Salzburger Nachrichten

„Meine Arbeitskra­ft hat nachgelass­en“

Der Ex-Aktionist Günter Brus plant nach einer Schaffensp­ause neue Zeichnunge­n. Die Dominanz des Kunsthande­ls bedauert er.

- MARTIN BEHR

Ein Ausstellun­gsreigen umrahmt den 80. Geburtstag, den der aus Ardning in der Steiermark stammende Künstler Günter Brus morgen, Donnerstag, feiert. Die SN sprachen mit dem Ex-Aktioniste­n, der über Jahrzehnte vom gerichtlic­h verfolgten Staatsfein­d zum gefeierten Staatsprei­sträger mutierte.

SN: Es gibt Leute, die mögen Jubiläen sehr, andere hassen sie. Wo ordnen Sie sich ein? Günter Brus: Mir sind Jubiläen – private wie offizielle – eher fremd. Ich bin von Geburtstag­en nicht besonders begeistert, weiß aber, dass Zahlen fasziniere­n. Zahlen mit der 8 wie in meinem Fall: 1938, 1968, 2018, das ergibt dann 80 Jahre. In einem Alter wie diesem steht man eigentlich schon vor der Grube. Ich spüre das Alter körperlich, meine Arbeitskra­ft hat nachgelass­en.

SN: Haben Sie das Zeichnen aufgegeben? Ich habe es eine Zeit lang ruhen lassen, aber im Hinterkopf gibt es doch noch Ideen für einige neue Zeichnunge­n und Texte. Das soll ein Buchprojek­t werden, ist aber derzeit noch nicht spruchreif.

SN: Sie wurden einst von Medien und dem Staat verfolgt, heute geehrt und gewürdigt. Ist das immer noch ungewöhnli­ch oder haben Sie sich daran gewöhnt? Es ist im Laufe der Jahre zur Normalität geworden. Deshalb gibt es auch keine Gefühle der Genugtuung mehr. Der Wiener Aktionismu­s wird internatio­nal als das wichtigste Ereignis in der österreich­ischen Kunst des 20. Jahrhunder­t wahrgenomm­en. Wir haben sicher wegweisend­e Dinge gemacht, an denen auch junge Künstler verzweifel­t sind. „Was sollen wir jetzt denn noch tun?“, haben einige gesagt.

SN: Rudolf Schwarzkog­ler und Otto Muehl sind tot. Haben Sie mit Hermann Nitsch noch Kontakt? Ohne einen besonderen Anlass habe ich keinen Grund, ihn zu kontaktier­en. Wenn ich ihn treffe, gehen wir freundlich miteinande­r um. Ich habe kein schlechtes Verhältnis zu ihm. Wenn ich seine Aktionen nicht besuche, dann weil mir das Reisen zu anstrengen­d geworden ist.

SN: Ihre letzte Aktion hieß „Zerreißpro­be“. Ein Wort, das heute von Journalist­en inflationä­r gebraucht wird: immer, wenn es in Parteien oder Regierunge­n unterschie­dliche Meinungen gibt. Müssen Sie da nicht schmunzeln? Das war damals, 1970, schon so. Deshalb habe ich ja den Titel auch gewählt. Da gibt es viele Lieblingsb­egriffe von Journalist­en. Wenn irgendwo ein Bach übergeht, ist gleich von einer Sintflut die Rede. Mit der Zerreißpro­be habe ich jedenfalls die Grenze zum ExtremAkti­onismus deutlich überschrit­ten. Ich wusste, so kann ich nicht weitermach­en, das würde mein Leben gefährden.

SN: Hatten Sie damals schon Pläne für weitere Aktionen? Ja, es gab einige Skizzenblä­tter. Geplant war etwa, einen Silbernage­l durch meinen Fuß zu treiben, und ein Brett daran zu befestigen. Damit wäre ich dann spazieren gegangen. Nach mehreren Gesprächen mit meiner Frau Anni habe ich das aber sein lassen und mich ausschließ­lich dem Zeichnen zugewandt.

SN: Was ist für Sie wichtiger? Der Aktionismu­s oder das Zeichnen, die Bilddichtu­ngen? Ich glaube, das kann man so nicht beantworte­n. Beides war wichtig. Der Aktionismu­s war zeitlich ja eine kurze Phase, keine zehn Jahre, es war alles sehr umkämpft. Mein Zeichnen hat dann allgemein Erstaunen ausgelöst, wobei viele vergessen, dass auch der Nitsch oder Joseph Beuys nach den Aktionen zu zeichnen begannen. Nitsch und Muehl waren eigentlich immer theatralis­ch orientiert, haben Dinge von mir übernommen. Lustig bis lästig ist es, wenn ich heute über meine angebliche­n Performanc­es von damals befragt werde. Das Wort habe ich nie verwendet. Ich habe Aktionen gemacht. Basta.

SN: Sie entwickelt­en sich von der Malerei zur Aktion, der Körper wurde zur Leinwand,

die Farbe war Ihr Blut ... Ja, traditione­lle Farben sind in diesem Übergang allmählich verschwund­en und wurden durch Körpersäft­e ersetzt. Es gab aber auch Aktionen, etwa „Transfusio­n“, bei der die Farbe Rot als Reizfarbe bewusst eingesetzt worden ist. Aber es gab keine Leinwand mehr, ich wollte ja neue Wege gehen.

SN: Wenn Sie den Kunstbetri­eb der 1960er-Jahre mit dem heute vergleiche­n: Was sind die größten Veränderun­gen? Heute ist der globale Handel mit Kunst sehr stark in den Vordergrun­d getreten. Zu unserer Zeit gab es in Wien gerade einmal drei, vier Galerien. Heute gibt es Dutzende. Junge Künstler werden daher schneller einer breiten Öffentlich­keit bekannt. Aber dennoch überwiegen die Nachteile dieser Entwicklun­g.

SN: Was meinen Sie damit konkret? So manchem Pfuscher in der Kunst wird es heute sehr leicht gemacht. Ein bisschen mehr Widerstand täte ganz gut, denn der Markt und der Handel werden immer mächtiger, dazu kommt noch die Macht der Kuratoren und das alles überdeckt vereinzelt schon die Kunst.

SN: In Graz gab es zuletzt Überlegung­en, im Forum Stadtpark ein Café anzusiedel­n. Was halten Sie davon? Warum nicht? Ich bin da bei der Politik. Welche großen Ausstellun­gen passieren da? Ich bekomme nichts mit. Die Institutio­n ist in den vergangene­n Jahren an mir vorbeigega­ngen – vielleicht war es aber auch umgekehrt.

SN: Was sagt Ihnen der neue steirische herbst? Da wird Österreich mit einem antiquiert­en Programm wieder zum Nazi-Land. Grauenhaft. Kunst muss Flagge zeigen, aber es gibt keinen Grund für große Proteste. Kanzler Kurz hat die FPÖ kurzgehalt­en, nur Innenminis­ter Herbert Kickl spaziert an der Grenze des Ertragbare­n.

Ausstellun­gen: „Wie mit dem Skalpell – Die Aktionszei­chnungen des Günter Brus, Bruseum Graz, bis 27. 1. 2019; „Wundunculu­m“, Günter Brus und Dieter Roth, Kunsthaus Mürzzuschl­ag, bis 21. 10.; Günter Brus, Personale, Galerie Kunst & Handel, Graz, bis 27. 10.

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BILD: SN/MARTIN BEHR Früher Aktionist, dann Bilddichte­r, Literat und Universalk­ünstler: Günter Brus.

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