Bei Berlioz offenbaren zwei Heldinnen ihr Innerstes
WIEN. Kassandra und Dido sind verzweifelt. Die eine möchte das Leid abwenden, das sie nahen sieht. Vor dem Einzug der Feinde im hölzernen Pferd warnt sie ihr Volk vergeblich. Niemand, selbst nicht ihr Geliebter, schenkt ihr Glauben. Troja wird untergehen. Didos Geliebter hingegen zieht fort, um einen neuen Stamm zu gründen. Sie bleibt zurück. Beide Frauen entfliehen ihrer Ohnmacht durch den größten und tragischsten Kraftakt: Selbstmord.
„Les Troyens“, Hector Berlioz’ Monumentalwerk für über 200 Solisten und Choristen, Tänzer, Musiker und Akrobaten ist eine der am schwierigsten aufzuführenden Opern. Nach 40 Jahren nimmt sich die Wiener Staatsoper wieder dessen an: mit hochkarätigem Ensemble, darunter Brandon Jovanovich als Aeneas und Joyce DiDonato als Dido, inszeniert von David McVicar und mit Balletten, bunten Kostümen, einem trojanischen Pferd und viel Pomp, also so, wie es sich Berlioz wohl gewünscht hätte.
Die Oper beginnt mit dem Einzug der Griechen und dem Überfall auf Troja. Aeneas folgt dem Ruf der Götter und flieht aus der brennenden Stadt, um ein neues Troja zu gründen: Rom. Auf dem Weg nach Italien strandet er in Karthago. Dort trifft er Dido, die sich in Aeneas verliebt. Das wird ihr zum Verhängnis. „Ich weiß nicht, wie viel mehr Drama man sich wünschen kann“, sagt Joyce DiDonato über „Les Troyens“. Sie spielt die geflohene verwitwete Königin Dido. Sie ist davon gezeichnet, ihren verstorbenen Mann nie begraben haben zu können. Als Aeneas in Karthago einzieht, dauert es nicht lang, bis sie sich verliebt. Der Auftrag der Götter lässt Aeneas aber keinen Frieden. Er muss weiterziehen, um den neuen Stamm zu gründen und die trojanischen Brüder und Schwestern rächen. „Wir gehen nicht in die Oper, um einen durchschnittlichen Montag zu sehen, sondern um größte Emotionen zu erfahren. Das schafft Oper und besonders dieses Werk, indem die Energie der furchtbaren Geschehnisse auf intime Momente trifft“, schwärmt Brandon Jovanovich.
Berlioz ließ sich von Vergil und Shakespeare zu jener Oper inspirieren, die bereits zu Lebzeiten des Komponisten alle Grenzen sprengte. „Berlioz war komplett verrückt. Das spürt man in ,Les Troyens‘“, sagt Alain Altinoglu, der das Staatsopernorchester dirigiert. „Berlioz’ Musik lebt von Stimmungen, Atmosphären und Klangfarben. Sie ist wie eine Berglandschaft.“Weshalb wurde „Les Troyens“so lang nicht gespielt? Der Dirigent weiß mehrere Antworten. „Berlioz war ein hervorragender Autor, das Libretto aber klingt für jeden Franzosen altmodisch. Auch die Dramaturgie des Stücks lässt zu wünschen übrig.“
Selbst wenn im Krieger Aeneas Gefühle aufkommen, wird in „Les Troyens“deutlich: Es sind die Frauen, denen Berlioz Raum gibt, ihr Innerstes zu offenbaren. Sie sind die Ohnmächtigen und Leidtragenden in diesem Stück. Oper: