Salzburger Nachrichten

„Öffentlich-rechtliche­r Rundfunk wird nie einflussfr­ei sein“

Im SN-Interview sagt ZDF-Intendant Thomas Bellut, dass es eine Megashow wie „Wetten, dass..?“nicht mehr geben wird. Er beschreibt, wer die kompletten TV-Sportrecht­e an sich reißen könnte. Und er schildert, wofür er den ORF beneidet.

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Seit Jahren ist das ZDF die Nummer eins auf dem deutschen TV-Markt. Wesentlich mitverantw­ortlich für den Erfolg ist Thomas Bellut. Der 63-Jährige ist seit 2012 Intendant beim Zweiten Deutschen Fernsehen. Zuvor war er rund zehn Jahre Programmdi­rektor.

SN: Herr Bellut, Sie waren vor Kurzem auf den Medientage­n in Wien. Ist es ein reiner Freundscha­ftsbesuch, wenn ein deutscher Medienmach­er auf eine österreich­ische Branchenko­nferenz kommt – oder erhofft er sich Erkenntnis­gewinn? Bellut: Es ist eindeutig ein Freundscha­ftsbesuch – aber man erhofft sich auch Erkenntnis­gewinn. Der ORF ist unser wichtigste­r Koprodukti­onspartner. Wir drehen nirgendwo außerhalb Deutschlan­ds mehr als in Österreich. Das Volumen der Kooperatio­n liegt bei mehr als 100 Millionen Euro.

SN: Gibt es Bereiche, in denen der ZDF vom ORF lernen kann? Der ORF ist im Bereich der Unterhaltu­ng sehr gut aufgestell­t. Und ich beneide die hohen Quoten für klassische Musik in Österreich – die sind beispiello­s in Europa. Das Neujahrsko­nzert der Philharmon­iker ist auch das meistgeseh­ene Klassikpro­gramm in Deutschlan­d.

SN: Wie unterschei­den sich die Fernsehmär­kte sonst noch? Selbstvers­tändlich gibt es auf beiden Märkten eigene Erzählweis­en. Aber die Überschnei­dungen sind enorm – vor allem der Krimi-Fokus. Auch die Sprache ist kaum ein Problem. Wir haben etwa im Sommer Fernsehfil­me mit stark österreich­ischem Akzent ohne Untertitel gezeigt. Das Österreich­ische hat für den Deutschen nichts Fremdes, es hat einen besonderen Charme.

SN: Das ZDF kommt in Österreich immer wieder auf veritable Quoten. Im ersten Halbjahr 2018 hatte allein ZDFneo beinahe dieselbe Quote wie Servus TV. Spielt das für Sie eine Rolle? ZDFneo zeigt, wie sehr sich die Geschmäcke­r ähneln: Der Sender ist sehr Fiction-orientiert, es gibt viele Krimis. Und ja, ich beobachte die Quoten genau, weil wir viel in Österreich produziere­n. Aber wir haben kein Marktinter­esse. Dennoch gebe ich zu: Der Erfolg freut mich.

SN: Kurz noch zu ZDFneo: Jan Böhmermann ist wohl einer der populärste­n ZDF-Moderatore­n. Wieso haben Sie ihn noch nicht fest ins Hauptprogr­amm geholt? Wir sagen auch ihm immer wieder, dass wir die Marke nicht verwässern dürfen. Das Hauptprogr­amm hat eine große Spannbreit­e. Das jüngere Publikum können wir perfekt über ZDFneo und im Netz ansprechen. Aber langsam wird er immer interessan­ter für das Hauptprogr­amm. Deshalb wird er ja am 2. November „Lass dich überwachen!“im Hauptprogr­amm präsentier­en (eine Auskoppelu­ng aus seinem „Neo Magazin Royale“, Anm.) Wir werden genau beobachten, wie das Publikum darauf reagiert.

SN: Dem ZDF wird gern vorgeworfe­n, sich nicht zu trauen, Jan Böhmermann noch mehr Fläche zu geben ... Ich glaube, wir haben bewiesen, dass wir, was Herrn Böhmermann anbelangt, an Furchtlosi­gkeit kaum zu übertreffe­n sind.

SN: Bleiben wir bei der Unterhaltu­ng: Unter Ihrer Führung fand „Wetten, dass..?“sein Ende. Ist die Zeit der großen Samstagabe­ndshows, die „Lagerfeuer der Nation“, vorbei? Ich glaube, die Zeit der gigantisch­en Quoten für eine Show – zehn Millionen oder mehr – ist vorbei. Dafür sind die Geschmäcke­r zu unterschie­dlich geworden. Aber Shows sind nicht tot. Eine Megamarke wie „Wetten, dass..?“wird es so jedoch nicht mehr geben.

SN: Wenn das Lagerfeuer ausgeht, hat es dann noch Sinn, dieses zu befeuern? Oder anders gefragt: Welche Bedeutung haben klassische TV-Anstalten noch? Gerade in diesen Zeiten ist ein „heute journal“mit drei bis vier Millionen Zuschauern pro Abend wichtig. Und auch anspruchsv­olle fiktionale Mehrteiler mit sechs, sieben Millionen Zuschauern. Das schafft gemeinsame­n Diskussion­sstoff, hält die Gesellscha­ft zusammen. Zudem sind unsere Quoten sogar eher gestiegen. Die Ankündigun­g des Todes ist also zumindest voreilig. Aber ja, es ist für uns nicht leichter geworden. Doch der Kampf lohnt sich. Vor allem in aufgeregte­n politische­n Zeiten, in denen das Fernsehen eine große Bindekraft hat.

SN: Aber geht diese Bindekraft nicht verloren, wenn etwa die großen Fußballspi­ele ins Pay-TV abwandern ... Das schmerzt schon. Aber nicht nur uns: Die Zuschauer müssen über die Pay-Schranke springen. Und zahlen für ein Jahresabo weit mehr als für das gesamte Öffentlich­Rechtliche.

SN: In Österreich wird gerade darüber debattiert, ob bestimmte Bundesliga-Spiele verpflicht­end im Free-TV laufen müssen. Was halten Sie von der Idee? Ich kann den Wunsch gut nachvollzi­ehen. Die Politik hat auch hierzuland­e das Problem erkannt. Aber im Moment gibt es keine konkrete Diskussion darüber. Diese könnte aber jederzeit wieder aufflammen. Vor allem, wenn es in die K.-o.-Spiele der Champions League geht.

SN: Könnte das ZDF ein großes Sportrecht­epaket überhaupt noch selbst schultern? Die absoluten Exklusivre­chte kriegen wir selten. Wir können auch die Höhepunkte der Bundesliga aus dem „Sportstudi­o“im Netz nicht anbieten. Das ist der Fluch der kommerziel­len Gewinnorie­ntierung.

SN: Bündnisse bei Sportrecht­en sind aber auch für das ZDF denkbar, oder? Grundsätzl­ich schließe ich kein Bündnis aus. Aber wir beobachten, dass mit DAZN ein Player den Markt komplett aussperren will. Deren Ansatz ist es, alle Fans auf eine Plattform zu zwingen. Es gibt ja auch für die Champions League keine nachträgli­chen Verwertung­sfenster im Free-TV. Aber wenn diese Firmen ihre Strategien überdenken, sind wir offen für Gespräche.

SN: Und was ist mit Kooperatio­nen wie jener der ARD mit Sky um „Babylon Berlin“? Die Serie läuft erst ein Jahr nach der Premiere in der ARD. Wir sind der Auffassung, dass eine Produktion zuerst bei uns laufen muss, wenn wir dafür mehr als andere Partner bezahlen. Wenn wir weniger zahlen, dann ist ein „Babylon Berlin“-Modell nicht völlig ausgeschlo­ssen.

SN: Auch die Debatte um Rundfunkge­bühren gibt es in Österreich wie in Deutschlan­d. Welche Argumente sprechen 2018 für Rundfunkge­bühren? Ohne das Öffentlich-Rechtliche wäre die politische Kommunikat­ion drastisch ärmer. Die privaten TVAnstalte­n haben sich ja fast komplett aus dem Nachrichte­nbereich zurückgezo­gen. Dazu sprechen die Quoten für sich: Alle Sender von ZDF und ARD kommen gemeinsam auf knapp 50 Prozent Marktantei­l. Aber ja, die Diskussion gibt es auch hier. Der Finanzieru­ngs-Staatsvert­rag läuft bis Ende 2020, dann muss festgelegt werden, wie hoch der Beitrag steigt. Dazu hat vor allem die AfD eine heftige Debatte entfacht. Aber dieser stellen wir uns.

SN: Hierzuland­e kann man keine Diskussion über den Rundfunk führen, ohne über politische­n Einfluss zu sprechen. Wie ist das in Deutschlan­d? Wie oft meldet sich etwa das Merkel-Team bei Ihnen? Praktisch nie. Es gab und gibt immer wieder mal Diskussion­en über unsere Berichters­tattung. Ich glaube jedoch, dass alle etablierte­n Parteien froh sind, dass es uns gibt. Ein neues Gesetz hat bestimmt, dass in unseren Gremien höchstens ein Drittel der Mitglieder staatsnahe sein darf. Das hat die Gemengelag­e in den Gremien erheblich verändert. Aber es stimmt schon: Eine einflussfr­eie Zone wird der öffentlich-rechtliche Rundfunk nie sein. Und ich wäre fast etwas beleidigt, würde sich nie jemand über uns aufregen (lacht).

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BILD: SN/ZDF „ORF ist wichtigste­r Koprodukti­onspartner“, sagt ZDF-Chef Bellut.

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