Warum wir vertrauen können
Schon der Säugling hat im Prinzip das Vertrauen, dass seine Bedürfnisse wahrgenommen und entsprechend beantwortet werden.
Ist es schwierig, in Zeiten wie diesen von Vertrauen zu schreiben oder zu lesen? In Zeiten, in denen der Egoismus unter dem Deckmantel des Nationalismus blüht. In Zeiten, in denen zum Teil nicht die Problemlösung im Vordergrund steht, sondern Probleme genutzt werden, um Politik zu machen. In Zeiten, in denen wir weniger die Solidarität spüren, sondern das Gefühl der Bedrohung sich aufdrängt. Fällt uns nicht eher der Satz „Vertrauen ist gut, Kontrolle ist besser“ein?
Vertrauen und Kontrolle sollten wie Geschwister gesehen werden. Mit blindem Vertrauen durch das Leben zu gehen ist töricht. Nur auf Kontrolle zu setzen beraubt den Menschen des Menschseins. Gleichzeitig dürfen wir uns vor Augen führen, dass die Kombination Vertrauen und Kontrolle in unserem psychischen Urprogramm angelegt ist. Schon der Säugling hat eine Idee von der Welt. Er hat im Prinzip das Vertrauen, dass, obwohl er nicht sprechen kann, seine Bedürfnisse wahrgenommen und entsprechend beantwortet werden. Er braucht Schutz, Geborgenheit, Austausch, Einfühlung, Gefüttert-Werden und vieles mehr. Er vergleicht jedoch auch, und darin ist die Kontrolle zu sehen, das Angebotene mit den vorhandenen Wünschen und Bedürfnissen, mit seinem Ursehnsuchtsprogramm. Das Ergebnis wird rückgemeldet werden, einmal mit glücklichem Strahlen, einmal mit Protest.
Je besser dieser gemeinsame Tanz zwischen Eltern und Kind stattfinden kann, umso lebendiger, intensiver, erfüllter wird die Beziehung sein und umso mehr wird gegenseitiges Vertrauen wachsen können. Das ist die optimale Situation. Oft wird diese Vorgabe nicht erreicht werden (können). Es ist diese Differenz zwischen Sollzustand und Istzustand, die das Leiden ausmacht. Diese Differenz spüren wir ein Leben lang. Sie ist im Übrigen auch die Triebfeder für Flucht und Migration.
Trotz allen Leids können wir festhalten, dass das Spüren des Sollzustands eine angeborene Größe ist. Darauf ist Verlass, darauf können wir vertrauen. Die Frage ist nur, wie wir diese Fähigkeit nutzen. Ist sie eine Orientierung und ein Ansporn oder führt sie zu Neid, Missgunst, Hass, Gewalt oder Trauer, Verzweiflung oder Resignation?
Vertrauen wird normalerweise mit einem „Du“verbunden. Wir müssen jedoch auch lernen, Vertrauen mit uns selbst zu verbinden, mit Selbstvertrauen. Nur in den anderen zu vertrauen schafft Abhängigkeit. Ein gutes Maß an Selbstvertrauen ist der Grundstein für Unabhängigkeit, Autonomie und Begegnung. Sich auf sich selbst verlassen zu können gelingt nur, wenn man gelernt hat, einen inneren positiven Dialog zu finden. Aufmerksamkeit, Schutz, Geborgenheit, Trost, Lob, Anerkennung und vieles mehr sollten auf der inneren Bühne des Menschen einen Platz bekommen. Nur dann erreicht er eine Stufe der Autonomie, der Unabhängigkeit, die es ihm gestattet, auf der äußeren Bühne die Welt in einer positiven Weise mitzugestalten.
Die Frage ist: Können wir das schaffen, auch wenn wir keine so glückliche Kindheit gehabt haben? In einem gewissen Maß lässt die Resilienzforschung Optimismus zu. Wir können uns an dem positiven „Du“orientieren. Es ist zum Teil eine Entscheidung, die wir treffen. Hier stoßen wir wieder auf das „Du“. Es ist ein Flechtwerk an Fremd- und Selbstvertrauen, das nicht klar zu trennen ist. Vertrauen ist eine globale Verantwortung. Wir sind aufgerufen, dem Vertrauen, das in uns gesetzt wird, zu entsprechen, wie die Eltern für das Kind. Dr. Manfred Stelzig ist Facharzt für Psychiatrie und Neurologie und Psychotherapeut für Psychoanalyse und Psychodrama, Lehrtherapeut für Psychodrama-Psychotherapie mit Schwerpunkt Psychosomatik im ÖAGG, Lehrtherapeut der Österreichischen Ärztekammer, Lehrbeauftragter an der PMU Salzburg, der Donau Universität Krems und der Universität Innsbruck. WWW.KURATORIUM-PSYCHISCHE-GESUNDHEIT.AT Psychologische Hilfe-Hotline: 0664 / 100 800 1 Im SN-Saal: Vortrag und Diskussion „Warum wir Vertrauen können“mit Manfred Stelzig. Dienstag, 25. September 2018, 19.00 Uhr, Karolingerstraße 40, 5021 Salzburg. Buslinie 10. Gemeinsam mit der Salzburger Gebietskrankenkasse und dem Kuratorium für Psychische Gesundheit. Eintritt frei. KEINE Anmeldung erforderlich.