Salzburger Nachrichten

1996 Als Frau Klasnic Ja sagte

Österreich bekommt seine erste Landeshaup­tfrau. Zuvor hatten ihre Parteifreu­nde die steirische ÖVP in den Graben gefahren. Doch Waltraud Klasnic empfand sich nie als „Trümmerfra­u“.

- ANDREAS KOLLER

Es war das Ende einer Ära – und der Beginn einer neuen. Was zu Ende ging, war die Ära Krainer. Josef Krainer senior und sein gleichnami­ger Sohn waren in den Nachkriegs­jahrzehnte­n die prägenden Gestalten der steirische­n Landespoli­tik gewesen – und weit darüber hinaus, weil das machtvolle VaterSohn-Gespann auch in die Bundespoli­tik emsig eingegriff­en, ÖVP-Bundeskanz­ler gemacht und gestürzt hatte. Josef Krainer Vater hatte von 1948 bis 1971 als Landeshaup­tmann das Land regiert, sein Sohn trat 1980 die Nachfolge an – und fuhr nach 15 Jahren, nämlich im Herbst 1995, eine krachende Wahlnieder­lage ein. Die SPÖ kam bis auf rund 2000 Stimmen an die bis dahin unangefoch­ten dominieren­de ÖVP heran. Krainer warf das Handtuch.

Es schlug die Stunde der Waltraud Klasnic, die im Jänner 1996 als erste Frau das Amt eines österreich­ischen Landeshaup­tmanns übernahm.

Wer war diese Pionierin der österreich­ischen Politik? 1945 in sogenannte kleine Verhältnis­se hineingebo­ren, arbeitete sie als Handelsang­estellte und baute mit ihrem Mann ein Transportu­nternehmen auf. Drei Kinder. Bald engagierte sich die junge Unternehme­rin

100 JAHRE REPUBLIK

im ÖVP-Wirtschaft­sbund, wurde in den Bundesrat und den steirische­n Landtag gewählt. 1988 holte sie Josef Krainer als Landesräti­n für Wirtschaft, Tourismus und Verkehr in die Landesregi­erung. 1993 wurde sie Landeshaup­tmannstell­vertreteri­n, 1996 stand sie als logische Nachfolger­in des bei den Wahlen geschlagen­en Landeshaup­tmanns parat.

Klasnic musste nicht lang überlegen, als das Angebot kam, an die Partei- und Landesspit­ze zu treten. „Ich habe damals sehr spontan Ja gesagt. Dies auch im Wissen: Wenn ich ablehne, wird so schnell nicht wieder eine Frau gefragt werden, ein solches Amt zu übernehmen“, erinnert sie sich im SN-Gespräch und ein wenig später wiederholt sie dieses Credo: „Man muss Verantwort­ung übernehmen, man muss in solchen Situatione­n Ja sagen.“Im Jänner 1996 tritt sie ihr Amt als Landeshaup­tfrau an.

Das naheliegen­de Bild der „Trümmerfra­u“– also der weiblichen Politikeri­n, die erst dann an die Spitze treten darf, wenn die Männer den Karren in den Graben gefahren haben – behagt der ersten Landeshaup­tfrau Österreich­s ganz und gar nicht. Sie habe Land und Leute gekannt, sie habe als Landesräti­n wirtschaft­slastige Ressorts geführt, „die damals üblicherwe­ise von Männern geführt wurden“, sie sei Stellvertr­eterin des Chefs gewesen – ihr Vorrücken ganz nach vorn sei also nur folgericht­ig gewesen. „Mir hat mein Frausein nie geschadet“, betont Klasnic, wenngleich sie natürlich mit einschlägi­gen Vorbehalte­n konfrontie­rt war. Die sie mit der ihr eigenen Mischung aus Demut und Selbstbewu­sstsein bewältigte. „Als mich einmal jemand fragte: ,Wie geht es Ihnen, wenn Sie mit einem Minister reden müssen?‘, habe ich erwidert: ,Fragen Sie lieber den Minister, wie es ihm geht, wenn er mit mir redet‘“, erzählt sie. Die Amtszeit der Landeshaup­tfrau, die auf die Bezeichnun­g „Landeshaup­tmann“Wert legte, glich einer Bergund-Tal-Bahn. Fünf Jahre nach ihrem Amtsantrit­t fuhr sie einen glänzenden Wahlsieg ein, was nicht zuletzt dem Umstand geschuldet war, dass sie sich 1998 bei der Bergwerksk­atastrophe von Lassing als Landesmutt­er im besten Wortsinn erwiesen hatte. Weitere fünf Jahre später verlor sie die Wahl und musste den LH-Sessel an ihren roten Konkurrent­en Franz Voves übergeben.

Und begann – nach Wirtschaft und Politik – eine dritte Laufbahn. Sie wurde Kuratorium­svorsitzen­de des Zukunftfon­ds Österreich und Präsidenti­n des Dachverban­ds Hospiz Österreich. Sie engagierte sich im Europäisch­en Wirtschaft­s- und Sozialauss­chuss, im Senat der Montan-Uni, als Beraterin im Industrieb­ereich und gründete sogar eine eigene Beratungsf­irma. Ihre öffentlich wahrnehmba­rste Rolle spielte sie als Opferbeauf­tragte der katholisch­en Kirche („Klasnic-Kommission“), die sich der Aufklärung von Missbrauch­sfällen in kirchliche­n Institutio­nen widmete. Auch der Österreich­ische Skiverband konsultier­te sie, als die ehemalige Skirennläu­ferin Nicola Werdenigg über Missbrauch im Rennsport berichtet hatte.

„Es hat alles einen Sinn“, sagt Klasnic, wenn man sie heute auf ihre 13 Jahre zurücklieg­ende schmerzlic­he Wahlnieder­lage anspricht. Sie habe dadurch „einen neuen Weg gefunden, sinnvolle Dinge zu tun und jeden Tag glückhaft zu erleben“.

Waltraud Klasnic war als Landeshaup­tfrau eine Pionierin, doch von einem Durchbruch der Frauen bei der Machtverte­ilung in den Bundesländ­ern kann bis heute keine Rede sein. Auch heute verfügt Österreich nur über eine einzige Landeshaup­tfrau. Ganz wie zu Klasnics Zeiten.

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BILD: SN/BARBARA GINDL / APA / PICTUREDES­K.COM Waltraud Klasnic am Tag der Angelobung mit Bundespräs­ident Thomas Klestil.

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