Wo Pop noch zur Debatte steht
Beim Festival Waves Vienna wird frische Musik entdeckt und diskutiert. Auch der diesjährige Stargast liebt Überraschungen.
Einen übertriebenen Drang zur Selbstdarstellung könnte man Neneh Cherry nicht unterstellen: Nur vier Soloalben hat sie seit den 1980er-Jahren veröffentlicht. Im Oktober soll nun das fünfte erscheinen. „Broken Politics“wird es heißen. Wie es klingt, wird aber wohl schon diese Woche in Wien zu hören sein. Neneh Cherry tritt beim Clubfestival Waves Vienna auf.
In den vergangenen Jahren, erzählt Festivalgründer Thomas Heher, seien seine Bemühungen, Cherry nach Wien zu lotsen, vergeblich gewesen. Weil ihre Live-Termine mitunter rar gesät sind, ging es sich nicht aus. Diesmal aber klappt es. Zwar ist Waves ein Festival, das sich vor allem Neuentdeckungen verpflichtet fühlt: 100 Acts an drei Tagen sind bei der achten Auflage diese Woche rund um das Wiener WUK im 9. Bezirk zu hören. Doch Cherry passt trotz einer langen HitBiografie ins Konzept: Neben ihren Soloarbeiten taucht die Sängerin, Rapperin und Tochter von FreejazzLegende Don Cherry laufend in überraschenden Projekten zwischen Jazz, Pop und Hip-Hop auf.
Neben den Clubkonzerten ist das Nachdenken über Musik und ihre Begleitumstände die zweite Säule bei Waves Vienna: „Music Festival & Conference“heißt die vollständige Bezeichnung. Im (gemeinsam mit Austrian Music Export veranstalteten) Konferenzteil soll heuer unter anderem über Musikblogs und Verwertungsrechte debattiert werden, aber auch über die Vereinbarkeit von Familie und Beruf im Musikgeschäft. Dieses Thema treffe auch in der Branche vielfach Frauen, sagt Heher, weshalb es im internationalen Popzirkus vor und hinter den Kulissen oft eine ziemlich schiefe Geschlechterbalance gebe. Generell herrsche auch im Pop noch viel Diskussionsbedarf zu Gleichberechtigungsfragen.
Beim Waves wird Gleichberechtigung indes sowohl zwischen Geschlechtern als auch zwischen Genres angestrebt. Das Salzburger Popquartett Please Madame ist da heuer ebenso anzutreffen wie die Alternative-Rockerinnen Dives, das britische Go!Team oder die französischen Noise-Popper Lysistrata.
Die diesjährigen Gastländer sind Portugal und Slowenien. Eine der Ideen, die 2011 zur Festivalgründung geführt hätten, sei es schließlich gewesen, den Austausch zwischen Ost und West in der Musikszene zu fördern. „In der bildenden Kunst und in der Literatur hat das über entsprechende Festivals schon längst sehr gut funktioniert“, erzählt Heher, der auch Mitbegründer der Literaturzeitschrift „Volltext“ist. Für die Popszene habe indes das Waves-Festival eine Lücke geschlossen und wolle Augen öffnen: „Aus den Köpfen ist der Eiserne Vorhang noch nicht ganz verschwunden“, sagt Thomas Heher. Für österreichische Bands sei der Sprung in den großen deutschen Markt meist das erklärte Ziel. Dabei jedoch würden oft Chancen in Nachbarmärkten wie Ungarn, Polen oder der Slowakei übersehen.
Um Aufmerksamkeit für österreichische Bands bei den internationalen (Fach-)Besuchern zu generieren, wurde ein Preis erfunden: Zum zweiten Mal wird beim Waves Vienna heuer der XA Musikexportpreis an heimische Newcomer vergeben. Unter den Nominierten sind auch die Salzburger Please Madame und die Wiener Rockerinnen Dives.