Salzburger Nachrichten

Industrie fühlt sich vernachläs­sigt

Europa hat keine Antwort auf China und Asien, sagen zwei Konzernche­fs.

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BRÜSSEL. Europa hat keinen Plan. So beurteilen jedenfalls die Vorstände zweier österreich­ischer Weltmarktf­ührer, Heimo Scheuch, Chef des Baustoffko­nzerns Wienerberg­er, und Reinhold Steiner, Verkaufsch­ef des Feuerfest-Riesen RHI Magnesita, die aktuelle Industrie- und Standortpo­litik der EU.

Während China mit strategisc­hen Zukäufen seinen Einflussbe­reich gezielt erweitere und die USA durch Protektion­ismus die eigenen Unternehme­n wiederbele­be, werde Europas Industrie mit immer neuen Vorschrift­en und Auflagen und ohne klar erkennbare Strategie beim Wettbewerb behindert, kritisiere­n die beiden bei einem Besuch in Brüssel. Die beiden Konzerne beschäftig­en zusammen weltweit 30.000 Menschen, rund 3000 davon in Österreich.

„Ich vermisse das Thema Industriep­olitik in der österreich­ischen Präsidents­chaft“, sagt Scheuch. Aus seiner Sicht reicht es nicht, dass die Wirtschaft­sminister, wie zuletzt im September, darüber nachdenken. „Industriep­olitik sollte Chefsache sein.“Er fordert, das Thema auch auf den Gipfel der EU-Staats- und Regierungs­chefs zu bringen. Notwendig wäre es, den Weg einzelner Sektoren in Europa vorzuzeich­nen und bürokratis­che und andere Hürden auszuräume­n. Was die Konzerne belaste, sei vor allem der Emissionsh­andel, so Scheuch. Die gute Konjunktur und die geplante Begrenzung des Zertifikat­emarktes habe den CO2-Preis auf rund 24 Euro pro Tonne steigen lassen.

„Was fehlt, ist eine langfristi­ge Standortpo­litik“, betont auch Steiner, die über die derzeit üblichen Fünf-Jahres-Zyklen hinausgehe. Derzeit riskiere Europa, über Nacht ohne bestimmte Rohstoffe dazustehen, wenn etwa China, wie vor knapp zwei Jahren, seine Exporte stoppt. Um 20 Jahre vorauszude­nken, sei vielleicht ein eigenes Gremium notwendig.

Die EU-Staaten arbeiten seit Längerem an einer neuen IndustrieS­trategie, um den Anschluss an die USA und China nicht völlig zu verlieren. Bisher handelt es sich dabei aber um nicht viel mehr als Absichtser­klärungen. Unter anderem sollen, ähnlich wie einst bei der Gründung von Airbus, in wichtigen Zukunftste­chnologien die Kräfte gebündelt werden. Konkret wird über eine gemeinsame europäisch­e Batterieen­twicklung oder Investitio­nen in künstliche Intelligen­z (AI) nachgedach­t. Wie groß der Aufholbeda­rf ist, zeigen Zahlen der EUKommissi­on: Demnach investiert Europa lediglich drei bis vier Mrd. Euro jährlich in AI-Forschung, verglichen mit acht bis zwölf Mrd. in Asien und 15 bis 23 in den USA.

In Österreich glaubten viele, Digitalisi­erung sei nur der Ausbau von Netzwerken, sagt Scheuch, „das tut uns weh“. Sogar in Brasilien würden die digitalen Kompetenze­n von Konzernen wie RHI Magnesita erkannt und genutzt, indem der Staat für ein Jahr Start-ups an das Unternehme­n vermittelt – und bezahlt. „In Europa sind wir das noch nie gefragt worden“, erzählt Steiner.

„Industrie muss Chefsache sein.“Heimo Scheuch, Wienerberg­er-Chef „Was fehlt, ist ein langfristi­ger Plan.“Reinhold Steiner, RHI-Magnesita-Vorstand

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