1996 Als Frau Klasnic Ja sagte
Österreich bekommt seine erste Landeshauptfrau. Zuvor hatten ihre Parteifreunde die steirische ÖVP in den Graben gefahren. Doch Waltraud Klasnic empfand sich nie als „Trümmerfrau“.
Es war das Ende einer Ära – und der Beginn einer neuen. Was zu Ende ging, war die Ära Krainer. Josef Krainer senior und sein gleichnamiger Sohn waren in den Nachkriegsjahrzehnten die prägenden Gestalten der steirischen Landespolitik gewesen – und weit darüber hinaus, weil das machtvolle VaterSohn-Gespann auch in die Bundespolitik emsig eingegriffen, ÖVP-Bundeskanzler gemacht und gestürzt hatte. Josef Krainer Vater hatte von 1948 bis 1971 als Landeshauptmann das Land regiert, sein Sohn trat 1980 die Nachfolge an – und fuhr nach 15 Jahren, nämlich im Herbst 1995, eine krachende Wahlniederlage ein. Die SPÖ kam bis auf rund 2000 Stimmen an die bis dahin unangefochten dominierende ÖVP heran. Krainer warf das Handtuch.
Es schlug die Stunde der Waltraud Klasnic, die im Jänner 1996 als erste Frau das Amt eines österreichischen Landeshauptmanns übernahm.
Wer war diese Pionierin der österreichischen Politik? 1945 in sogenannte kleine Verhältnisse hineingeboren, arbeitete sie als Handelsangestellte und baute mit ihrem Mann ein Transportunternehmen auf. Drei Kinder. Bald engagierte sich die junge Unternehmerin
100 JAHRE REPUBLIK
im ÖVP-Wirtschaftsbund, wurde in den Bundesrat und den steirischen Landtag gewählt. 1988 holte sie Josef Krainer als Landesrätin für Wirtschaft, Tourismus und Verkehr in die Landesregierung. 1993 wurde sie Landeshauptmannstellvertreterin, 1996 stand sie als logische Nachfolgerin des bei den Wahlen geschlagenen Landeshauptmanns parat.
Klasnic musste nicht lang überlegen, als das Angebot kam, an die Partei- und Landesspitze zu treten. „Ich habe damals sehr spontan Ja gesagt. Dies auch im Wissen: Wenn ich ablehne, wird so schnell nicht wieder eine Frau gefragt werden, ein solches Amt zu übernehmen“, erinnert sie sich im SN-Gespräch und ein wenig später wiederholt sie dieses Credo: „Man muss Verantwortung übernehmen, man muss in solchen Situationen Ja sagen.“Im Jänner 1996 tritt sie ihr Amt als Landeshauptfrau an.
Das naheliegende Bild der „Trümmerfrau“– also der weiblichen Politikerin, die erst dann an die Spitze treten darf, wenn die Männer den Karren in den Graben gefahren haben – behagt der ersten Landeshauptfrau Österreichs ganz und gar nicht. Sie habe Land und Leute gekannt, sie habe als Landesrätin wirtschaftslastige Ressorts geführt, „die damals üblicherweise von Männern geführt wurden“, sie sei Stellvertreterin des Chefs gewesen – ihr Vorrücken ganz nach vorn sei also nur folgerichtig gewesen. „Mir hat mein Frausein nie geschadet“, betont Klasnic, wenngleich sie natürlich mit einschlägigen Vorbehalten konfrontiert war. Die sie mit der ihr eigenen Mischung aus Demut und Selbstbewusstsein bewältigte. „Als mich einmal jemand fragte: ,Wie geht es Ihnen, wenn Sie mit einem Minister reden müssen?‘, habe ich erwidert: ,Fragen Sie lieber den Minister, wie es ihm geht, wenn er mit mir redet‘“, erzählt sie. Die Amtszeit der Landeshauptfrau, die auf die Bezeichnung „Landeshauptmann“Wert legte, glich einer Bergund-Tal-Bahn. Fünf Jahre nach ihrem Amtsantritt fuhr sie einen glänzenden Wahlsieg ein, was nicht zuletzt dem Umstand geschuldet war, dass sie sich 1998 bei der Bergwerkskatastrophe von Lassing als Landesmutter im besten Wortsinn erwiesen hatte. Weitere fünf Jahre später verlor sie die Wahl und musste den LH-Sessel an ihren roten Konkurrenten Franz Voves übergeben.
Und begann – nach Wirtschaft und Politik – eine dritte Laufbahn. Sie wurde Kuratoriumsvorsitzende des Zukunftfonds Österreich und Präsidentin des Dachverbands Hospiz Österreich. Sie engagierte sich im Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss, im Senat der Montan-Uni, als Beraterin im Industriebereich und gründete sogar eine eigene Beratungsfirma. Ihre öffentlich wahrnehmbarste Rolle spielte sie als Opferbeauftragte der katholischen Kirche („Klasnic-Kommission“), die sich der Aufklärung von Missbrauchsfällen in kirchlichen Institutionen widmete. Auch der Österreichische Skiverband konsultierte sie, als die ehemalige Skirennläuferin Nicola Werdenigg über Missbrauch im Rennsport berichtet hatte.
„Es hat alles einen Sinn“, sagt Klasnic, wenn man sie heute auf ihre 13 Jahre zurückliegende schmerzliche Wahlniederlage anspricht. Sie habe dadurch „einen neuen Weg gefunden, sinnvolle Dinge zu tun und jeden Tag glückhaft zu erleben“.
Waltraud Klasnic war als Landeshauptfrau eine Pionierin, doch von einem Durchbruch der Frauen bei der Machtverteilung in den Bundesländern kann bis heute keine Rede sein. Auch heute verfügt Österreich nur über eine einzige Landeshauptfrau. Ganz wie zu Klasnics Zeiten.