Wenn soziale Medien zum brutalen Machtinstrument werden
In seinem Roman „Troll“entwirft Michal Hvorecký eine beklemmend gegenwärtige Zukunftsvision.
SALZBURG. Michal Hvorecký hat allen Grund, mit der Politik seines Landes zu hadern. Als Teil der Visegrád-Staaten fährt die Slowakei einen Kurs, der antieuropäisch schnurgerade in einen neuen Nationalismus führt. Er sieht, wie sich Korruption ausbreitet und seriöser Journalismus behindert wird. Hvorecký resigniert nicht, er schreibt mit „Troll“einen Roman, der in einer nahen Zukunft angesiedelt ist und frappante Parallelen mit unserer Gegenwart aufweist.
Der autoritäre Staat erinnert an Russland, wo Religion eine kontrollierte Öffentlichkeit rechtfertigt und Gegner der Politik als Feinde ausgeschaltet werden. Wahrheit wird vom Regime ausgegeben, sie steht in „Harmonie mit Gott, der Kirche und dem Reich“. Dagegen hat die Vernunft keine Chance. Hvorecký denkt „1984“von George Orwell unter gegenwärtigen Voraussetzungen weiter. Macht wird über das Netz ausgeübt, zumal dort in kürzester Zeit die breite Masse erreicht wird, die mit Neuigkeiten gefüttert wird, dank derer auf Abweichler Jagd gemacht werden darf. „Vor allem auf die schwächsten Glieder der Gesellschaft hatten wir es abgesehen, auf Roma und Schwule, auf die hundertdreißig Muslime hierzulande, auf Feministinnen und Intellektuelle.“
Der Erzähler durchschaut, was vorgeht, als er eine junge, rebellische Frau kennenlernt. Gemeinsam gehen sie an die Arbeit, die Macht mit ihren eigenen Mitteln zu schlagen. Dazu müssen sie in deren Schaltzentrale, wo Propaganda gemacht wird. Die beiden werden zu Einschleichdieben im Internet und verfassen die widerwärtigsten Kommentare, die sich rasant verbreiten. Das müssen sie, um nicht aufzufallen und später ihr Zerstörungswerk beginnen zu können. Doch aus dem Pakt mit dem Teufel gibt es keinen Ausstieg. Dass der Roman dennoch eine optimistische Wendung nimmt, ist dem Vertrauen des Autors in die Macht der Gedanken zuzuschreiben.
Trolle schleichen sich mittels sozialer Netzwerke ins Bewusstsein der Nutzer, um mit hochgradig emotionalen Erfindungen über Personen und Ereignisse die Geschichte umzuschreiben. Das gelingt, weil Fachleute sowieso kein Gehör finden. Wenn man Trolling als Idee auffasst, braucht man eine andere Idee, um den Gehirnwäschevorgang zu stoppen. Der Erzähler, dem dämmert, dass er allmählich einer Idee verfällt, die zu bekämpfen er eigentlich angetreten ist, arbeitet sich aus der Falle, indem er sein Leben aufs Spiel setzt. Als Mensch kann man ihn vernichten, aber ihn als Idee, als Gegenentwurf zum herrschenden Ungeist, vermag niemand aus der Welt zu schaffen. Er macht rückgängig, was er vehement betrieben hat, als er eine paranoide Gesellschaft weiter aufstachelte. „Eine Lüge ist eine Lüge, und man muss über sie die Wahrheit sagen“, schreibt er jetzt. Diese Dystopie ist deshalb so beklemmend, weil sie sichtbar Anleihen bei unserer Gegenwart nimmt. Vor allem ist der Roman eine Aufforderung, kritisches Denken zuzulassen und zu entwickeln. Ohne Geisteswissenschaften ist dieses nicht zu haben, davon aber will eine Bildungspolitik, die sich für modern hält, nichts wissen. So schafft sie sich eine Legion von Untertanen. Was das heißt, lässt sich hier nachlesen!