Der Märchenkönig war Brückenbauer
Ludwig II. wird unterschätzt. Der bayerische König war viel mehr als ein einsamer, verträumter Schlossherr.
Je öfter man sich Ludwig II. annähert, desto rätselhafter wird dieser bayerische König, dessen Schlösser – wie Herrenchiemsee und Neuschwanstein – Millionen Schaulustige anlocken. Allein dies ist absurd. Denn Ludwig II. hat diese historisierenden Prachtbauten eigentlich als Rückzugsorte für seine selbst gewählte Einsamkeit bauen lassen. Seit sie aber – bereits sechs Wochen nach seinem Tod im Juni 1886 – öffentlich zugänglich sind, werden sie Tag für Tag von Abertausenden Besuchern erobert.
Wer die Schlösser besucht, lernt einen einsamen, kunstsinnigen, Idealbauten von Mittelalter, Barock und Rokoko nachstellenden Herrscher kennen, der wie in einer Zauberwelt zu leben scheint – in einem Bett wie Ludwig XIV., in einem maurischen Kiosk mit Pfauenthron oder umgeben von mittelalterlichen Sagengestalten. Das ihm deshalb zuerkannte Attribut „Märchenkönig“wird jetzt in der Pinakothek der Moderne in München durchkreuzt. Die neue Ausstellung „Königsschlösser und Fabriken“stellt einen anderen, bisher unbekannten Ludwig II. vor.
Schon der Anlass erstaunt: Die Technische Universität München feiert damit ihr 150-Jahre-Jubiläum. Denn Ludwig II. hat deren Vorgängerinstitution, die Polytechnische Hochschule, ins Leben gerufen und dafür einen Neubau beauftragt, der der Gründungsbau der Neorenaissance in Bayern werden sollte. Auch für das Architekturmuseum der TU München legte er die Basis: Er vermachte dieser seine Sammlung von Architekturzeichnungen.
Dies sind nur Details der vielfältigen, innovativen Bautätigkeit im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts, die Ludwig II. angeregt, gefördert, manchmal aus Privatvermögen mitfinanziert oder zumindest zugelassen hat. Denn der König war, wie Andres Lepik und Katrin Bäumler im Katalog schildern, die höchste Instanz der Obersten Baubehörde. Folglich waren alle staatlichen Bauvorhaben sowie alle entsprechenden Personalentscheidungen von ihm zu treffen oder zu genehmigen. Und man glaubt es kaum: Der in seinen Schlössern als extrem einsam und verträumt erscheinende König war offenbar ein quirliger, weitsichtiger Baupolitiker zum Wohle seiner Untertanen.
Unter Ludwigs Regierung sei das Streckennetz der bayerischen Eisenbahnen komplettiert und verdichtet worden, zudem seien mehrere Privatbahnen – wie die überschuldete Ostbahn – verstaatlicht und zu bayerischen Staatsbahnen fusioniert worden, heißt es im Katalog. Zum Bahnausbau gehörten neue oder erweiterte Bahnhöfe – wie der einstige Münchner „Centralbahnhof“, dessen Gleishalle mit 16 Gleisen die damals größte derartige Halle Europas war. Diese vierschiffige Glas-Eisen-Konstruktion – schon im Ausmaß der nach dem Zweiten Weltkrieg errichteten heutigen Halle – stammte von einem jener Ingenieure, die sich unter Ludwig II. entfalten konnten: Heinrich Gottfried Gerber.
Dieser Innovator im Brückenbau – nach ihm ist der „Gerberträger“benannt, eine besonders weit spannende Brückenbauweise – konstruierte für die Eisenbahn sowie direkt im Auftrag des Königs die Marienbrücke über die Pöllatschlucht bei Schloss Neuschwanstein. Beiderseits tragen nur zwei Felsanker diese neunzig Meter über dem Wildbach schwebende Brücke.
Als weitere Großtat Ludwigs II. wird in der Ausstellung der Wasserleitungsbau dargestellt. Auch da folgte der König einem Experten: Max von Pettenkofer, dem ersten Professor für Hygiene in deutschen Landen. Auf dessen Anregung hin ließ Ludwig II. in München das Hygiene-Institut errichten. Zudem ließ er nach der Cholera-Epidemie 1873 dem Rat Pettenkofers folgend Abwasserkanäle und Frischwasserzufuhr großzügig modernisieren. So galt München bald als Stadt mit dem weitum besten Trinkwasser.
Technische Errungenschaft wurde immer mit Schönem flankiert. Beispiel Wasser: Dazu wurde auf dem Marienplatz ein imposanter Brunnen gebaut. Oder Eisenbahn: Bei Bahnhöfen wurde großer Wert auf Architektur gelegt. Oder Universitätsbau: Neben Polytechnikum und Hygiene-Institut ließ Ludwig II. die Akademie der bildenden Künste errichten, und er leitete den Bau des Künstlerhauses am Lenbachplatz ein. Seine Pläne für eine Oper konnte er nicht umsetzen, diese sollten aber die Opernhausbauten in München und Bayreuth beeinflussen.
Neueste Technik setzte er auch in seinen Schlössern ein – etwa eine vom Bahnhofsbau abgeschaute Eisen-Glas-Konstruktion für den legendären Wintergarten der Münchner Residenz sowie modernste Rohre samt Zentralheizung und beheizbarem Schwimmbad in Herrenchiemsee. Dass er in der Grotte von Linderhof Wellenmaschine, Projektor für einen Regenbogen und das erste bayerische Elektrizitätswerk für elektrisches Licht hat installieren lassen, bezeugt seine Pioniertaten in der Bühnentechnik.
Brücken, Bahnhöfe und Wasserleitungen