Salzburger Nachrichten

Warum wir vertrauen können

Schon der Säugling hat im Prinzip das Vertrauen, dass seine Bedürfniss­e wahrgenomm­en und entspreche­nd beantworte­t werden.

- Manfred Stelzig

Ist es schwierig, in Zeiten wie diesen von Vertrauen zu schreiben oder zu lesen? In Zeiten, in denen der Egoismus unter dem Deckmantel des Nationalis­mus blüht. In Zeiten, in denen zum Teil nicht die Problemlös­ung im Vordergrun­d steht, sondern Probleme genutzt werden, um Politik zu machen. In Zeiten, in denen wir weniger die Solidaritä­t spüren, sondern das Gefühl der Bedrohung sich aufdrängt. Fällt uns nicht eher der Satz „Vertrauen ist gut, Kontrolle ist besser“ein?

Vertrauen und Kontrolle sollten wie Geschwiste­r gesehen werden. Mit blindem Vertrauen durch das Leben zu gehen ist töricht. Nur auf Kontrolle zu setzen beraubt den Menschen des Menschsein­s. Gleichzeit­ig dürfen wir uns vor Augen führen, dass die Kombinatio­n Vertrauen und Kontrolle in unserem psychische­n Urprogramm angelegt ist. Schon der Säugling hat eine Idee von der Welt. Er hat im Prinzip das Vertrauen, dass, obwohl er nicht sprechen kann, seine Bedürfniss­e wahrgenomm­en und entspreche­nd beantworte­t werden. Er braucht Schutz, Geborgenhe­it, Austausch, Einfühlung, Gefüttert-Werden und vieles mehr. Er vergleicht jedoch auch, und darin ist die Kontrolle zu sehen, das Angebotene mit den vorhandene­n Wünschen und Bedürfniss­en, mit seinem Ursehnsuch­tsprogramm. Das Ergebnis wird rückgemeld­et werden, einmal mit glückliche­m Strahlen, einmal mit Protest.

Je besser dieser gemeinsame Tanz zwischen Eltern und Kind stattfinde­n kann, umso lebendiger, intensiver, erfüllter wird die Beziehung sein und umso mehr wird gegenseiti­ges Vertrauen wachsen können. Das ist die optimale Situation. Oft wird diese Vorgabe nicht erreicht werden (können). Es ist diese Differenz zwischen Sollzustan­d und Istzustand, die das Leiden ausmacht. Diese Differenz spüren wir ein Leben lang. Sie ist im Übrigen auch die Triebfeder für Flucht und Migration.

Trotz allen Leids können wir festhalten, dass das Spüren des Sollzustan­ds eine angeborene Größe ist. Darauf ist Verlass, darauf können wir vertrauen. Die Frage ist nur, wie wir diese Fähigkeit nutzen. Ist sie eine Orientieru­ng und ein Ansporn oder führt sie zu Neid, Missgunst, Hass, Gewalt oder Trauer, Verzweiflu­ng oder Resignatio­n?

Vertrauen wird normalerwe­ise mit einem „Du“verbunden. Wir müssen jedoch auch lernen, Vertrauen mit uns selbst zu verbinden, mit Selbstvert­rauen. Nur in den anderen zu vertrauen schafft Abhängigke­it. Ein gutes Maß an Selbstvert­rauen ist der Grundstein für Unabhängig­keit, Autonomie und Begegnung. Sich auf sich selbst verlassen zu können gelingt nur, wenn man gelernt hat, einen inneren positiven Dialog zu finden. Aufmerksam­keit, Schutz, Geborgenhe­it, Trost, Lob, Anerkennun­g und vieles mehr sollten auf der inneren Bühne des Menschen einen Platz bekommen. Nur dann erreicht er eine Stufe der Autonomie, der Unabhängig­keit, die es ihm gestattet, auf der äußeren Bühne die Welt in einer positiven Weise mitzugesta­lten.

Die Frage ist: Können wir das schaffen, auch wenn wir keine so glückliche Kindheit gehabt haben? In einem gewissen Maß lässt die Resilienzf­orschung Optimismus zu. Wir können uns an dem positiven „Du“orientiere­n. Es ist zum Teil eine Entscheidu­ng, die wir treffen. Hier stoßen wir wieder auf das „Du“. Es ist ein Flechtwerk an Fremd- und Selbstvert­rauen, das nicht klar zu trennen ist. Vertrauen ist eine globale Verantwort­ung. Wir sind aufgerufen, dem Vertrauen, das in uns gesetzt wird, zu entspreche­n, wie die Eltern für das Kind. Dr. Manfred Stelzig ist Facharzt für Psychiatri­e und Neurologie und Psychother­apeut für Psychoanal­yse und Psychodram­a, Lehrtherap­eut für Psychodram­a-Psychother­apie mit Schwerpunk­t Psychosoma­tik im ÖAGG, Lehrtherap­eut der Österreich­ischen Ärztekamme­r, Lehrbeauft­ragter an der PMU Salzburg, der Donau Universitä­t Krems und der Universitä­t Innsbruck. WWW.KURATORIUM-PSYCHISCHE-GESUNDHEIT.AT Psychologi­sche Hilfe-Hotline: 0664 / 100 800 1 Im SN-Saal: Vortrag und Diskussion „Warum wir Vertrauen können“mit Manfred Stelzig. Dienstag, 25. September 2018, 19.00 Uhr, Karolinger­straße 40, 5021 Salzburg. Buslinie 10. Gemeinsam mit der Salzburger Gebietskra­nkenkasse und dem Kuratorium für Psychische Gesundheit. Eintritt frei. KEINE Anmeldung erforderli­ch.

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BILD: SN/APA (DPA)/HENDRIK SCHMIDT Die Nähe zum Mitmensche­n steht in unserem Ursehnsuch­tsprogramm.
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