in Italien unter unbarmherzigen Bedingungen schufteten, tauchte es ursprünglich auf. Mit umgeschriebenem Text wurde es im Zweiten Weltkrieg als Widerstandshymne der italienischen Partisanen gegen den Faschismus berühmt.
Als Protestsong und kämpferische Freiheitshymne wird es seither vielseitig eingesetzt. „Bella Ciao“sangen etwa kurdische Kämpfer 2014 bei der Verteidigung der Stadt Kobane gegen die Terrormiliz IS. „Bella Ciao“stimmten aber auch heuer im Juni die Passagiere eines Flughafenbusses in Italien an: Als Innenminister Matteo Salvini zustieg, protestierten sie damit spontan gegen seinen harten Anti-Zuwanderungs-Kurs.
In der Hitparade wich der Protest zu diesem Zeitpunkt bereits der Tanzbarkeit: In der Version von El Profesor und DJ Hugel wurde „Bella Ciao“im Frühsommer zum Hit. In Österreich rangiert das Lied seit 13 Wochen in den Charts – aktuell immer noch auf Platz 2. In Deutschland kürte das Gfk-Institut „Bella Ciao“sogar zum „offiziellen Sommerhit 2018 “: Er habe eine eingängige Melodie und verbreite Urlaubsstimmung, hieß es in der Erklärung.
Begonnen hat der Erfolg von Hugels Remix dabei mit einem Überfall: In der Netflix-Serie „Haus des Geldes“plant der Protagonist El Profesor den größten Bankraub in der Geschichte Spaniens. Und weil er Systemgegner aus Prinzip ist, singt auch er am Abend vor dem großen Beutezug „Bella Ciao“.
Der große Erfolg der Serie machte den musikalischen Coup erst möglich. Auf den House-Remix, den DJ Hugel mit der Originalstimme des „Professors“aus der Serie anfertigte, folgten unzählige weitere Versionen. DJ-Stars wie Steve Aoki oder Hardwell legten nach, Teenieliebling Mike Singer (er tritt am 25. 10. auch im Salzburger Rockhouse auf) trällerte den Song, und zwischen Hip-Hop und Blasmusik tauchten noch so viele Varianten auf, dass DJ Hugels Single mitunter schon wieder mit dem Zusatz „Das Original“angepriesen wird.
Dass der Protestsong trotzdem nicht vergessen wird, dafür sorgt seit vergangenem Wochenende Tom Waits.
Mit Grabesstimme gibt der USSänger dem Lied seine Dramatik zurück: „Eines schönen Morgens wachte ich auf, Bella ciao, Bella ciao, Bella ciao“, singt Waits, und Gitarrist Marc Ribot legt ein paar beklemmende Akkorde darunter: „Eines schönen Morgens wachte ich auf und fand einen Faschisten vor der Tür.“Auf dem jüngsten Album von Marc Ribot ist der Song als düsteres Duett zu hören. „Songs of Resistance 1942–2018“hat der Avantgardist das Album genannt. Elf Protestlieder adressiert Ribot mit Gästen wie Waits oder Steve Earle recht direkt an US-Präsident Donald Trump. Und „Bella Ciao“reiht sich wieder in die Tradition von Coverversionen mit politischem Klang ein, die von Hannes Wader und Konstantin Wecker bis zu Chumbawamba oder Manu Chao reicht.
Ob bei einem Song mit so viel Doppelbedeutung auch eine Synthese aus Ernst und Massengaudi funktionieren kann? In einer Kolumne der „Süddeutschen Zeitung“wurde bereits gefordert, „Bella Ciao“müsse der neue OktoberfestHit werden. Tatsächlich gibt es den Song längst als „Wiesn-Version“. Und findige Produzenten denken weiter: Auf dem Sampler „Hütten Style: Après Ski Hits 2019“hat „Bella Ciao“längst seinen Fixplatz.