In Büchern nach der Geschichte greifen
Auf der Frankfurter Buchmesse fällt auf, dass sich deutschsprachige Autoren schwertun mit dem populären Schreiben der Geschichte.
Geschichtsbewusstsein steht nicht besonders hoch im Kurs. Das kommt einer Reduzierung des kritischen Bewusstseins gleich. Was tun, wenn eine ganze Generation in den Schulen von geisteswissenschaftlicher Prägung verschont wird? Ist die Bildung zu retten, wenn sich die Politik mit der Ausbildung junger Leute zufrieden gibt und einem zum Vorwurf gemacht werden kann, wenn man Shakespeare zitieren kann?
Dabei wäre Shakespeare idealer Auskunftgeber für das Funktionieren von Macht und deren katastrophalen Folgen, wenn sie missbraucht wird. Wer sich Bildung angeeignet hat, wird schwerer zu beherrschen sein. Kein Wunder, dass für alle, die an duldsamen Bürgern interessiert sind, der aufgeklärte Mensch, der den Sprung zum eigenständigen Denken schafft, eine Angstfigur abgibt.
Am Eingang zur Frankfurter Buchmesse und an Ständen von Ausstellern liegt heuer die „Allgemeine Erklärung der Menschenrechte“vom 10. Dezember 1948 auf. Sie liefert die Grundlagen unseres Zusammenlebens. Ihr kommt Allgemeingültigkeit zu, wird aber von zahlreichen Staaten verraten, von autoritären Kleingeistern infrage gestellt.
Was es heißt, gegen Tyrannei und Unterdrückung vorzugehen, steht in Geschichtsbüchern. Beim Verlag Klett-Cotta gewinnt man nicht den Eindruck, dass das Interesse an historischen Büchern abgenommen hätte. Die Lesergruppe wird dominiert von Menschen jenseits der 40, die in ökonomisch zufriedenstellenden Verhältnissen leben. Für sie macht es keinen Unterschied, ob sie zu „Welten der Antike“von Michael Scott greifen oder zu Sven Erich Kellerhoffs Buch über einen Vorfall aus dem November 1938 in einem deutschen Dorf, „Ein ganz normales Pogrom“. Indem sie sich mit der Vergangenheit beschäftigen, erfahren sie, auf welch blutgetränktem Boden wir stehen.
Wir sind es gewöhnt, regelmäßig auf großartig geschriebene Geschichtsbücher aus Frankreich, den USA oder Großbritannien zu stoßen. Warum tun sich deutsche Historiker so schwer damit, ihre Forschungsergebnisse in lesbarer Form aufzubereiten? Immerhin gibt es große Vorbilder wie Ferdinand Gregorovius oder Theodor Mommsen, der 1902 sogar mit dem Nobelpreis für Literatur ausgezeichnet wurde. Es gibt eine Scheu junger Historiker, Sachbücher über ihr Fachgebiet zu veröffentlichen, weil sie fürchten, dass das ihrer Karriere hinderlich sein könnte. Und tatsächlich gibt es den Fall eines Geschichtsprofessors, dem der Erfolg seines Buchs zum Verhängnis wurde, zumal er plötzlich die Abneigung seiner Kollegen zur Kenntnis nehmen musste. Seine Arbeit wurde als unseriös diffamiert.
Die Fernsehserie „Babylon Berlin“hat kürzlich die Öffentlichkeit für die 1920er-Jahre des vorigen Jahrhunderts interessiert. Geschichte in Pillenform, aufbereitet in Episoden, ist massenkompatibel. Das sieht man, wenn Volker Kutscher, der die literarische Vorlage der Serie lieferte, seinen Auftritt bekommt, der geradezu gestürmt wird.