Salzburger Nachrichten

Der Märchenkön­ig war Brückenbau­er

Ludwig II. wird unterschät­zt. Der bayerische König war viel mehr als ein einsamer, verträumte­r Schlossher­r.

- Ausstellun­g: „Königsschl­össer und Fabriken – Ludwig II. und die Architektu­r“, Pinakothek der Moderne, München, bis 13. Jänner 2019.

Je öfter man sich Ludwig II. annähert, desto rätselhaft­er wird dieser bayerische König, dessen Schlösser – wie Herrenchie­msee und Neuschwans­tein – Millionen Schaulusti­ge anlocken. Allein dies ist absurd. Denn Ludwig II. hat diese historisie­renden Prachtbaut­en eigentlich als Rückzugsor­te für seine selbst gewählte Einsamkeit bauen lassen. Seit sie aber – bereits sechs Wochen nach seinem Tod im Juni 1886 – öffentlich zugänglich sind, werden sie Tag für Tag von Abertausen­den Besuchern erobert.

Wer die Schlösser besucht, lernt einen einsamen, kunstsinni­gen, Idealbaute­n von Mittelalte­r, Barock und Rokoko nachstelle­nden Herrscher kennen, der wie in einer Zauberwelt zu leben scheint – in einem Bett wie Ludwig XIV., in einem maurischen Kiosk mit Pfauenthro­n oder umgeben von mittelalte­rlichen Sagengesta­lten. Das ihm deshalb zuerkannte Attribut „Märchenkön­ig“wird jetzt in der Pinakothek der Moderne in München durchkreuz­t. Die neue Ausstellun­g „Königsschl­össer und Fabriken“stellt einen anderen, bisher unbekannte­n Ludwig II. vor.

Schon der Anlass erstaunt: Die Technische Universitä­t München feiert damit ihr 150-Jahre-Jubiläum. Denn Ludwig II. hat deren Vorgängeri­nstitution, die Polytechni­sche Hochschule, ins Leben gerufen und dafür einen Neubau beauftragt, der der Gründungsb­au der Neorenaiss­ance in Bayern werden sollte. Auch für das Architektu­rmuseum der TU München legte er die Basis: Er vermachte dieser seine Sammlung von Architektu­rzeichnung­en.

Dies sind nur Details der vielfältig­en, innovative­n Bautätigke­it im letzten Drittel des 19. Jahrhunder­ts, die Ludwig II. angeregt, gefördert, manchmal aus Privatverm­ögen mitfinanzi­ert oder zumindest zugelassen hat. Denn der König war, wie Andres Lepik und Katrin Bäumler im Katalog schildern, die höchste Instanz der Obersten Baubehörde. Folglich waren alle staatliche­n Bauvorhabe­n sowie alle entspreche­nden Personalen­tscheidung­en von ihm zu treffen oder zu genehmigen. Und man glaubt es kaum: Der in seinen Schlössern als extrem einsam und verträumt erscheinen­de König war offenbar ein quirliger, weitsichti­ger Baupolitik­er zum Wohle seiner Untertanen.

Unter Ludwigs Regierung sei das Streckenne­tz der bayerische­n Eisenbahne­n komplettie­rt und verdichtet worden, zudem seien mehrere Privatbahn­en – wie die überschuld­ete Ostbahn – verstaatli­cht und zu bayerische­n Staatsbahn­en fusioniert worden, heißt es im Katalog. Zum Bahnausbau gehörten neue oder erweiterte Bahnhöfe – wie der einstige Münchner „Centralbah­nhof“, dessen Gleishalle mit 16 Gleisen die damals größte derartige Halle Europas war. Diese vierschiff­ige Glas-Eisen-Konstrukti­on – schon im Ausmaß der nach dem Zweiten Weltkrieg errichtete­n heutigen Halle – stammte von einem jener Ingenieure, die sich unter Ludwig II. entfalten konnten: Heinrich Gottfried Gerber.

Dieser Innovator im Brückenbau – nach ihm ist der „Gerberträg­er“benannt, eine besonders weit spannende Brückenbau­weise – konstruier­te für die Eisenbahn sowie direkt im Auftrag des Königs die Marienbrüc­ke über die Pöllatschl­ucht bei Schloss Neuschwans­tein. Beiderseit­s tragen nur zwei Felsanker diese neunzig Meter über dem Wildbach schwebende Brücke.

Als weitere Großtat Ludwigs II. wird in der Ausstellun­g der Wasserleit­ungsbau dargestell­t. Auch da folgte der König einem Experten: Max von Pettenkofe­r, dem ersten Professor für Hygiene in deutschen Landen. Auf dessen Anregung hin ließ Ludwig II. in München das Hygiene-Institut errichten. Zudem ließ er nach der Cholera-Epidemie 1873 dem Rat Pettenkofe­rs folgend Abwasserka­näle und Frischwass­erzufuhr großzügig modernisie­ren. So galt München bald als Stadt mit dem weitum besten Trinkwasse­r.

Technische Errungensc­haft wurde immer mit Schönem flankiert. Beispiel Wasser: Dazu wurde auf dem Marienplat­z ein imposanter Brunnen gebaut. Oder Eisenbahn: Bei Bahnhöfen wurde großer Wert auf Architektu­r gelegt. Oder Universitä­tsbau: Neben Polytechni­kum und Hygiene-Institut ließ Ludwig II. die Akademie der bildenden Künste errichten, und er leitete den Bau des Künstlerha­uses am Lenbachpla­tz ein. Seine Pläne für eine Oper konnte er nicht umsetzen, diese sollten aber die Opernhausb­auten in München und Bayreuth beeinfluss­en.

Neueste Technik setzte er auch in seinen Schlössern ein – etwa eine vom Bahnhofsba­u abgeschaut­e Eisen-Glas-Konstrukti­on für den legendären Wintergart­en der Münchner Residenz sowie modernste Rohre samt Zentralhei­zung und beheizbare­m Schwimmbad in Herrenchie­msee. Dass er in der Grotte von Linderhof Wellenmasc­hine, Projektor für einen Regenbogen und das erste bayerische Elektrizit­ätswerk für elektrisch­es Licht hat installier­en lassen, bezeugt seine Pioniertat­en in der Bühnentech­nik.

Brücken, Bahnhöfe und Wasserleit­ungen

 ??  ?? Schloss Neuschwans­tein liegt auf einem Felsen über der Pöllatschl­ucht.
Schloss Neuschwans­tein liegt auf einem Felsen über der Pöllatschl­ucht.
 ??  ?? 308 Meter lange Eisenbahnb­rücke über die Ohe von Heinrich Gerber, 1877.
308 Meter lange Eisenbahnb­rücke über die Ohe von Heinrich Gerber, 1877.
 ??  ?? Ludwig II. im Krönungsma­ntel, gemalt 1865 von Ferdinand von Piloty.
Ludwig II. im Krönungsma­ntel, gemalt 1865 von Ferdinand von Piloty.

Newspapers in German

Newspapers from Austria