„Graz muss spüren, dass es uns gibt“
Ekaterina Degot verpasst dem steirischen herbst eine Rundumerneuerung. Das Programm ist stark politisch ausgerichtet.
Die gebürtige Russin Ekaterina Degot wurde im Vorjahr zur Intendantin des steirischen herbst gekürt. Morgen, Donnerstag, beginnt unter dem Motto „Volksfronten“das erste Programm der 59-jährigen Kunsthistorikerin und Kuratorin. SN: Was bewegt eine international tätige Kuratorin, die in Moskau und Köln Jobs hatte, sich in Graz zu bewerben? Ekaterina Degot: Die Relevanz des steirischen herbst wird vor Ort gern unterschätzt wird. Für mich war das immer schon ein sehr wichtiges Festival. Die Größe der Stadt ist nicht so wichtig. Graz ist ein gut eingeführter Kunst-Ort, wir werden uns hier mit urbanen und regionalen Narrativen beschäftigen. SN: Wie haben Sie die Kulturstadt Graz bisher erlebt? Graz ist eine internationale Stadt, es gibt funktionierende Kunstinstitutionen, aber es fehlt eine universitäre Ausbildung für bildende Kunst. Man fühlt, dass es keine Studierenden aus diesem Bereich in der Stadt gibt. Das Publikum in Graz ist für mich noch ein Geheimnis. Die Spannung steigt: Wer wird zum steirischen herbst kommen? SN: Die persönlichen Kompetenzen der Intendanten prägen das Festivalprogramm. Unter Peter Oswald blühte die Neue Musik auf, Ihre Vorgängerin Veronica Kaup-Hasler forcierte Theater und Tanz. Wird nun bildende Kunst dominant werden? Ich würde es so formulieren: eine erweiterte bildende Kunst. Der steirische herbst ist eine Plattform für eine bildende Kunst, die für alles offen ist. Mich interessieren interdisziplinär agierende Künstlerinnen und Künstler. Solche, die Kunst studiert haben, aber längst nicht mehr nur malen, sondern auch performativ tätig sind, Filme drehen, an Aktionen interessiert sind. SN: Sie haben einen mit 29 Euro günstigen Festivalpass eingeführt, etliche Veranstaltungen können gratis besucht werden. Möchten Sie ein breites Publikum? Es ist in erster Linie ein Signal, dass wir nicht nur an den professionellen Kunstbesuchern interessiert sind. Wiewohl: Unser Programm ist eine Herausforderung, die Performances, Diskussionen und Aktionen sind sicher nicht einfach zu konsumieren. Dafür suchen wir die geeigneten Leute. SN: Die herbst-Eröffnung findet nicht mehr in der Helmut-List-Halle statt. Ja, das ist ein bewusstes Statement. Wir verlassen den elitären Rahmen und gehen hinaus in den öffentlichen Raum, suchen den Kontakt mit den Menschen. Die Stadt muss spüren, dass es uns gibt. Wir suchen die Partizipation, wollen uns nicht abschotten vom Alltag. Sofort als ich nach Graz kam, war mir klar, dass wir anders eröffnen müssen. SN: Zur Eröffnung gibt es mit dem Bread & Puppet Theater und der Gruppe Laibach zwei altgediente große Setzungen. Gibt es keine neuen Namen? Das ist so eine Sache. Schauen Sie sich das Programm an, dann merken Sie, dass viele andere Namen neu sind. Wenn man nur neue Leute bringt, sagen die Kritiker: „Wer ist denn das? Die kennt man ja alle nicht. Wo sind die Stars?“Ich glaube, dass wir einen guten Mix gefunden haben. SN: Der Titel des Festivals lautet „Volksfronten“? Wofür steht dieser Begriff? „Volksfronten“ist das Ergebnis eines kollektiven Findungsprozesses. Der Titel reagiert auf die wachsenden Gefahren, die uns umgeben: Rechtsextremismus, Fremdenfeindlichkeit, staatliche Propagandamaschinen und eine Flüchtlingspolitik, die auf Kosten der Menschen ausgetragen wird. Es ist natürlich
„Wir verlassen den elitären Rahmen und gehen hinaus.“ Ekaterina Degot, Intendantin
leicht zu sagen: Ich bin gegen alle diese Entwicklungen. Aber das ist zu wenig. Wir sehen die Aufgabe, über die Kunst dialektische Arbeit zu leisten. Die Welt besteht aus Widersprüchen. SN: Kann Kunst die Welt verändern? Ja, aber nur langsam. Kunst kann die Menschen verändern, und dadurch wird auch die Welt verändert. Künstler sind nicht selten dem Geschehen etwas voraus. Heute reden alle über Fake News. Seit Jahrzehnten spielt dieses Thema in den Strategien und Arbeitsweisen von Künstlern eine Rolle. SN: In Ihren Texten steht, dass der herbst eine kritische Agenda verfolge, aber keine Alternativpolitik betreiben will. Wie darf man das verstehen? Es ergibt keinen Sinn, in einem Kunstfestival reine politische Statements zu machen. Natürlich sind wir gegen Xenophobie und für Liberalität, gegen Rechtspopulismus und für Toleranz. Aber ein Kunstprogramm muss mehr aussagen können. Wir wollen zügellose Geschichten erstellen, unmögliche Mutmaßungen anstellen oder aber auch poetische Scherze treiben. SN: Zurück zu Laibach, die das Festival mit der Konzertperformance „Sound of Music“eröffnen. Wie kam es dazu? Es war ein glücklicher Zufall. Ich habe Laibach kontaktiert und sie sagten mir, dass sie seit geraumer Zeit überlegen, den Stoff des USFilms, der im Ausland viel beliebter als in Österreich ist, zu bearbeiten. SN: Was erwarten Sie sich? Das Thema ist spannend. Da entsteht im Amerika der 1960er-Jahre ein Film, der mit der österreichischen Realität nichts zu tun hat und die Botschaft verkündet: Es ist sehr gut, ein Nationalist zu sein. Eine Art heroisierter Widerstandkämpfer im Zeichen des Edelweißes. Die von „Sound of Music“ausgehenden idyllischen Bilder sind postfaschistisch zu deuten. Und Laibach wird all diese Elemente aufzeigen. SN: Wann ist für Sie das Festival gelungen? Es ist jetzt schon gelungen. Wir haben ein System von Narrativen aufgebaut und werden Geschichten erzählen. Wir hoffen, dass es ein interessiertes, aktives Publikum geben wird. Das wäre mir wichtiger, als wenn wir ausverkauft wären, aber kein Dialog in Gang käme. Interessierte Leute bringen neue Ideen. SN: Wie positioniert sich der herbst im Vergleich zu den anderen Festivals in Österreich? Wir nehmen das Wort Avantgarde nicht mehr in den Mund. Aber wir wollen ein internationales, experimentelles, sich gegenüber den Osten Europa öffnendes Festival sein und, wie in der Vergangenheit, neue Talente entdecken. SN: Kürzlich war Wladimir Putin in der Steiermark. Wie haben Sie den Knicks der Außenministerin vor ihm erlebt? Ich war erschrocken. Russland hat den ganzen Rechtsruck für Europa vorgegeben und hier gilt er als „unser bester Freund“. Das Unerträglichste an der aktuellen russischen Kultur ist für mich der unglaubliche Sexismus und das Patriarchat.