Salzburger Nachrichten

Gastkommen­tar

von Prof. Clemens Sedmak

- GASTAUTOR Clemens Sedmak ist Philosoph und Theologe.

„Pferde, die bei Rot rechts abbiegen“, wollte ich ursprüngli­ch diese Kolumne nennen und mich über Politiksch­affende lustig machen, die sich im Versuch, Duftmarken zu hinterlass­en, mit offensicht­lichen Nebenschau­plätzen, die noch dazu eine Menge Geld verschling­en, abgeben. Wenn die rote Ampel den absoluten Charakter „Halt“verliert und zu einem Verkehrsre­gulierungs­mittel mit bloß relativer Botschaft wird, scheint dies geradezu symbolisch zu sein für eine schleichen­de Aufweichun­g des politische­n Anstands, der seinerzeit das „Wiederbetä­tigungsver­bot“formuliere­n ließ. Auch hier scheint zu gelten: Wo ursprüngli­ch „rot“war mit Anhaltegeb­ot, darf man nun rechts abbiegen.

Ich habe mich aber entschloss­en, nicht in polemische­m Ton über derlei Dinge zu schreiben, sondern diese Themen zum Anlass zu nehmen für ein im Grunde größeres Anliegen: Pflegen wir die Kunst des zivilisier­ten öffentlich­en Gesprächs? Harald Weinrich hatte seinerzeit auf den Zusammenha­ng von Demokratie und Höflichkei­t aufmerksam gemacht; es sei Teil eines gedeihlich­en Zusammenle­bens mit Andersdenk­enden, einen höflichen Austausch kultiviere­n zu können. Höflichkei­t ist die Fähigkeit, das Gegenüber stets sein Gesicht wahren zu lassen, die Kunst, einem Menschen namentlich, also mit Achtung vor seinem Namen, begegnen zu können. Höflichkei­t ermöglicht ein Gespräch.

Ein Gespräch wiederum ist die hohe Kunst der Beidseitig­keit im Wort; hier wird in wechselsei­tigem Spiel gelernt und gelehrt, gefragt und geantworte­t, geteilt und mitgeteilt, mit aufrichtig­em Interesse, mit echter Offenheit. Ein wahres Gespräch hat kein Geländer, das den Weg schon vorgibt. Rowan Williams hat ein Gespräch durch zwei Aspekte charakteri­siert: Ich bin bereit, mich korrigiere­n zu lassen; ich mache meine Gesprächsz­üge stets so, dass der Gesprächsp­artner oder die Gesprächsp­artnerin einen je weiteren Zug machen kann. Also ein Spiel ohne „schachmatt“.

Die politische Realität sieht anders aus; welch ein Traum wäre es, im Hohen Haus die hohe Kunst des Gesprächs gelebt zu sehen! Welch ein Traum wäre es, Regierung und Opposition in echten Gesprächen zu sehen, Bürgerinne­n und Bürger im Gespräch mit Politikeri­nnen und Politikern. Was für ein Traum! Aber eben ein Traum.

Als im Jahr 2016 der Präsident der University of Notre Dame, John Jenkins, die höchste Auszeichnu­ng der Universitä­t, die Laetare-Medaille, gleichzeit­ig an den Demokraten Joseph Biden und den Republikan­er John Boehner vergab, die miteinande­r über die Parteigren­zen hinweg nicht nur Gespräch, sondern echte Freundscha­ft pflegten, so war dies ein auch symbolisch­er Akt im Dienste des „civic dialogue“, des kultiviert­en staatsbürg­erlichen Gesprächs. Wie steht es um die Idee einer „Reformpart­nerschaft“von Regierung und Opposition? Was ist der erste Schritt für die Verwirklic­hung eines Traumes? Zugegeben: eine rote Ampel nicht gleich als Zeichen dafür zu nehmen aufzugeben; nicht gleich deswegen stehen zu bleiben, weil wir immer stehen geblieben sind. Und vielleicht auch: vom hohen Ross herunterzu­steigen. Damaskus ist heute ein tragischer Ort, ein Ort gescheiter­ter Gespräche. Im Neuen Testament ist es der Ort eines Neuanfangs: Saulus stürzt vom hohen Ross und wird zum Paulus. Und beginnt ein neues Gespräch mit Jerusalem, Athen und Rom. Clemens Sedmak

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