Steinmeier besucht das „Herz der Hölle“
Die NS-Zeit bleibt ein Schatten, aber der deutsche Bundespräsident sucht Neubeginn in Athen.
ATHEN. Über jedem GriechenlandBesuch eines deutschen Bundespräsidenten liegt der dunkle Schatten der Geschichte. Auch wenn es ein strahlender Spätsommermorgen ist wie dieser. Bei Sonnenaufgang brechen Frank-Walter Steinmeier und seine Frau Elke Büdenbender vom Hotel Grande Bretagne am Athener Syntagma-Platz auf. Ihr Ziel ist die Arbeitervorstadt Chaidari im Nordwesten Athens. Hier beginnt, noch vor der offiziellen Begrüßung durch den griechischen Staatspräsidenten Prokopis Pavlopoulos, die Visite des Bundespräsidenten in Griechenland.
Die Fahrt nach Chaidari führt Steinmeier 74 Jahre zurück in die Vergangenheit. „Block 15“heißt das weiß gestrichene Gebäude. Es gehört zu einem Kasernenkomplex, der 1943 von den deutschen Besatzern als Haftlager eingerichtet worden ist. Mehr als 20 solcher Gefängnisse gab es im besetzten Griechenland. Chaidari war das berüchtigtste. Nahrungsentzug, Zwangsarbeit, Folterungen, willkürliche Exekutionen – die Griechen sprachen damals von Chaidari als dem „Herz der Hölle“.
Steinmeier und seine Ehefrau Elke Büdenbender besuchen Chaidari allein. Das Ehepaar legt an der Gedenktafel ein Blumengebinde nieder. Die Presse ist nicht zugelassen. Das nimmt diesem Besuch Publizität – und gibt ihm Bedeutung.
Die deutsche Besatzung im Zweiten Weltkrieg liegt mehr als sieben Jahrzehnte zurück. Aber diese Vergangenheit ist immer gegenwärtig, wenn ein deutscher Staatsgast nach Griechenland kommt. Seit Jahrzehnten streiten beide Länder um Reparationen für die Zerstörungen und die Massaker der Besatzer.
Vor dem Steinmeier-Besuch hatten Premier Alexis Tsipras und Parlamentspräsident Nikos Voutsis das Thema mit Nachdruck zur Sprache gebracht. Bei seinem gemeinsamen Auftritt mit Steinmeier redet Pavlopoulos am Donnerstag lang und über viele Themen, lobt die „ausgezeichneten bilateralen Beziehungen“. Aber die heikle Reparationsfrage erwähnt er mit keiner Silbe. Auch Tsipras streift die Reparationsfrage bloß flüchtig mit dem Hinweis, man dürfe „Differenzen aus der länger zurückliegenden Vergangenheit nicht unter den Teppich kehren“, man müsse sie vielmehr „auf der Basis des Völkerrechts lösen“. Steinmeier bittet um „Verzeihung für das, was geschehen ist“.
Die Schuldenkrise hat einen Keil zwischen beide Völker getrieben. Tsipras spricht von der „Notwendigkeit, die acht Jahre der Krise mit ihren Stereotypen, die das Verhältnis zwischen Griechenland und Deutschland vergiftet haben, hinter uns zu lassen“. Athen will in den Beziehungen zu Berlin ein neues Kapitel aufschlagen.