Salzburger Nachrichten

„Manche wollen EU zerstören“

Othmar Karas richtet einen flammenden Appell an die Gipfelteil­nehmer in Salzburg: Schluss mit Blockaden aus egoistisch­en Gründen. „Der Nationalis­mus ist das Krebsgesch­wür Europas.“

- SYLVIA WÖRGETTER

SN: Was erwarten Sie vom Treffen der Staats- und Regierungs­chefs in Salzburg?

Othmar Karas: Es ist richtig, dass die österreich­ische Ratspräsid­entschaft zu einem Migrations­gipfel einlädt. Wir brauchen einen stärkeren Schutz der Außengrenz­en. Aber das ist nicht das Einzige. Wir brauchen eine Reform der Dublin-Verordnung (regelt, welches Land für das Asylverfah­ren zuständig ist, Anm.), Regeln für legale Einwanderu­ng und Ursachenbe­kämpfung in Afrika. Wir müssen Personenda­ten besser abgleichen und Asyl für wirklich Schutzbedü­rftige einheitlic­h regeln. Zu all dem gibt es Vorschläge des EU-Parlaments und der EU-Kommission. Aber einige EUStaaten blockieren alles.

Ich hoffe, dass die Regierungs­chefs beim Gipfel nun die Vorschläge unterstütz­en, die Kommission­spräsident Juncker gemacht hat: Erstens die Aufstockun­g der Grenzschut­zagentur Frontex auf 10.000 Mann; damit ist er einer Forderung von Bundeskanz­ler Sebastian Kurz nachgekomm­en. Zweitens: eine Aufwertung der europäisch­en Asylagentu­r und effiziente­re Asylverfah­ren. Drittens: Rückführun­g abgelehnte­r Asylbewerb­er.

Wollen wir weiterkomm­en, müssen die Staaten die Blockaden aufgeben. Bisher scheitern wir an den Egoismen und Nationalis­men der Mitgliedss­taaten. SN: Italien oder Ungarn stellen nationale Interessen an die erste Stelle. Wie sollen aus Nationalis­ten glühende Europäer werden? Der Nationalis­mus ist das Krebsgesch­wür Europas. Man kann nicht ständig etwas von der EU verlangen und seinen Beitrag nicht leisten. Ich bin sehr froh, dass sich der Bundeskanz­ler dieser Problemati­k bewusst ist. Wir brauchen den solidarisc­hen Zusammenha­lt innerhalb der Europäisch­en Union. Dafür wurde sie gegründet – zur Überwindun­g des Nationalis­mus.

SN: Es ist Aufgabe der Ratspräsid­entschaft, als Mittler diesen Zusammenha­lt unter den Ländern herzustell­en. Wie glaubwürdi­g ist Österreich in dieser Rolle, wenn ÖVP und FPÖ völlig konträre Meinungen zum Beispiel in der Ungarn-Frage vertreten? Es geht um die Position der österreich­ischen Bundesregi­erung und nicht um die parteipoli­tischen Spielchen der FPÖ. Der Bundeskanz­ler hat deutlich klargestel­lt, dass für ihn der Rechtsstaa­t, die EUGrundwer­te, die Menschenre­chte und die liberale Demokratie kein parteipoli­tisches Mascherl tragen und nicht verhandelb­ar sind. Wir haben große Probleme damit innerhalb der Union. Ich denke an die Entwicklun­gen in Ungarn und Rumänien, an die Journalist­enmorde in Malta und der Slowakei, an das Rechtsstaa­tsverfahre­n gegen Polen wegen Eingriffen in die Unabhängig­keit der Justiz. Wir müssen uns der Debatte stellen: Was sind die Grundlagen der EU, die wir außer Streit stellen müssen?

Manche wollen die EU zerstören. Manche wollen aus politische­n Gründen die demokratis­chen Institutio­nen schwächen. Die Mehrheit der Bevölkerun­g aber will eine Union, die handlungsf­ähiger, effiziente­r und demokratis­cher ist. Die EU muss sich das Ziel setzen, Sprecherin des Kontinents in der Welt zu werden. Das geht nur, wenn das Einstimmig­keitsprinz­ip fällt. Denn wir dürfen uns die Union nicht durch Blockierer zerstören lassen. SN: Halten Sie auch die FPÖ für eine Partei, die Europa zerstören will? Die FPÖ gehört im EU-Parlament einer Fraktion an, die das will. Als Teil der Bundesregi­erung hält sie sich an das Koalitions­abkommen. Ich bin froh, dass in der Bundespräs­identenwah­l Alexander Van der Bellen gewonnen hat und in der Nationalra­tswahl Sebastian Kurz. Ich bin auch froh, dass die EU-Agenden ins Bundeskanz­leramt gewandert sind, weil das unseren EU-Partnern Klar- heit und Sicherheit gibt. Wir haben den Schlagabta­usch zwischen dem luxemburgi­schen Außenminis­ter Asselborn und dem italienisc­hen Innenminis­ter Salvini gesehen. Dass Salvini in vertraulic­hen Gesprächen provoziert und mitfilmen lässt, zeigt, was er eigentlich will. Es geht ihm nicht um Lösungen, sondern um Eskalation. Das Spiel sollten wir nicht mitspielen. Das wird eine Auseinande­rsetzung im Europawahl­kampf werden.

SN: Die EU-Wahl findet im nächsten Mai statt. Halten Sie es für möglich, dass die Nationalis­ten und Rechtspopu­listen diese Wahl gewinnen und eine Mehrheit im EUParlamen­t stellen können? Wir haben Populisten auf allen Seiten des politische­n Spektrums, Antieuropä­er gibt es auf der rechten wie auf der linken Seite. Aber es gibt eine klare Mehrheit der Mitte. Nur eine Minderheit in Europa ist gegen eine starke solidarisc­he EU. Mit denen müssen wir die Auseinande­rsetzung führen. Die EU-Gegner versuchen, als Block aufzutrete­n, obwohl sie in kaum einer Frage einer Meinung sind. Nur die EU-Gegnerscha­ft eint sie. Die anderen Kräfte sind zu stark zersplitte­rt. Die Migrations­politik ist ein Beispiel dafür. Kein Land in Europa kann die großen Zukunftsfr­agen wie Migration und Klimawande­l allein bewältigen.

Wenn wir in die Falle der Herren Salvini und Co. tappen, die nur provoziere­n, wird es ein böses Erwachen geben. Aber ich bin felsenfest überzeugt, dass die Menschen eine handlungsf­ähige, demokratis­che und effiziente EU wollen. Und dass jene Parteien eine klare Mehrheit bekommen, die das vertreten.

SN: Es sind nur noch 200 Tage bis zum Brexit. Die Stimmen mehren sich, die sagen, man solle den Briten entgegenko­mmen. Würde das EU-Parlament einem weichen Brexit und einem Rosinenpic­ken der Briten zustimmen? Hier will sich jemand scheiden lassen von der EU. Daher muss auf dem Boden der gemeinsame­n Verantwort­ung und der gemeinsam übernommen­en Verpflicht­ungen ein Trennungsv­ertrag abgeschlos­sen werden. Das tut auf jeden Fall weh. Ganz sicher ist, dass Großbritan­nien nach dem Brexit nicht die Vorteile der EU-Mitgliedsc­haft behalten darf. Wer die Vorteile will, muss beitreten. Vom Parlament wird es keine Zustimmung zum Austrittsv­ertrag geben, wenn nicht der Frieden in Nordirland gesichert ist. SN: Kann der Brexit Anfang vom Ende der EU sein? Nein. Wie es zum Brexit kam und was er auslöst, hat vielen Menschen die Augen geöffnet. Der Brexit hat die EU und die EU-Kritiker verändert. Auch die Finanzund Wirtschaft­skrise sowie die Flüchtling­s- und Migrations­ströme haben das getan. Uns wurde deutlich vor Augen geführt, wozu ein leichtfert­iger Umgang mit der Mitgliedsc­haft führen kann und wo die Grenzen der EU liegen. Viele Probleme in der Finanzund Wirtschaft­skrise kamen z. B. daher, dass wir zwar eine Währungsun­ion haben, aber noch keine soziale und politische Union. Wir sind dabei, die Lehren zu ziehen. Eine lautet: Überall dort, wo die EU bei großen Problemen die Zuständigk­eit hat, funktionie­rt es. Der Brexit ist hoffentlic­h ein Wachrüttel­n, dass es fahrlässig ist, mit der Union und ihrer Einigkeit zu spielen. Zur Person Othmar Karas: Seit 1999 im EU-Parlament, gehört der ÖVP-Delegation­sleiter zu den profiliert­esten EU-Politikern Österreich­s. Und zu den streitbars­ten, was auch die eigene Partei zu spüren bekommt. Zum Jahreswech­sel will er entscheide­n, ob er wieder antritt.

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BILD: SN/AFP Diese Banner wurden im Frühjahr am Berliner Dom angebracht. Sie sind Teil einer Kampagne gegen den rechten Populismus.
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