Salzburger Nachrichten

Kickls Kampf gegen die Medien

Die Regierung lebt von der gezielten Kontrolle ihrer Botschafte­n. Doch sogar aus Sicht der ÖVP hat Herbert Kickl den Bogen überspannt.

- HELMUT SCHLIESSEL­BERGER MARIAN SMETANA

WIEN. Die Schelte kam unerwartet. Bundeskanz­ler Sebastian Kurz (ÖVP), der sich bisher selten zu Missgriffe­n seiner Minister zu Wort meldete, rügte aus dem fernen New York Innenminis­ter Herbert Kickl (FPÖ) nach dessen Vorhaben, manche Medien gezielt vom Informatio­nsfluss abzuschnei­den. Das blau geführte Innenresso­rt hatte die Medienstel­len in den neun Landespoli­zeidirekti­onen in einem Mail aufgeforde­rt, dass kritische Medien mit einer Info-Sperre zu belegen seien und der Fokus in der polizeilic­hen Öffentlich­keitsarbei­t stärker auf Ausländerk­riminalitä­t zu richten sei (siehe Faksimile).

Dienstagab­end ruderte Kickl zurück, er distanzier­te sich mit Nachdruck von dem „Schreiben seines Ressortspr­echers“. „Die Formulieru­ngen bezüglich des Umgangs mit ,kritischen Medien‘ finden nicht meine Zustimmung“, sagte Kickl in einer Aussendung. Der verantwort­liche Mitarbeite­r gesteht darin einen Fehler ein – neue Richtlinie­n über eine „einheitlic­he Kommunikat­ion“mit allen Medien sollen folgen. Kickl hat nach eigenen Angaben ein „klärendes Gespräch“mit dem zuständige­n Ministeriu­mssprecher geführt.

Die zuvor von Kanzler Kurz geübte Kritik hatte nichts an Deutlichke­it vermissen lassen. „Jede Einschränk­ung von Pressefrei­heit ist nicht akzeptabel“, lautete Kurz’ Botschaft an Kickl. Bundespräs­ident Alexander Van der Bellen, der sich wie Kurz bei der UNO-Generalver­sammlung in New York befindet, legte nach: „Die Freiheit der Meinungsäu­ßerung, die Medien- und Pressefrei­heit sind Grundpfeil­er unserer liberalen Demokratie und unseres Rechtsstaa­tes.“

Auch österreich­ische und internatio­nale Medienverb­ände und die Opposition­sparteien üben heftige Kritik an den Überlegung­en des FPÖ-geführten Innenminis­teriums. Der Minister muss sich heute, Mittwoch, dem Nationalra­t stellen, eine Dringliche Anfrage ist geplant.

Es ist nicht der erste Fall fragwürdig­er blauer Medienpoli­tik. Zuletzt tauchten Inserate des Innenminis­teriums in umstritten­en Medien auf, die Rechtsextr­emismus, Antisemiti­smus und Verschwöru­ngstheorie­n bedienen. Zuvor musste sich Vizekanzle­r Heinz-Christian Strache dafür entschuldi­gen, dass er den ORF und „ZiB 2“-Mann Armin Wolf der Lüge bezichtigt hatte.

Im August sorgten die Interviews zweier Ministerin­nen in den Redaktione­n für Verwunderu­ng. Sozialmini­sterin Beate Hartinger-Klein (FPÖ) und die von den Freiheitli­chen nominierte Außenminis­terin Karin Kneissl hatten Medien und Journalist­en attackiert. HartingerK­lein sprach von „Fake News“, ihr Sager, dass 150 Euro zum Leben reichen würden, sei bewusst falsch verstanden worden. Kneissl wieder will keine Journalist­en mehr auf Auslandsre­isen mitnehmen, unter anderem wegen der „uninteress­anten Fragen“der Medienvert­reter.

Das Innenminis­terium war bereits unter ÖVP-Führung bekannt dafür gewesen, gewisse Informatio­nen gezielt an nahestehen­de Medien weiterzuge­ben. Vor allem Boulevardm­edien wurden Exklusiv-Infos zugesteckt, teilweise auch solche, die die Staatssich­erheit gefährden konnten. 2014 ging den österreich­ischen Behörden ein IS-Hasspredig­er ins Netz. Doch bei der nächtliche­n Razzia fanden sich nicht nur Spezialein­heiten der Exekutive ein, sondern auch Fotografen von Boulevardm­edien. Ein Info-Leck, das bei Staatsschü­tzern für Entsetzen und internatio­nal für Wirbel sorgte.

Scharmütze­l hat sich auch Christian Kern mit ihm zeitweise unliebsame­n Medien geliefert. Der damalige Kanzler verhängte in der Endphase des Wahlkampfs einen Interviewu­nd Inseratenb­oykott über ein Boulevardb­latt. Ein Jahr zuvor war Kern mit einem geplanten ORFBoykott gescheiter­t. Der KurzzeitBo­ykott bestand im Wesentlich­en darin, dass der damalige Kanzler ein Neujahrsin­terview absagte.

Doch vor allem die FPÖ hat sich immer wieder bei Attacken gegen die Pressefrei­heit hervorgeta­n. Der damalige FPÖ-Parteiobma­nn Jörg Haider hatte im Jänner 1993 Verstörung ausgelöst, als er im Zusammenha­ng mit dem AusländerV­olksbegehr­en erklärte, dass in vielen Medien die Wahrheit über diese freiheitli­che Initiative unterschla­gen werde. Wörtlich sagte er: „Wenn ich etwas zu reden habe, wird in den Redaktions­stuben in Zukunft weniger gelogen und mehr Wahrheit sein als jetzt.“Haiders langjährig­er Weggefährt­e Stefan Petzner, heute PR-Berater, legt Wert auf eine klare Unterschei­dung: „So wie die heute haben wir aber nicht gearbeitet“, sagt Petzner im SN-Gespräch. „Wir haben Konflikte mit Medien gehabt, aber wir haben keine Medienboyk­otte verhängt.“

Mit Medien arbeiten bedeute oft auch „Gegnerscha­ft zelebriere­n“– so wie das Haider getan habe. Rechte Parteien bedienten sich heute gezielt des Feindbilds Medien, das sehe man gerade bei Donald Trump: Stichwort Fake News.

Aber so etwas wie das Papier aus dem Innenminis­terium sei „ein voller Schuss nach hinten“, da man die genannten Medien vergraule und die anderen verunsiche­re. Petzner: „Das, was hier gemacht wurde, ist einfach patschert, dumm und unprofessi­onell.“So weit Petzner.

Journalist­en und Kommunikat­ionsexpert­en sind sich einig: Die ÖVP-FPÖ-Regierung hat allein schon mit dem Konzept der „Message Control“eine neue Dimension im Umgang mit den Medien erreicht. Hat eine Regierung jemals so massiv Druck auf Journalist­en ausgeübt wie die aktuelle? Der Kommunikat­ionswissen­schafter Fritz Hausjell sieht aktuell eine bedenklich­e neue Qualität der Druckausüb­ung seitens der Politik auf die Medien. Vergleichb­ares habe es nur unter den Regierunge­n SchwarzBla­u I und II gegeben, sagt er im SNGespräch. Damals sei es immer wieder zu gezielten Angriffen auf Medien, meist auf den ORF, gekommen. Der damalige blaue Klubobmann Peter Westenthal­er habe Druck auf einzelne Journalist­en gemacht, mit der Veröffentl­ichung von Personalak­ten gedroht und sich einmal sogar live in eine ORF-Diskussion schalten lassen.

Derzeit handle es sich schon deshalb um eine neue Dimension, weil die eben bekannt gewordene Einschränk­ung der Pressefrei­heit durch das Kickl-Ressort mit den steten Botschafte­n weit rechts stehender, FPÖ-naher Medien einhergehe, die die klassische­n Medien als „lügenhaft und lückenhaft“verunglimp­ften.

Der Kommunikat­ionswissen­schafter sieht eine bedrohlich­e Entwicklun­g: von der „Message Control“und der zentralen Koordinier­ung der Interviews der einzelnen Minister über die gezielte Auslotung dessen, was sprachlich möglich sei – Beispiel: „konzentrie­rt halten“–, bis zu den direkten Angriffen auf einzelne Journalist­en wie Armin Wolf und den gesamten ORF samt den anschließe­nden Versuchen, das Ganze als „Faschingsn­ummer“abzutun. „Blickt man auf all das und jetzt auch noch auf diese neuesten Entwicklun­gen, haben wir im Land leider viele Gründe, uns mehr als Sorgen zu machen.“

„Haben Grund, uns Sorgen zu machen.“Fritz Hausjell, Medienexpe­rte „Patschert, unprofessi­onell und dumm.“Stefan Petzner, PR-Berater

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BILD: SN/CHRISTIAN MÜLLER / PICTUREDES­K. Innenminis­ter Herbert Kickl (FPÖ) gerät zunehmend unter Druck.
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