Salzburger Nachrichten

Sanfte Mobilität in der Alpenregio­n

Im Alpentouri­smus dominiert nach wie vor das Auto, sowohl bei der An- und Abreise als auch bei der Mobilität am Urlaubsdom­izil. Was wäre zu tun, um die Bahn und den öffentlich­en Ortsbus attraktive­r zu machen?

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Über die Verkehrsen­twicklung im Alpentouri­smus sprachen die SN mit Dominik Siegrist, Geograf und Landschaft­splaner an der Hochschule für Technik Rapperswil.

SN: Wie entwickelt sich der Alpentouri­smus?

Siegrist: Es gibt im Winter starke Konzentrat­ionsprozes­se bei den Skigebiete­n. Mittelfris­tig werden wenige große überleben. Schon jetzt ist der Trend spürbar, dass mittelgroß­e Destinatio­nen noch zu den großen aufsteigen möchten, um dabei zu sein. Konkret habe ich mir das an der Skiwelt Amadé angeschaut. Dort hängen sich kleinere Orte Tal für Tal mit Skischauke­ln an die großen an und machen sich mit einer beinahe flächendec­kenden künstliche­n Beschneiun­g technisch fit. Dafür werden Hunderte Millionen Euro investiert.

SN: Kleine Skigebiete können nicht überleben?

Viele haben schon zugemacht. Die Ausnahme sind nicht kommerziel­le Modelle, das heißt, dass eine Genossensc­haft oder ein Verein einen Skilift betreibt. Eine Art Dorfskilif­t auf ehrenamtli­cher Basis. Skitourism­us wird es in diesen kleinen, tief gelegenen Destinatio­nen aber nicht mehr geben. Allenfalls Langlauf.

SN: Ist der Grund dafür der Klimawande­l?

Auch, ja, aber keineswegs allein. Es ist eine Kombinatio­n mehrerer Faktoren. Das beginnt mit der Stagnation des Skimarkts. Die Skier-Days (Normgröße für einen Skifahrert­ag) stagnieren alpenweit. Die Menschen, die Ski fahren, werden weniger. Dazu kommt, dass die größeren Skidestina­tionen auch durch ihre Marketingk­raft die kleinen verdrängen. Da spielen also ökonomisch­e Effekte eine große Rolle, nicht nur die Klimaerwär­mung.

SN: Beim Berufsverk­ehr werden große Anstrengun­gen unternomme­n, um den Individual­verkehr einzudämme­n. Beim Tourismusv­erkehr scheint sich wenig zu tun.

90 Prozent des Tourismusv­erkehrs entfallen auf An- und Abreise. Der Rest ist der Ortsverkeh­r. Beides hängt aber eng zusammen, denn wenn die An- und Abreise öffentlich erfolgen soll, ist ein entspreche­nder Ortsverkeh­r zwingend.

Die großen Tourismuso­rte haben heute bereits ähnlich große Verkehrspr­obleme wie die Städte. Der Leidensdru­ck ist allerdings noch nicht ganz so groß. Das Problembew­usstsein wächst jedoch, weil die Gäste den Qualitätsv­erlust durch den vielen Verkehr spüren. Das hat dazu geführt, dass man autofreie Zentren schafft, dass man Ortsbusse einrichtet, dass man neue Mobilitäts­konzepte umsetzt.

SN: Wie könnte man Touristen auf die Bahn bringen?

Es darf grundsätzl­ich nicht sein, dass die Straße billiger ist als die Bahn. Es kann nicht sein, dass die Vollkosten­rechnung das Auto bevorzugt. Wir haben im Modal Split im Alpentouri­smus derzeit unter zehn Prozent An- und Abreise mit dem öffentlich­en Verkehr. Einzelne Orte kommen immerhin auf 30 Prozent. Dahin muss die Reise gehen.

SN: Wo muss als Erstes dafür angesetzt werden?

Sowohl bei der An- und Abreise als auch beim Ortsverkeh­r. Wer ohne Auto Urlaub macht, braucht am Bahnhof den Bus, der ihn ins Hotel bringt. Und er braucht den Ortsbus, der ihn zum Ausgangspu­nkt einer Wanderrout­e bringt. Die sanfte Mobilität vor Ort ist eine notwendige Bedingung dafür, dass sich bei der An- und Abreise etwas ändert. Dazu gehört auch die Verbesseru­ng des Langsamver­kehrsnetze­s, also der Wege für Fußgänger und Radfahrer. Ortsbusse müssen mit den Nachbarort­en verbunden sein und auch die Randzeiten bedienen.

Bei der An- und Abreise ist eine der größten Hürden das Umsteigen: Maximal zwei Mal nimmt der Tourist das bei der Reise in den Urlaubsort in Kauf. Ebenso wichtig ist der Gepäcktran­sport vom Wohnort direkt zum Hotel am Urlaubsort. Und es braucht hohe Fahrplansi­cherheit. Dass der Zug in den Bahnhof einfährt und der Ortsbus dem Gast in diesem Moment vor der Nase davonfährt, toleriert er nicht.

SN: Die Botschaft an den Gast ist: Wenn du zu uns nicht mit dem Auto kommst, bist du vor Ort trotzdem voll mobil.

Das beste Beispiel dafür ist noch immer Werfenweng. Ein solches Projekt lässt sich auf dem Markt aber unter den heutigen Kostenstru­kturen nicht realisiere­n. Das würde große Zuschüsse der öffentlich­en Hand erfordern. Es braucht andere Rahmenbedi­ngungen, damit Beispiele wie Werfenweng auf dem Markt attraktiv werden. Das Kostenprin­zip muss auch bei den Umweltkost­en umgesetzt werden.

SN: Wie viel Einschränk­ung bei der Fahrt in den Urlaub mit dem Auto muss sein?

Eine der wichtigste­n Maßnahmen, die teils schon erfolgt ist, sind die autofreien Ortskerne. Ein anderes Feld sind die Talschlüss­e, die an den Wochenende­n oft mit Pkw verstopft sind. Da wurde zum Teil schon begonnen, Mautstreck­en einzuricht­en, wie im Rauriser Tal – was übrigens ein jahrelange­r Kampf war. Der nächste Schritt wäre, dass man ganze Destinatio­nen autofrei macht. Das gibt es vorerst nur in den autofreien Tourismuso­rten in der Schweiz, die an den Enden von Straßen oder Tälern liegen. Das ist z. B. Braunwald im Glarnerlan­d, das sich als autofreie Familienoa­se mit starken Elektromob­ilen präsentier­t.

SN: Klar ist, dass solche Initiative­n subvention­iert werden müssen?

Ja, das Beispiel dafür ist die Politik zugunsten der erneuerbar­en Energie in Deutschlan­d, die durch eine zweckgebun­dene Abgabe subvention­iert wird.

SN: Als großes Problem werden in Salzburg Reisebusse gesehen.

Die Klage, dass die Reisebusse die Straßen in den Städten verstopfen, weil sie die Reisenden nahe ans Zentrum bringen müssen, ist meines Erachtens die falsche. Das Verkehrspr­oblem in den Städten ist durch den starken Autoverkeh­r entstanden, nicht durch Bustourist­en. Die Städte sind durch Privat-Pkw verstopft. Hätte man längst andere Verkehrslö­sungen für die Innenstädt­e, wären Reisebusse kein Problem. Denn ein Reisebus ist grundsätzl­ich eine relativ effiziente Lösung, um Leute zu transporti­eren.

SN: Also Privat-Pkw raus, Reisebusse rein?

Der Reisebus muss seine Leute nahe dem historisch­en Stadtzentr­um ausladen können. Denn genau dafür haben die Menschen dieses Angebot gewählt. Wenn der Reisebus an der Peripherie anhalten muss und die Touristen dann mit Straßenbah­n oder Obus in die Stadt fahren müssen, ist das Ziel verfehlt.

Allerdings möchte ich dezidiert einschränk­en: Ich bin dagegen, dass man Eisenbahnl­inien durch Fernbusse ersetzt oder konkurrier­t. Diese sogenannte Liberalisi­erung des Fernverkeh­rs ist ein schlechter Weg. Die Fernbusse sollen dort eingesetzt werden, wo es keine entspreche­nde Bahnverbin­dung gibt, zum Beispiel in Osteuropa, wo sie ergänzend zur Bahn ein Angebot sind.

Wenn wir in Mitteleuro­pa die Reisenden statt mit der Bahn mit Bussen in die Städte bringen, haben wir tatsächlic­h ein Platzprobl­em. Wir haben sehr gute Bahnverbin­dungen, deren Angebote qualitativ gestärkt werden sollten.

SN: Die Bahn ist mit ihren Preisen gegen die Fernbusse nicht konkurrenz­fähig.

Die Fernbusse sind billiger, weil sie ihre Umweltkost­en bei Weitem nicht tragen müssen. Das ist ein Konkurrenz­nachteil der Bahn, der durch eine entspreche­nde Kostenwahr­heit für den Straßen- und Autobahnve­rkehr ausgeglich­en werden müsste.

„Fernbusse tragen ihre Kosten nicht.“ Dominik Siegrist, Geograf

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BILD: SN/ROBERT RATZER Naturerleb­nis mit der Schafbergb­ahn bei St. Wolfgang im Salzkammer­gut.
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