Salzburger Nachrichten

Erdo˘gan muss jetzt einlenken

Nach massivem Druck der USA kommt der in der Türkei inhaftiert­e Geistliche Andrew Brunson frei. Dieser Streitfall hat die Beziehunge­n zwischen Washington und Ankara stark belastet.

- SN, n-ost

Nach zwei Jahren Untersuchu­ngshaft und Hausarrest in der Türkei kommt der US-Geistliche Andrew Brunson frei. Das entschied am Freitag ein Gericht in der westtürkis­chen Stadt Izmir. Der evangelika­le Pastor kann damit in die USA zurückkehr­en. Sein Fall war zu einer immer größeren Belastung für die türkisch-amerikanis­chen Beziehunge­n geworden. Brunsons Freilassun­g könnte jetzt zu einer Entspannun­g führen.

Das Gericht befand den Angeklagte­n zwar der Unterstütz­ung einer Terrorgrup­pe für schuldig und verhängte eine Haftstrafe von drei Jahren und einem Monat. Diese muss Brunson aber nicht antreten. Er bleibt bis zur endgültige­n Entscheidu­ng der Berufungsi­nstanz auf freiem Fuß.

Brunson lebte seit 25 Jahren in der Türkei und war Seelsorger der kleinen Auferstehu­ngs-Gemeinde in der westtürkis­chen Küstenstad­t Izmir. Er wurde im Oktober 2016 festgenomm­en. Die Ankläger warfen ihm Kontakte zur Kurdischen Arbeiterpa­rtei (PKK), von Ankara als Terrororga­nisation gebrandmar­kt, und Verbindung­en zur Bewegung des in den USA lebenden Exilpredig­ers Fethullah Gülen vor, den Staatschef Recep Tayyip Erdoğan als Drahtziehe­r des Putschvers­uchs vom Juli 2016 verdächtig­t.

In den USA entstand freilich schnell der Verdacht, Erdoğan wolle den amerikanis­chen Pastor als Faustpfand benutzen, um die USA zur Auslieferu­ng Gülens zu bewegen. Tatsächlic­h hatte Erdoğan im September 2017 öffentlich angeboten, Brunson gegen Gülen auszutausc­hen.

Wegen des Konflikts um Brunson hatte US-Präsident Donald Trump Strafzölle auf türkische Stahl- und Aluminiumi­mporte erhoben. Diese Sanktionen verschärft­en die Währungskr­ise in der Türkei. Seit Jahresbegi­nn hat die Lira gegenüber Dollar und Euro rund 40 Prozent ihres Werts verloren. Erdoğan beschuldig­te die USA, sie führten einen Wirtschaft­skrieg gegen die Türkei. Die Verhandlun­g am Freitag zeigte, wie dürftig die Beweislage gegen Brunson war: Drei Zeugen der Anklage zogen ihre früheren belastende­n Aussagen gegen den Pastor zurück, einer von ihnen sagte, er habe nur „Gerüchte“wiedergege­ben. In den vergangene­n Tagen gab es Anhaltspun­kte für eine Lösung. Der US-Fernsehsen­der NBC hatte am Donnerstag unter Berufung auf amerikanis­che Regierungs­kreise berichtet, die Amerikaner hätten in Verhandlun­gen mit der türkischen Regierung eine geheime Vereinbaru­ng über die Freilassun­g des Pastors erzielt. Möglicherw­eise haben die USA angeboten, im Gegenzug die verhängten Sanktionen aufzuheben.

Obwohl Erdoğan noch vor einem Jahr einen Austausch Brunsons gegen Gülen angeboten hatte, erklärt er jetzt, ihm seien in diesem Fall die Hände gebunden. Die Türkei sei ein Rechtsstaa­t, deshalb könne er als Präsident nicht bei der Justiz intervenie­ren, sagte Erdoğan am Dienstag vor Reportern. „Als Präsident muss ich den Entscheidu­ngen der Justiz gehorchen“, sagte Erdoğan. Beobachter schließen aber nicht aus, dass es im Fall Brunson eine Art Fingerzeig aus der Exekutive gegeben haben könnte.

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