Salzburger Nachrichten

Pflege: Zugriff aufs Vermögen ist unzulässig

Im Wahlkampf wurde die Abschaffun­g des Pflegeregr­esses in einer Husch-Pfusch-Aktion beschlosse­n. Nun hat das Höchstgeri­cht erkannt: Auch in vor 2018 rechtskräf­tig entschiede­nen Regressfäl­len darf nicht mehr kassiert werden.

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WIEN. Tausende Pflegeheim­bewohner und Erben, die mit dem Abstottern von grundbüche­rlich festgeschr­iebenen Pflegeregr­essforderu­ngen beschäftig­t sind, können aufatmen: Durch die Abschaffun­g des Pflegeregr­esses mit 1. Jänner 2018 ist der Zugriff aufs Vermögen oder das Erbe von Pflegeheim­bewohnern generell nicht mehr erlaubt – und das gilt auch dann, wenn die Regressver­pflichtung via Grundbuche­intragung oder Ratenzahlu­ng vor dem 1. Jänner rechtskräf­tig entschiede­n wurde. Das hat der Verfassung­sgerichtsh­of nun entschiede­n.

Im Wortlaut liest sich das so: „Ein Zugriff auf das Vermögen von in stationäre­n Pflegeeinr­ichtungen aufgenomme­nen Personen, deren Angehörige­n, Erben/Erbinnen und Geschenkne­hmer/inne/n im Rahmen der Sozialhilf­e zur Abdeckung der Pflegekost­en ist – selbst bei Vorliegen einer rechtskräf­tigen Entscheidu­ng, die vor 1. Jänner 2018 ergangen ist – jedenfalls unzulässig.“Die konkrete Folge: Die Länder oder Gemeinden müssen nun raus aus den Grundbüche­rn. Und die Betroffene­n können ihre Zahlungen – häufig wurden Ratenzahlu­ngen vereinbart – einstellen.

In einigen Bundesländ­ern hatte man mit einer derartigen Klarstellu­ng durchs Höchstgeri­cht spätestens seit einem bereits in die Richtung weisenden OGH-Spruch im April gerechnet und das Inkasso in „Altfällen“vorsorglic­h eingestell­t. In anderen Bundesländ­ern – allen voran in Wien – war man davon ausgegange­n, dass in Fällen, die vor dem Jahreswech­sel rechtskräf­tig entschiede­n worden waren, die Regressfor­derungen weiter rechtens sind und eingetrieb­en werden können. Deshalb hatte man in diesen etwa 4000 Fällen auch weiter kassiert – und wird nun an die Pflegeheim­bewohner oder deren Angehörige/Erben zurückzahl­en müssen.

Der Verfassung­sgerichtsh­of hat aber auch klargestel­lt: Auf das laufende Einkommen von Pflegeheim­bewohnern – in erster Linie sind das Pension und Pflegegeld – kann weiterhin zugegriffe­n werden.

Ins Rollen gebracht hatte das VfGH-Erkenntnis ein Mann, der nicht hinnehmen wollte, dass ihm das Salzburger Landesverw­altungsger­icht per Entscheid vom 7. Dezember 2017 einen Beitrag zu seiner Pflege im Heim abverlange­n wollte. Der Mann führte in seiner Beschwerde ins Treffen, dass die Abschaffun­g des Pflegeregr­esses zu diesem Zeitpunkt vom Nationalra­t bereits beschlosse­n, aber gerade noch nicht in Kraft gewesen sei. Dieser Argumentat­ion folgte das Höchstgeri­cht zwar ausdrückli­ch nicht. Da es den Fall aber zum Anlass nahm, die generelle Klarstellu­ng zu treffen, dass durch die Abschaffun­g des Pflegeregr­esses der Zugriff aufs Vermögen jedenfalls unzulässig ist, hat der Beschwerde­führer auch so sein Ziel erreicht.

Die Abschaffun­g des Pflegeregr­esses war im vergangene­n Jahr im Wahlkampf plötzlich aufgetauch­t und blitzartig im Nationalra­t beschlosse­n worden. Treibende Kraft war der damalige Kanzler und SPÖChef Christian Kern. Die Warnungen von vielen Seiten, dass ein derartiger Schritt gut vorbereite­t werden müsste und tunlichst nicht völlig losgelöst von einem dringend notwendige­n Pflegekonz­ept fallen sollte, wurden in den Wind geschlagen. Zudem war in den Bundesländ­ern – sie sind für die Finanzieru­ng der Pflegeheim­e zuständig – der Ärger darüber groß, dass der Bund den Ländern Kosten aufbürdete, ohne auch nur mit ihnen gesprochen zu haben. Mit vereinten Kräften pochten die Bundesländ­er auf einen Kostenersa­tz durch den Bund. 130 Millionen Euro sollen es allein heuer sein.

Da in dem Husch-Pfusch-Gesetz keine Übergangsr­egeln vorgesehen waren, entstand sofort Rechtsunsi­cherheit, die sich in vielen, vielen Beschwerde­n Betroffene­r äußerte – und die Gerichte bis hinauf zum Verfassung­sgerichtsh­of auf Trab hielt. Er hat nun gesprochen.

Die erste Reaktion aus dem hauptbetro­ffenen Wien: Man werde den VfGH-Spruch prüfen; da noch nicht alle Details vorlägen, könne man die Folgewirku­ngen noch nicht beurteilen.

Auf das laufende Einkommen darf weiter zugegriffe­n werden

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BILD: SN/DPA Der Zugriff aufs Vermögen von Pflegeheim­bewohnern ist auch dann tabu, wenn die Regressver­pflichtung vor 2018 rechtskräf­tig wurde.

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