Willkommen in Salzburg!
Sehr geehrte Staatsund Regierungschefs der EU! Nutzen Sie Ihr Treffen an einem der schönsten Plätze der Welt zu einem Neustart für die Europäische Union.
Salzburg hat Erfahrung im Umgang mit hohen Gästen. Hier waren schon Richard Nixon, Nikita Chruschtschow, Hillary Clinton und Papst Johannes Paul II. zu Besuch. Von Emmanuel Macron, Theresa May oder Angela Merkel ganz zu schweigen. Und erst Helmut Kohl: Der ehemalige deutsche Kanzler hat hier am Wolfgangsee in St. Gilgen viele Sommer lang seinen Urlaub verbracht.
Es ist nicht nur die wunderbare Landschaft mitsamt ihrer barocken Landeshauptstadt, die Salzburg so einzigartig macht. Es ist der Geist von Kunst und Kultur, der an vielen Orten spürbar ist. Und es sind die Menschen, die im Großen und Ganzen weltoffen durch das Leben gehen.
Salzburg ist eine der europäischsten Städte Österreichs. Die Nähe zu Deutschland, der starke Tourismus und die Internationalität durch die Salzburger Festspiele haben uns immer schon vor Augen geführt, dass wir gemeinsam und ohne Grenzen viel stärker sind als allein.
Sie, sehr geehrte Staats- und Regierungschefs, befinden sich also auf einem guten Boden, wenn Sie heute und morgen in Salzburg über die Zukunft Europas beraten. Unsere große Bitte: Nutzen Sie den Zauber der Mozartstadt für einen Neustart der Europäischen Union. Vieles muss sich ändern, damit die EU Garant dafür bleiben kann, was in ihrem Gründungsversprechen festgelegt ist: „Nie wieder Krieg.“
Der Krieg der Worte findet bereits statt. Zwischen Nord und Süd, zwischen West und Ost, zwischen Links und Rechts. Eine bis vor wenigen Jahren kaum vorstellbare Polarisierung ist allgegenwärtig. Nationalistische Strömungen in nahezu allen Mitgliedsländern untergraben die Einheit in der Vielfalt, die Europa zu Recht anstrebt.
Unser Appell an Sie: Reden Sie wieder vernünftig miteinander. Kommen Sie zu dem zurück, was die EU auch in schärfsten Konflikten immer ausgezeichnet hat. Arbeiten Sie lösungsorientiert und nicht problemorientiert.
Ich habe in meiner Zeit als EUKorrespondent für die „Salzburger Nachrichten“diese Lösungsorientiertheit als besonders wohltuend empfunden. Im Gegensatz zum heimischen Nationalrat ging es im EU-Parlament gesittet zu. Und am Ende stand, nach starkem, zähem, manchmal auch langwierigem Ringen, ein Ergebnis, mit dem alle leben konnten. Erinnern Sie sich an die Tugend des Kompromisses. Er hat bei uns einen schalen Beigeschmack bekommen, manche nennen ihn „faul“oder „Packelei“. Aber er ist in Wahrheit ein Ausgleich der Interessen, ein Mittelweg, und steht auch für Versöhnung.
Die brauchen wir in Europa dringend. Vor allem der Konflikt zwischen Ost und West versetzt viele Menschen in Unruhe. Wir beobachten die politische Entwicklung vor allem in Polen und Ungarn mit Sorge. Die Visegrád-Gruppe (Polen, Ungarn, Tschechien, Slowakei) steht heute als Synonym für eine innere Opposition in der Union, für zunehmende Illiberalität. Dabei war die Gruppe einst so hoffnungsfroh in die europäische Freiheit gestartet. Was ist da schiefgelaufen? Warum sind so viele Menschen dort von der Union enttäuscht, dass sie ihren politischen Verführern blind hinterherlaufen? Und wie holen wir sie wieder zurück an Bord, die einstigen Musterschüler der EU?
Schlagen Sie nicht alle Türen nach Großbritannien zu. Auch wenn Sie gute Lust dazu hätten, nach all dem, was Cameron, Johnson, May und Co. bis jetzt geliefert haben. Noch ist zusammen, was zusammengehört, nämlich Großbritannien und die EU. Immerhin war es Winston Churchill, der in seiner berühmten „Rede vor der akademischen Jugend“1946 an der Universität von Zürich als erster Staatsmann von der Idee „einer Art Vereinigter Staaten von Europa“sprach.
Die Migration bewegt uns alle. Sie ist das politische Thema Nummer eins. Die Angst vieler Menschen vor ungezügelter Einwanderung und einem weiteren Kontrollverlust an unseren Grenzen ist nach wie vor vorhanden. Auch wenn die Fakten dazu derzeit keinen Grund böten. Es gibt 97 Prozent weniger Flüchtlinge im östlichen Mittelmeerraum als vor drei Jahren und 80 Prozent weniger auf der zentralen Mittelmeerroute. Und dennoch fürchten sich viele, dass sich 2015 wiederholen könnte.
Nutzen Sie also den Gipfel von Salzburg, um hier die Weichen neu zu stellen. Die Idee, eine große Grenzschutztruppe aufzustellen, die auch von der EU bezahlt wird, ist gut. Die Einrichtung von Asylzentren in Nordafrika ist auch gut. Und eine geordnete Einwanderungspolitik ebenfalls. Europa muss aber endlich den Afrikanern dabei helfen, die Gründe für die Flucht von Millionen Menschen zu beseitigen: Hunger, Durst, keine Bildung, keine Arbeit, Perspektivlosigkeit. Wir hören von Ihnen zwar seit vielen Jahren, man müsse die Entwicklungszusammenarbeit fördern und „die Hilfe vor Ort“ausbauen, aber wir sehen nichts davon. Geben Sie sich einen Ruck und rücken Sie ab von bisherigen postkolonialen Strukturen und ermöglichen Sie tatsächlich Hilfe zur Selbsthilfe. Das hätte auch eine wunderbare soziale Note, die in der EU seit längerer Zeit ohnehin nicht mehr spürbar ist.
In Ihren Reden, die Sie heute und morgen halten werden, möchten wir nicht hören, wie sehr Sie sich um Europa, seine Einheit und seine Solidarität sorgen, sondern wir möchten hören, wie sehr Sie sich um Europa kümmern. Und darum, dass sich etwas verbessert. Wir hören in den letzten Jahren viel Kritik an der Union. Einiges davon ist durchaus berechtigt. Wir hören aber sehr selten konstruktive Vorschläge zur Verbesserung.
Salzburg ist ein guter Boden für eine EU-Proklamation. Der Standort hat die Tradition großer Festspielreden. Warum nicht auch eine Europa-Rede. Sehr geehrte Staatsund Regierungschefs! Salzburg und seine Bürger unternehmen vieles, damit Sie hier gute Arbeitsbedingungen vorfinden. Zu Ergebnissen müssen Sie selbst finden.