Salzburger Nachrichten

Brüssel will die EU-Ausländer ins Wahllokal bewegen

Ein Fünftel der Einwohner stammt aus anderen EU-Staaten. Das ist eine politische Macht. Doch sie wird erst entdeckt.

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An jeder Ecke der belgischen Hauptstadt hängen die Plakate mit den Kandidaten für Bürgermeis­teramt und Gemeindera­t. Doch einen großen Teil der rund 1,2 Millionen Einwohner scheint das kaltzulass­en. Die Rede ist von den hier lebenden Ausländern, den sogenannte­n Expats. Jeder dritte Bewohner Brüssels stammt aus dem Ausland. Ein Fünftel der Hauptstädt­er – das sind mehr als 210.000 – kommt aus einem der anderen 27 EU-Länder. Viele arbeiten in den EU-Institutio­nen oder haben indirekt mit ihnen zu tun. In Ixelles, einem angesagten Viertel südlich des Zentrums, halten sich Belgier und Expats bereits die Waage. Doch zur Kommunalwa­hl gehen die meisten Zugezogene­n nicht.

Darüber verspüre er eine „große Frustratio­n“, so wurde unlängst Philippe Close, Bürgermeis­ter von Brüssel Stadt, vom Onlineport­al „Politico“zitiert. Es mache ihn ärgerlich, dass sich nicht einmal EUBeamte für die Kommunalwa­hl registrier­en ließen. Dabei haben – dank EU – alle ihre Bürger in allen Mitgliedss­taaten das kommunale Wahlrecht. Und das schätzen ausgerechn­et die EU-Mitarbeite­r nicht? Es wäre Wasser auf die Mühlen der Kritiker der Union.

Doch so einfach ist es nicht. Voraussich­tlich werden am kommenden Sonntag weit mehr ausländisc­he EU-Bürger ihre Stimme abgeben als jemals zuvor bei den Kommunalwa­hlen. Rund 18 Prozent der Ausländer in Brüssel haben sich für die Wahl registrier­en lassen, das sind 25 Prozent mehr als beim vorigen Urnengang 2012. „Das ist ein ziemlicher Erfolg“, sagt Karin Impens. Sie ist stellvertr­etende Leiterin des „Brüssel-Kommissars“, einer Einrichtun­g, die als Drehscheib­e zwischen Brüssel und EU- und internatio­nalen Organisati­onen in der Stadt fungiert.

18 Prozent Expats, die zur Wahl gehen wollen, sind in der Tat keine schlechte Quote. Denn Belgien macht es potenziell­en Wählern nicht leicht. Vor dem Registrier­en schrecken viele zurück. In Belgien herrscht Wahlpflich­t, viele fürchten eine Strafe, wenn sie trotz Registrier­ung fernbleibe­n – obwohl seit Jahren keine Strafe mehr verhängt worden ist. Und dann ist die Brüsseler Kommunalpo­litik auch noch ziemlich unübersich­tlich. Die Stadt besteht aus 19 eigenständ­igen Kommunen, jede hat eine eigene Bürgermeis­terin oder einen eigenen Bürgermeis­ter, jede hat einen eigenen Gemeindera­t. Entspreche­nd bunt sind die Kandidaten, Listen und Parteien.

„Viele Expats wohnen in einer Kommune, der Kindergart­en liegt in einer zweiten und der Arbeitspla­tz in einer dritten“, erklärt Thomas Huddleston. Er ist der Kopf hinter der Kampagne „VoteBrusse­ls“. Mit viel Herzblut und der Hilfe eines guten Dutzends ehrenamtli­cher Helfer hat er eine Facebook-Seite aufgezogen, Broschüren drucken lassen und in den EU-Institutio­nen verteilt. Die Kampagne hat erreicht, dass die Registratu­r ins Wählerverz­eichnis erstmals elektronis­ch über E-Mail erfolgen konnte.

18 Prozent der Expats, die am Sonntag in ihren Kommunen wählen wollen, mögen nicht viel sein. Aber: „Wie viele haben in Wien gewählt?“, fragt Karin Impens vom Brüssel-Kommissar.

Die Antwort ist: Man weiß es nicht. In Österreich stehen die EUBürger zwar in der Wählerkart­ei; ob sie tatsächlic­h ihre Stimme abgeben, wird nicht erfasst.

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