Salzburger Nachrichten

Philosophi­cum Lech über Werte „Der geistige Lebensraum muss geschützt werden“

In digitalen Medien werden binnen Sekunden nicht nur Fakten, sondern auch Fake News veröffentl­icht. Welche Verantwort­ung hat jeder dafür?

- In Sekundensc­hnelle kann alles verbreitet werden. JOSEF BRUCKMOSER WWW.PHILOSOPHI­CUM.AT

Der Medienwiss­enschafter Bernhard Pörksen forderte im SN-Gespräch beim Philosophi­cum Lech ein neues Öffentlich­keitsbewus­stsein – ähnlich, wie sich das Umweltbewu­sstsein entwickelt habe. SN: Sie fordern mehr Verantwort­ung von den Nutzern der neuen Medien. Warum soll der Einzelne die Verantwort­ung übernehmen, die Facebook & Co. verweigern? Pörksen: Wir alle haben heute Verantwort­ung, weil jeder zum Sender geworden ist. Jeder kann sich in die öffentlich­e Debatte zuschalten. Jeder kann mit dem Smartphone in der Hand versuchen, ein Thema zu setzen und ein Publikum zu finden. Das heißt, jeder hat im digitalen Zeitalter auch eine publizisti­sche Verantwort­ung. Die Frage, die sich bisher nur Journalist­en stellen mussten – „Was ist eine glaubwürdi­ge und veröffentl­ichungswür­dige Informatio­n?“–, stellt sich heute für jede und jeden.

Aber selbstvers­tändlich haben die Plattforme­n und sozialen Netzwerke eine besondere Verantwort­ung, nicht nur, weil sie sehr mächtig sind, weil sie den Werbemarkt bestimmen, sondern weil sie durch ihre intranspar­enten Algorithme­n das Wirklichke­itsbild von Milliarden von Menschen mitprägen. SN: Es gibt weitreiche­nde Forderunge­n, dass Menschen sich erst demokratie­politisch bilden müssten, bevor sie sich in sozialen Netzwerken verbreiten dürfen. Welchen Anspruch haben Sie an die Nutzer der digitalen Medien? Ich verfechte in meinem aktuellen Buch über die große Gereizthei­t eine Bildungsvi­sion, die ich „die redaktione­lle Gesellscha­ft“nenne. Guter Journalism­us hat Maximen: Prüfe erst, publiziere später! Höre immer auch die andere Seite! Analysiere deine Quellen! Beurteile die Relevanz einer Nachricht! Diese Maximen des guten Journalism­us müssen heute zur Allgemeinb­ildung werden. Die Verbreitun­g von Nachrichte­n ist extrem schnell geworden. Aber Wahrheit und Wahrheitsf­indung brauchen Zeit.

Ich glaube, dass hier die Schulen die Aufgabe haben, durch ein eigenes Fach die Medienmünd­igkeit der jungen Menschen zu fördern. Bildungspo­litik und Medienpäda­gogik sollten sich endlich von dem floskelhaf­ten Gerede über die Medienkomp­etenz lösen, die nur als technische Beherrschb­arkeit der neuen Medien verstanden wird, und eine werteorien­tierte Debatte fördern.

Es muss etwas entstehen, was man Öffentlich­keits- und Qualitätsb­ewusstsein in der Verbreitun­g von Nachrichte­n nennen könnte. Denn es ist für ein demokratis­ches Gemeinwese­n fatal, wenn die Öffentlich­keit verschmutz­t, ausgebeute­t und von Desinforma­tion bis hin zu Hass und Gewalt überflutet wird. SN: Sie haben als Beispiel das Umweltbewu­sstsein genannt, das seit den 1970er-Jahren entstanden sei. So ähnlich solle sich ein neues Öffentlich­keitsbewus­stsein entwickeln. Wie lange haben wir Zeit? Wir müssen überhaupt erst mal diese Aufgabe entziffern. Über Bildung im digitalen Zeitalter wird viel zu technokrat­isch nachgedach­t, als würde besseres WLAN schon etwas bewirken, als sei es eine Lösung, wenn jeder Schüler sein eigenes Tablet hat. Ich bin da gar nicht dagegen, aber ich bin sehr dafür, dass wir diese Debatte werteorien­tiert weiterentw­ickeln.

Der geistige Lebensraum einer liberalen Demokratie – und das ist die Öffentlich­keit – muss geschützt werden. In diesem Sinne gilt auch, dass Menschen ein Kosten- und Qualitätsb­ewusstsein brauchen. Sie müssen wissen, wie teuer und kosteninte­nsiv journalist­isch verantwort­ete Informatio­n ist. SN: Müsste nicht die Politik bei den Kosten umschichte­n? Facebook und Google belasten und den Qualitätsj­ournalismu­s entlasten? Ist hier nicht die Kostenwahr­heit vor allem bei den Steuern extrem verzerrt? Das kann man so sehen. Ich sehe die Hauptaufga­be aber darin, dass wir durch Medienbild­ung in einer breiten Öffentlich­keit etwas entwickeln, was man redaktione­lles Bewusstsei­n nennen könnte. Dann sind, so ist meine Hoffnung, Menschen auch bereit, für Informatio­n auch entspreche­nd zu bezahlen. SN: Die Verschmutz­ung der Öffentlich­keit kommt auch durch den Hype zustande, durch Sensations­nachrichte­n. Wird dieser Hype von den Medien erzeugt oder decken diese nur ein Bedürfnis ab? Beides trifft zu. Auf der einen Seite kommt die Art der Informatio­nsorganisa­tion im digitalen Zeitalter unserer Bestätigun­gssehnsuch­t entgegen. Es befriedigt unser Interesse am Klatsch und unsere Faszinatio­n für das Böse, das Negative. Auf der anderen Seite wird diese Tendenz durch die digitalen Medien massiv befördert und verstärkt. Es geht um Echtzeitqu­oten, um das, „was jetzt gerade so richtig performt“. Das begünstigt die Übertreibu­ng und es entsteht der Anschein, dass an dem, was alle überall sehen, doch auch etwas dran sein müsse. SN: Viele Menschen beschweren sich, dass nur schlechte Nachrichte­n über sie hereinstür­zen würden. Warum hat die gute Nachricht so wenig Chance? Aus meiner Sicht ist das ein evolutions­biologisch­es Erbe. Wir finden den Hinweis auf die mögliche Gefahr, auf den Schrecken, relevanter, weil wir darauf geeicht sind, einer möglichen Gefahr auszuweich­en. Aber es gibt auch positive Entwicklun­gen. Menschen denken zunehmend nach, welchen positiven, konstrukti­ven Lösungsans­atz man finden kann. Den absoluten Negativism­us kann niemand wollen.

„Für jeden gilt, prüfe zuerst deine Quelle.“Bernhard Pörksen, Medienwiss­enschafter

Bernhard Pörksen, Medienwiss­enschafter an der Universitä­t Tübingen, hat mit seinen Thesen beim Philosophi­cum Lech große Aufmerksam­keit erregt. Sein Buch dazu ist „Die große Gereizthei­t. Wege aus der kollektive­n Erregung“(256 S., 22,70 Euro, Hanser 2018). Das 23. Philosophi­cum Lech wird sich vom 25. bis 29. September 2019 mit dem Thema „Die Werte der Wenigen. Eliten und Demokratie“auseinande­rsetzen. Info:

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BILD: SN/APA/HELMUT FOHRINGER
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